Mein Atelier anstelle einer Löwengrube

Mein splitterbares Ich definiert sich nicht nur als Collagist, Maler, Zeichner, sondern gleichfalls als Troubadour. Das heißt, als einen Mann, der seine Liebsten ansingen, der sie anschmachten muss. Auf ewig. Und drei Tage lang. Wer auch immer von meinen Liebsten auf die Idee kommen würde, einen Handschuh in eine Löwengrube zu werfen, ich müsste hinterher, hinein in diese Löwengrube, um den Handschuh der Liebsten zu holen. Gottlob gibt es nicht mehr viele Löwengruben, in die jemand seinen Handschuh werfen kann. Was aber bleibt, das ist mein Atelier. Und meine Phantasie, die als Löwengrube fungiert. Wirft jemand seinen Handschuh in mein Atelier, meiner Phantasie vor die Füße, ich stürze mich sofort ins Abenteuer. Und werde beschenkt mit den sinnlichsten Momenten, den SAVOIR SAVOUREUX, köstlichem Wissen, das durch die einzigartige Begegnung mit Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen, Kulturen, Erinnerungen, mit unterschiedlichen Geschlecht, vermittelt wird. Wir begegnen uns, sollen uns begegnen. In meinem Atelier. In meiner Löwengrube. Dort lieben wir uns auf eine ganz bestimmte Art und Weise. Wir werden niemals fertig miteinander. Wir sind zu fragil. Nebelfiguren. Reine Schöpfungen der Phantasie. Eine Kausalkette der Imagination. Nackte Liebhaber und Liebhaberinnen von unaufführbaren Bühnenstücken auf einem runden Bett, mit Blick auf ein Meer von Farben. Ich wühle mich durch Höhlen aus Papier, Leinwänden und samtweichen Pappen. Farbige Tuschen geben meinem Himmel Ausdruck; fremdes Lachen verziert meinen Rücken. Ein einziges Lebevergnügen, dieses Leben in meiner Löwengrube, in meinem Atelier: Nackte Flüsterlaute massieren dort mein Verlangen in einem herrlichen Dunst von unzüchtiger Vergnügungen… Ich singe mit unglücklichem Bewusstsein. Denn ich weiß, das das, was ist, falsch ist. Nur ein Handschuh… nur ein einziger Handschuh, aus Traum, Trance, Wahn und Tod geformt, in eine Grube geschleudert…

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Ich weiß nicht, was soll es bedeuten!

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin; Als der Pfingstmontag heute früh gekommen war, befand ich mich immer noch am gleichen Ort. Also bei mir. Daheim. Und ein Märchen aus alten Zeiten, das kommt mir seitdem nicht aus dem Sinn.

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Die schönste Jungfrau sitzet irgendwo oben wunderbar, ihr goldenes Geschmeide blitzet, sie kämmt ihr goldenes Haar.

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Okay, mit Blick auf das zentrale Thema der verschmähten Liebe wollen viele heute eine autobiographische Komponente in diesem Märchen erkennen (Amalien-Erlebnis); das Kämmen mit dem goldenen Kamm wird als narzisstische Geste gedeutet.

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Andere sehen in dem Gedicht eine Auseinandersetzung mit der Romantik bzw. der romantischen Poesie, die in der Lore-Ley-Gestalt verkörpert sei.

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Benutzte Motive und Darstellungsmittel seien der Romantik und des Volkslieds entlehnt, um diese (durch Akkumulation und durch Übertreibung, auch durch übersteigertes Pathos) zu ironisieren und sich auf diese Weise zu distanzieren.

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Die Verbindung von Eitelkeit, Verführbarkeit und Vergänglichkeit weise zudem auf die Wiederbelebung der Vanitas-Motive in der Romantik hin.

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Herrje, da kommt plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daher fährt. Ich glaube, die Wellen verschlingen am Ende Schiffer und Kahn; Und das hat mit ihrem Singen die Lore-Ley getan.

