Die Schämmichkiste

(Die Szene: Ich sitze in Remscheid-Lennep, mitten auf dem Marktplatz, in der „Schämmichkiste.“ Und rede leise-verstört mit mir selbst.) „Curt Corrinth? Ja, dieser leider fast vergessene Schriftsteller. Er müsste mir doch eigentlich gefallen. Und warum?

Nun, seine Romane hießen zum Beispiel „Trieb“ und „Bordell“. Sehr gute Titel, finde ich. Sie würden auch gut zu meinen erotischen Zeichnungen passen. Jawohl! Gebt es mir ruhig, ihr Spießer da draußen! Immer auf meinen edlen Hobbys herum reiten. Spießer!

Ach, ich leb ja von meinen erotischen Zeichnungen. Wenn auch schlecht. Aber ich lebe! Und ich sag mir stets: „Kopf hoch“…  „Trieb“ und „Bordell“, diese zwei Romane von Curt Corrinth, in denen die die bürgerliche Welt verachtenden Protagonisten des Verfassers immer mehr in Ekstase geraten und in roher Geschlechtsgier die revolutionäre Befreiung von allen Normen schließlich in einer gewaltigen Sexorgie der gesamten Menschheit anstreben, stießen in der Literaturkritik zumeist auf strikte Ablehnung

Und das tun meine erotischen Zeichnungen auch! Siehst du, sage ich zu mir… „Sinnliche Stoffe selbst freiester Art werden nur zu Kunstwerken durch eine Bearbeitung, die sie vergeistigt.“  Schrieb jedenfalls die damalige Kritik. „Das Fleisch in seinen gemeinsten Neigungen aber zum Götzen erheben, wie es Curt Corrinth in den Ekstatischen Visionen des Potsdamer Platzes tut, heißt vor ein Bordell Nächte des neuen Messias schreiben. (…) Das ist nicht einmal Versuch zur Kunst, sondern Pornographie in der undeutschen, leicht nachzuschmierenden Sprache.“

So schrieb, wie gesagt, die Kritik. Und schon deshalb bin jetzt von Corrinth begeistert. Dieses vergessene Genie, es lebte in Lennep. Remscheid-Lennep. Bzw. es wurde dort am 20. Februar 1894  geboren.

Auf Curt Corrinth. Einen (fast) Vergessenen!

Neulich im Atelier

Neulich bei mir im Atelier. Paul Verlaine und Jim Morrison waren zu Besuch. Und es blieb, ich will es hier gleich zu Anfang gestehen, nicht bei einer Flasche Rotwein. Das kann man nun wirklich nicht behaupten. Das würde uns doch auch niemand glauben wollen. Aber so ist das ja auch mit einem Künstlerimage. Es muss ständig bewahrheitet werden. Paul und Jim fröhlich bei einer Flache Sprudel? Ich bitte Sie! Der Kioskbesitzer zum Beispiel, ein sehr sympathischer Typ, bei dem ich mir ab und an Tee oder Chips besorge, fragte mich unlängst, als ich mal wieder irgendeinen Krimskram für mein Atelierleben kaufte, „Sag´ mal die Frauen, ja, die ständig in Dein Atelier kommen, ziehen die sich sofort aus?“ Ich blickte ihn überrascht an, lächelte dann und sagte „Ja! “ Danach ging ich flugs, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, in mein Atelier zurück. Wissend, dass ich wieder einmal ein Künstlerimage nicht korrigiert hatte. Aber warum auch? Nun gut, Paul und Jim waren also bei mir zu Gast. Wir hörten Eric Satie und Frank Sinatra. Und redeten uns, wie immer wenn wir beisammen saßen, in Rage. Je später der Abend wurde, je näher der Morgen rückte, umso kaleidoskopischer wurden unsere Gespräche.

Anfangs kreierten wir MusikUnd sie spielte mit ihrem Kätzchen VERRÜCKT. EIN IDIOT WILL DEN MOND SIGNIEREN Und reizend waren zu schau’n  Die weissen  Hände und Tätzchen STUMPFSINNIGE ABGRÜNDE  Beim Tändeln im Abendgrau’n … tja, jede Nachtstarteten wir mit einigen Auszügen  ABGRÜNDE SO SCHÖN WIE GRÜNDE Okay, Okay…Versteckt hielt voll lustiger Mätzchen Im Handschuh, o Tücke der Frau’n,  Die spitzigen Nägel mein Schätzchen,  Die scharf wie Messer, traun... vielleicht mit einigen Wörtern für einen Song  SCHWANENBEICHTEN  Auch die andere wollte gefallen  F*#k!!! Und versteckt ihre grausamen Krallen, Doch währt ihre Sanftmut nicht lang … Und im Zimmer, in Dämm’rung versunken… ICH WEISS… F*#k u all !!!… ERINNERUNGSFREUNDSCHAFTEN AUF GERASTERTEM PAPIER Manchmal arbeiteten wir draußen in VeniceWo ihr silbernes Lachen erklang? Wo ihr silbernes Lachen erklang, genau,  erglänzten vier Phosphorfunkenund schauten den Surfern zu. Wir waren viele zusammen und es war eine gute Zeit für jeden von uns. Mais qui… Acid, Sonne, Freunde…  PAUL? ENCORE UN VERRE DU VIN? Qui! Merci!  …das Meer, Poesie und Musik. & ÜBER ALLEN GIPFELN RÄUMUNGSVERKAUF-RAUSCH VON FAULEN FISCHEN Und wir, die überlebt die Niederlage, ach!  This is the end  O, NEIN… SOLANGE MICH NOCH FRAUEN IM ATELIER BESUCHEN…

(P.S. Der Theatermensch Schlingensief sagte mal: „Im Theater denken alle noch, sie würden uns ein Bild zeigen. Ich hab hingegen immer gedacht: Wir stehen doch alle selbst im Bild. Und fragte mich stets: WER HAT ES GEMALT? “ Schlingensief? Gerhard Richter? Picasso? Putin? Oder Assad? Vielleicht sogar Captain America? …  Kunst, Profanes, Heiliges, Trash und Philosophie. Dieses ganz besondere Menü der heutigen Kultur…wem soll das wirklich schmecken? Was weiß denn ich? Wir müssen uns auch mal in Rage und um Kopf und Kragen reden. Und uns umgibt Trash genauso wie Kunst; Wut wie auch Glück. Da muss neben Paul Verlaine auch Jim Morrison zu seinem Recht kommen. Und mal ehrlich: Wer sucht schon Gott ausschließlich in der Kirche? Oder am Tresen. In einem Kiosk, einem Theater oder meinem Atelier.)

(P.S. 2. Im Atelier komme ich vom Hölzchen auf Stöckchen. Durch Umwege erreiche ich hier mein Ziel. Durch Assoziationen. Durch Musik und Geplauder. Hier gibt es keinen Zwang zu Verwandtenbesuchen und keine Angst vor der Freiheit. Hier sitze ich und höre wie Charles Darwin mir leicht betrunken ins Ohr flüstert: „Es ist unerträglich, sich vorzustellen, ein Leben lang nur wie eine geschlechtslose Arbeitsbiene zuzubringen, nur Arbeit, Arbeit und nichts sonst… Mal dir nur eine nette, sanfte Frau auf einem Sofa aus.“ Und das tue ich. Ich male mir eine nette Frau, auf einem Sofa. Gerade erst hat sie mein Atelier betreten.)