Selbdritt (oder mit anderen Worten: ich glaube, dies ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft)

Ein Verwandter ist angeblich ein Teil unseres Leibes. Ein Freund dagegen sei Teil unserer Seele. Das sagt man leicht so dahin. Wenn ein Teil der eigenen Seele aber das Gefühl hat wirklich von jemand anderem wahrgenommen zu werden, dann ist das halt ein sehr schönes Gefühl. Ein besonderes Gefühl. Der Grund für meinen besonderen Artikel hier ist nachfolgendes Bild und (weiter unten) die Reaktion darauf.

Lieber Detlef Bach,

als ich gestern mal wieder nach Leipzig zurückkehrte, fand ich Ihre Post vor. Ihr Original. Ihr köstlich-kostbares „Detlef selbdritt“-Opus. Ich bin wirklich gerührt davon – und danke Ihnen mit tiefer Verbeugung. Den ‚Joker‘ haben Sie vom Wort ins Bild übersetzt, hinübergerettet dorthin, wo er seinen richtigen Platz hat – und sind nun selbst in seine Rolle geschlüpft. Ihrerseits jokerhaft facettenreich, sichtbar und unsichtbar zugleich. Sir David schwebt gleichsam über uns. Und so ist alles am rechten Platz: perfekt!

Das Bild bekommt einen Ehrenplatz, das ist keine Frage. 

Einen schönen, heiteren, kaffeeerfüllten Sonntag für Sie!

Dankbar Ihr Wolfgang Ullrich

„drink me“ (um mehr zu sehen, mehr zu hören und mehr zu fühlen)

Das früheste Erlebnis der Kunst muss ihr Erlebnis als Mittel der Beschwörung, der Magie gewesen sein; die Kunst ist ein Instrument des Rituals. „One pill makes you larger / And one pill makes you small / And the ones that mother gives you / Don’t do anything at all / Go ask Alice when she’s ten feet tall…“ summte es in meinem Kopf. Lange war ich unterwegs gewesen. Nun war ich in ein diffus beleuchtetes Zimmer gelangt. Ich lag nur da, auf dem Schoß einer Königin, wie mir schien, als plötzlich mein Blick auf ein kleines Fläschchen fiel. Ein Zettel mit den Worten „drink me“ war daran befestigt, aber es war mir unmöglich, eingeschnürt wie ich war, den Pfropfen heraus zu ziehen und das Fläschchen an meine Lippen zu setzen.

„Ich weiß, etwas Merkwürdiges muss geschehen, sobald ich das trinke; drum will ich versuchen, was dies Fläschchen und sein Zettel von mir verlangen“, dachte ich bei mir. „Ich hoffe, es wird mich wieder größer machen; denn es ist mir sehr langweilig, solch winzig kleines Ding zu sein!“ Sehr richtig. Wenig später und zwar schneller, als ich erwartet hatte, ehe ich das Fläschchen halb ausgetrunken hatte (wie auch immer dies mir gelungen war), fühlte ich, wie mein Kopf an die Decke des Zimmers stieß. Da erkannte ich, das es mein eigenes Künstleratelier war. Ich musste mich rasch bücken, um mir nicht den Hals an einer Staffelei zu brechen. „Das ist ganz genug – ich hoffe, ich werde nicht weiter wachsen – ich kann so schon nicht zur Türe hinaus – hätte ich nur nicht so viel getrunken!“ O weh! es war zu spät, dies zu wünschen. Ich wuchs und wuchs, und musste sehr bald auf dem farbverschmierten Fußboden niederknien; den nächsten Augenblick war selbst dazu nicht Platz genug, ich legte mich nun hin, mit einem Ellbogen gegen die Tür des Ateliers gestemmt und den andern Arm unter dem Kopfe. Immer noch wuchs ich, und als letzte Hilfsquelle streckte ich meinen Arm zum Fenster hinaus und einen Fuß in einen Lüftungsschacht hinauf, und sprach zu mir selbst: „ When logic and proportion have fallen sloppy dead / And the white knight is talking backward / And the red queen, she’s off with her head / Remember what the dormouse said / Feed your head, feed your head, feed your head…“  Ich musste das Atelier verlassen und irrte draußen verloren wie auf einer Kunstmesse umher… Müde legte ich mich nieder. „Irgendwann in der Vergangenheit, zu einer Zeit, als hohe Kunst selten war, muss es einmal ein revolutionärer und schöpferischer Akt gewesen sein, Kunstwerke zu interpretieren“, flüsterte ich im Traum mir zu. „Heute ist das nicht mehr der Fall. Denn eine Interpretation setzt ein sinnliches Erlebnis des Kunstwerks als selbstverständlich voraus und basiert darauf. Aber dieses sinnliche Erlebnis, meine ich, nur durch die geöffneten Sinne kann man das Schöne und Anregende dieser Welt erfahren, dies lässt sich heute nicht mehr ohne weiteres voraussetzen… “

(Textfragmente von Susan Sontag, Jefferson Airplane, Lewis Carroll)

Ein Genie. Ein Kuss.