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Naja, ich gebe zu, die Beschreibung der „Jungfrau“ steckt voller „Fehler“ oder Übertreibungen. In mehr als drei Bildern hintereinander lauten die Titel…

P1280805„Goldnes Geschmeide“…

P1280836„Goldenes Haar“…

P1280803„Goldener Kamm“.

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Dafür würde man normalerweise ein dickes, fettes, rotes „Wdh.“ kassieren. Unter dem Stichwort künstlerische Freiheit betrachtet würde ich dies als Übertreibung einstufen.

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Man darf jetzt ruhig der Meinung sein, dass sich der Künstler, moi, der berühmt dafür ist, seine Arbeiten oft ironisch zu unterwandern, in seinem eigenen Netz von Ernsthaftigkeit und Komik verstrickt hat.

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Was komisch gemeint ist, wird sehr ernst genommen, und falls er es doch ernst meint, dann wirkt es eher komisch.

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Und am Ende erscheinen dann auch noch diese Zungen, wie von Feuer, die sich verteilen.

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Auf jeden von seinen Gedanken lässt sich eine nieder. Alle werden mit dem Heiligen Geist erfüllt und beginnen untereinander in fremden Sprachen zu reden.

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Erste Zunge: „Tell me why?“  Zweite Zunge: „I don’t like Pfingst-Mondays.“  Dritte Zunge zu zweiter Zunge: „Tell me why?“  Zweite Zunge zu dritter Zunge: „I don’t like Mondays.“  Vierte Zunge mischt sich ein: „Tell me why?“  Zweite Zunge antwortet verärgert: „I don’t like Pfingst-Mondays. I want to shoot the whole day down.“  Fünfte Zunge: „Mag jemand mit mir die Zunge kreuzen?“  Sechste Zunge: „Klar. Ich. Gerne!“ Fünfte Zunge: „Klasse!“

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Ein Bruderkuss

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(Mach dir nichts draus, mein Bester. Meine Lehre war auch nur eine besondere und höchst einseitige Verwirklichung eines gut gemeinten Prinzips. Aber so ist das wohl, wenn man „verrückte“ Ideologien verwirklichen möchte. Well, never mind: we are ugly, but we have the music: Marschmusik und Choräle.)

Die seltsamen Abenteuer von Kirill Göttmann und mir

(Auftritt Kirill) „Ich bin einfallsreich“, sagt Kirill erregt. „Ich bin kreativ, ich bin jung, skrupellos, hoch motiviert, hoch qualifiziert. Will sagen, die Gesellschaft kann es sich nicht leisten, mich zu verlieren. Ich bin ein echter Aktivposten.“ In diesem ersten Augenblick strahlt die Leinwand so schneeweiß, wie noch nie. Reine Unschuld. Gerade wenn diese gelingen sollte, soviel weiß man schon jetzt, wird und muss es eine wahre Zumutung sein. Kirill regt sich wieder ab. Er starrte gerade erst noch aus einem schmutzigen Taxifenster, höchstwahrscheinlich auf das Wort FURCHT, das in Rot auf die Wand eines McDonald Restaurant gesprüht ist… Das Wort FURCHT, das in Rot auf die Wand eines McDonald’s gesprüht ist. FURCHT. Hörst du?, flüstert Kirill mir zu… FURCHT. Dann flüssiges Rot. Noch strahlender auf dem weißen Hintergrund. Blutstropfen natürlich. Oder? Das muss Blut sein! Es ist Sauce für einen großen Teller mit einem kleinen Häuflein nouvelle cuisine. Wie sich jetzt alles in Sekundenschnelle ereignet, Kopfbilder und Assoziationen, Lektüre-Erinnerungen und Vorahnungen etwaiger Gemütsproben zum Bewußtseinsstrom verdichtet, ironisch in die kalte Reinheit eines Nouvelle Cuisine-Tableaus auflösen, ist ein bewunderungswürdiger Auftakt: aber seid guten Mutes, Madame (sagt Kirill), und lasst Euch nicht durch leere Traumgespinste schrecken! Die meisten Geschichten sind einfach unverfilmbar, besonders gute; und diese hier erst recht: „Die seltsamen Abenteuer des Kirill Göttmann und mir.“ Hier versprechen Tränen und Prügel und manchmal auch Ermordung Profit und glücklichen Gewinn. Dagegen Lachen und Genuss von leckeren Süßigkeiten oder die lustvolle Vereinigung in Liebe sagen voraus, dass man mit seelischem und körperlichem Schmerz und sonstigen Schäden gepeinigt werden solle. Mit anderen Worten: Künstliche Bildung täuscht heutzutage die Natur vor. Hier pflegt die Göttin der Wälder, von der alltäglichen Jagd (nach Geld, Ruhm, Anerkennung, Aktienpaketen, Rentenversicherungen oder nur nach Liebe) ermüdet, erschöpft, zermürbt, sich zu erholen. Relaxen heißt das aktuelle Zauberwort. Relaxen. Ausruhen. Abschalten. Oder auch Chill out. Das Haar, das den Nacken umwallende Haar wird zu einem Knoten gefasst, bevor die Göttin sich ins Bade gleiten lässt. Völlig nackt. Aufseufzend. Zufrieden mit sich und der Welt da draußen. Hauptsache ist: die Welt blieb auch da draußen! Und sie, die Göttin, darf sich entspannen. Im Bade. So sollte es sein. Doch just in diesem Moment durchstreift meine Wenigkeit mit ungewissen Schritt (und meinem Freund Krill im Schlepptau) den unbekannten Wald. Und wir geraten in eben jenen göttlichen Hain. Die ganze Szene ist unverfilmbar. Aber zeichnen kann man sie. Oder es wenigstens versuchen.

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Ich möchte noch kurz aus dem Prospekt der Göttin zitieren: „Wir kümmern uns um Ihre Gesundheit und Vitalität durch umfassende Beratung und aufeinander abgestimmte Programme. Bei uns sollen sich Menschen jeden Alters gut aufgehoben fühlen. Unser qualifiziertes Team betreut unsere Mitglieder persönlich und individuell. Dabei legen wir großen Wert auf Ganzheitlichkeit. Unser vielfältiges Angebot im Bereich Rücken- und Fitnesstraining, Ausdauer-und Rehasport, Figurforming, Wellness, Entspannung und Physiotherapie wird Sie begeistern. Mit Unterstützung Ihrer persönlichen Trainer werden Sie schnell ihre Ziele erreichen: Lecker Frühstück.“ (Zitat Ende) Dies sollte also unser aller Verhängnis sein. Oder unsere Bestimmung: Frühstück im Freien!?

 

Die Liebe, wie meine Kunst…

Die Liebe, wie auch meine Kunst… ist zwangsjackenschön!

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Fliederlos ist dein Haar, dein Antlitz aus Spiegelglas. Von Auge zu Aug zieht die Wolke, wie Sodom nach Babel: wie Blattwerk zerpflückt sie den Turm und tobt um das Schwefelgesträuch.

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(Die Gedichtzeilen sind Paul Celan entliehen)

 

Rumpelstilzchen?

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Ach, Geschichten in denen arme Müllerstöchter herum flanieren, sind mir schon immer sehr suspekt gewesen. Und wenn die dann auch noch Stroh zu Gold spinnen wollen, war für mich die Geschichte von vornherein absolut uninteressant.

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Es soll ja eine verlockende Kunstform sein, sein Stroh in Gold verwandeln zu wollen. Und die Kunstmessen der Welt sind voll von diesen traurigen Versuchen. Aber für mich ist das nichts. Alles nur Dekor.

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All diese Galeristen, die zu ihren Künstlern sagen: „Jetzt mache dich an die Arbeit, und wenn du die ganze Nacht durch bis morgen früh dieses Stroh nicht zu Gold versponnen hast, so musst du sterben.“ Dann sitzen die Müllers- und oder Künstlertöchter und -söhne herum und wissen sich keinen Rat.

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„Guten Abend, Jungfer Müllerin“ würde ich denen u.a. zurufen. Und „Warum weinst du so sehr?“ würde ich nur wenig später wissen wollen.