„Das Genie (…) ist eine ursprüngliche, eruptive Kraft. Das heißt: Das Genie wirkt nicht in bewusster Absicht; es beherrscht nicht, was es tut. Es kann nicht einmal beschreiben, wie es sein Tun vollbringt, und damit auch nicht lehren, wie sich das schaffen lässt, was es selbst schafft.“ (schreibt Wolfgang Ullrich in „Gesucht: Kunst! / Phantombild eines Jokers“)

Tja, das ist ja jetzt dumm… ich meine, da schreib ich und schreib ich und beschreib es, was immer es ist, am Ende doch nicht. Was soll´s? Seid umschlungen, ihr Millionen Zeilen! Und diesen Kuss der ganzen Welt! Mein Kuss, ein rosig Pünktchen auf das »i« in Liebe gesetzt. Ein Geheimnis ist’s, das dem Mund und nicht dem Ohr verraten wird. Na, wenn das nicht klingt. Und einiges über mich verrät.

Kunstplaudern

Lieber Detlef Bach,

Ich finde Ihre Haltung der Gelassenheit sehr klug und souverän. Ja, man wartet, aber nicht weil man sich auf ein Ziel fixiert, sondern weil man halb neugierig, halb belustigt (und natürlich immer auch ein wenig zweifelnd-hadernd) schaut, was die Kontingenzen des Lebens einem so bringen.

Seien Sie sehr herzlich gegrüßt von

Ihrem Wolfgang Ullrich

 

Geniale Monster

Monster, Narren, gebrochene Helden, Melancholiker und Mörder, Verliebte und Traumtänzer. Durch die Kunst braust der Sturm des Wahnsinns und der Poesie, der Aufruhr der Liebe, des Hasses, des Zorns und der Verzweiflung. Doch nun ist die Welt aus den Fugen geraten. In Manchester wird ein Gemälde abgehängt, in Berlin soll ein Gedicht von der Wand verschwinden – und Kevin Spacey wurde aus dem Film „Alles Geld der Welt“ herausgeschnitten.

„Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“ – Friedrich Nietzsche; Jenseits von Gut und Böse

Sex ist gut fürs Denken

Im Feuilleton der Zeitung DIE ZEIT stieß ich unter obiger Überschrift vor geraumer Zeit auf einen Artikel über den französischen Schriftsteller Nicolas Edme Rétif de la Bretonne. Dieser Meister eines reflektierten Erotizismus besaß, so stand es in der Zeitung geschrieben, eine Vorliebe für wohlgeformte Füße. Er behauptete gerne, „dass nur, wer eine Frau so obsessiv begehrt wie ihre Füße, wirklich zum Kern vordringt, nur er wird die Angebetete so bedienen, dass sie selber zum Höhepunkt kommt.“ Scheint, als ob Rétif de la Bretonne ein sehr guter Troubadour war. Wie ich für meine Anima, denke ich… immer noch bin. Wie vor langer Zeit. So heute. Immer. Ewig.

„O, Anima, der Stoff ist das Mögliche, die Form das Wirkliche. Liebste Anima.“

Meisters Lehrjahre

Der Meister hat jungenhafte Züge. Man ist sich über sein Geschlecht jedoch nicht absolut sicher. Ist er ein Junge, ein lieblich weibliches Wesen oder gar beides: ein Künstler?

„Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn, / Im dunklen Laub die Goldorangen glühn, / Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, / Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht? / Kennst du es wohl? / Dahin, dahin / Möcht ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn! – Bist du schon dort gewesen, mein lieber Kleiner?“ wird der Meister auf dem obigen Bild gefragt.

Doch ich war still und nichts war aus mir zu bringen.

Das Haar der Berenike. Und meine Bilder.

Susanne fragte mich, ihre Stimme hatte dabei eine liebevoll amüsante Nuance angenommen, ob ich denn wisse, dass kaum noch jemand gerne lesen würde. Nicht im Internet. Wenn doch, dann aber bitte nicht, und an dieser Stelle lachte sie kurz auf, barocke Blogeinträge von epischer Länge. Nun, das mag wohl so sein, entgegnete ich und spiegelte dabei gerne und bewusst ihr Lächeln wieder. Ich schriebe ja auch gar nicht für die, die nicht gerne lesen, antwortete ich wahrheitsgemäß. Meine eigentliche Freude, meine Bestimmung sei es, das „Haar der Berenike“ zu kämmen, einem Sternbild zwischen Löwe und Bärenhüter, einer Spiralgalaxie aus dem Licht von Abermillionen Sonnen. Während ich deren güldenes Haar zart zurechtlege, so erklärte ich, säße ich meist auf der roten Couch in meinem Atelier und würde glückselig vor mich hin murmeln. Ein Schreiberling, der zu Füßen der schönen Berenike kauern würde, stenografiere meine Liebeslitaneien mit und stelle diese später ins Netz. Oder anders formuliert, er hinterlässt seine Zeilen zwischen den Sternen eines imaginären Himmels. „Sterne?“ griff Susanne meine Aussage auf, so als ob sie staunend ein Kaleidoskop mit seinen bunten Glassteinen betrachten würde, die man durch Drehen bewegen kann, so dass durch sich verändernde Spiegelungen stets neue Muster erscheinen. Um die letzte Frage zur vollsten Zufriedenheit zu beantworten, sah ich mich gerne genötigt zu verdeutlichen und offenbarte ihr: „Mit Sternen meine ich jetzt meine Bilder.“

(Ein träumender Stern)