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Die Antwort wäre, denke ich, immer die gleiche: „Ach, ich soll Stroh zu Gold spinnen und verstehe das nicht.“ Tatsächlich. Ein Blick auf die herumstehenden Arbeiten genügte, um sich bewusst zu werden, dass die Jungfer Recht mit ihrer Aussage hätte. Wohin das Auge schauen würde: abscheuliche Arbeiten. Stroh wohin man blickte. „Was gibst du mir, wenn ich dir`s spinne?“ würde ich fragen.

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Und was würde die Jungfrau mir für so eine Spinnerei geben? Ein Halsband! Ein blödes Halsband! Sehe ich etwa so aus, als ob ich ein Halsband nötig hätte?

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Bin ich ein Hund?!?! Aber so sind sie, diese Strohgoldspinner: irgendwie nicht richtig bei der Sache. Dann würden einige mir, noch zu dem Halsband, den Ring von ihrem Finger geben. Als ob ich Liberace oder Markus Lüpertz wäre. Andere würden mir sogar aus Geltungssucht ihr erstes Kind anbieten. Ist das zu fassen? Nur um Stroh in Gold zu verwandeln und auf einer Messe, in einer Galerie zu glänzen…

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„Hey, glaubt ihr etwa ich bin Rumpelstilzchen? So ein Heute-back-ich-morgen-brau-ich-übermorgen-hol-ich-der-Königin-ihr-Kind-Typ? Ihr seit ja nicht ganz dicht. Ehrlich: I am what I am, I am my own special creation, So come take a look, Give me the hook or the ovation, It is my world, That I want to have a little pride in, My world, And it is not a place I have to hide in, Life is not worth a damn, Till you can say, I am what I am…

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I am useful, I am, I am, I am true, I am, I am somebody, I am as good as you, ah ha, Ah ha, ooh ooh ooh ooh yes I am, Ah ah ah ah, Doo doo doo doo I am, I am, I am, I am… ich sag doch: ich könnte für euch einwenig herum spinnen… aber sonst nichts.“ Herrje, diese Strohgoldspinner, wie die aus der Wäsche schauen würden.

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„Du bist nicht… Rumpelstilzchen?“ „Nein.“ „Heißt du Rippenbiest?“ „Nö, auch nicht.“ „Hammelswade?“ „Nein.“ „Bist du Schnürbein?“ „Nein… I am what I am…“ Ein barocker Minimalist. Und wie definiert man einen barocken Minimalisten? Ganz einfach…:

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…verfault!? Oder einfach nur…  ach, wer weiß?

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I Am What I Am

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Ein kurzer Artikel, ich weiß. Passt eigentlich nicht zu mir, liebe ich doch die Kunst des Fabulieren, die barocke Lust des Ausschmücken… aber für heute muss es reichen.

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Im Land der Fantasie(n)

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Wenn ihr Freunde vergeßt, wenn ihr die Euern all, O ihr Dankbaren, sie, euere Dichter schmäht, Gott vergeb es, doch ehret nur die Seele der Liebenden. Denn o saget, wo lebt menschliches Leben sonst, da die knechtische jetzt alles, die Sorge, zwingt? Darum wandelt der Gott auch sorglos über dem Haupt uns längst. (Hölderlin; Die Liebe)

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Pflanze auf meine Lenden deiner Liebesküsse Raserei: Sieh: mein Schrei brüllt wie eine Fackel auf zu Weltenbränden. Lass die Sterne bleich ins Nichts verrinnen, lass die Erde sich in Asche modern, wir im Welteninnen werden wie die Hölle ewig lodern. (Klabund; Wir im Welteninnen)

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Besser gesagt, Wirklichkeit verlor ihre Anführungszeichen, die sie wie Klauen trug – in einer Welt, wo unabhängige und schöpferische Geister sich an Dinge klammern oder Dinge auseinanderreißen müssen, um Wahnsinn oder Tod (der der Hauptwahnsinn ist) abzuwehren. (Vladimir Nabokov)