Bach spielt Bach

Ich weiß, dass Reisen im 18. Jahrhundert mit großen Strapazen und Gefahren verbunden waren. Denn die Reisegeschwindigkeit mit den damaligen Postkutschen betrug im Durchschnitt nur 4,5 km in der Stunde. Im Schnitt wohl bemerkt. Und auf unbefestigten Straßen war man zudem stets der Witterung und nicht selten sogar Straßenräubern ausgesetzt. Johann Sebastian Bach, nur so zum Beispiel, unternahm im Laufe seines Lebens mindestens 60 Reisen, die ihn von Thüringen bis Norddeutschland, sowie nach Hessen und Böhmen führten. Als ein „eingebildeter“ Nachfahre des großen Komponisten nenne ich meine Programme und BLOGeinträge deshalb auch gerne „Bach spielt Bach“. Ich schiebe dazu immer ein Klavier vor mich her und ergötze mich schnell an den lodernden Erwartungen meiner Beobachter und Zuschauer, den Voyeuren auf den hinteren Plätzen oder zwischen den Buchsbaumhecken in der Nachbarschaft.

Bach spielt Bach_Detlef Bach 2016

Gerne zitiere ich in meinen Programmen Belege, wie zum Beispiel Gasthofrechnungen und Quittungen, die Johann Sebastian Bach seinerzeit auf seinen Reisen gesammelt hat. Die Beobachter im Gebüsch zischeln enttäuscht: „Ungeil!“ Und: „Das bringt mich echt nicht weiter“. Nun…. mich auch nicht! Unterhaltungs-Programme sollten einen aber immer weiterbringen. Wie auf einer Reise. Obwohl… ich bin mir nicht so sicher. Meine Damen und Herren, man sagt das immer recht schnell daher, und wie ich meine, zudem äußerst leichtsinnig: Reisen bildet. Oder mit anderen Worten: Reisen machen schlau. Aber diese Annahme ist falsch. Das ist ganz falsch. Ich habe das regelrecht ausprobiert. Ich hatte mir, einfach mal nur so zum Beispiel, vor Jahren New York angeschaut. Sie wissen schon: New York, dieser magische Ort der Verzauberung. New York: eine Stadt, bekannt aus Comicverfilmungen, Hörfunksendungen und Fotografien, die Bekannte einem immer zeigen, wenn die schon mal in New York waren. Immer nur zum Shoppen, wie sie dann hinterher immer sagen. Immer nur zum Shoppen. Einkaufen kann ich ja in jeder Umgebung. Aber Shoppen? Shoppen: Das ist New York! „Ich fliege mit zwei leeren Koffern hin. Und komme mit zwei vollen Koffern heim.“ Das nenn ich New York. Und die weltberühmten Gebäude! „Die musst du gesehen haben. Unglaublich!“ Da kann man mal wieder sehen, wie schnell jeder von uns von Thüringen nach New York kommt. In 352 Wörtern. Ach, wissen Sie was: „New York ist ungemütlich und anstrengend. Aber die New Yorker sehnen sich von der Veranlagung her nicht nach Behaglichkeit und Komfort – sonst würden sie anderswo leben.“ In Wuppertal zum Beispiel, über das Heinrich Böll einmal schrieb: “Lange Zeit habe ich geglaubt, Wuppertal bestehe nur aus Bahnhöfen, aneinandergereiht, um die Lokführer nicht übermütig werden zu lassen, sie das Bremsen, Anfahren, Bremsen zu lehren.“ Okay… okay… Jeder hat so seine eigenen Vorstellungen vom Reisen. Für den einen ist der Gang in die Küche oder das Schlafzimmer schon ein wildes Abenteuer. Für einen anderen muss es eben New York sein, um sein Glück zu finden. Wegen mir. Sehen Sie, Christoph Kolumbus fand Amerika. Ich dagegen bin schon zufrieden, wenn ich spät abends eine Frikadelle im Kühlschrank entdecke. Die Geschmäcker sind nun einmal verschieden. Der eine nimmt ein Schiff und kommt mit vollen Koffern heim. Ich nehme lieber Senf. Und so, wie der Senf gerne im 17. Jahrhundert ungefragt zum Essen serviert wurde, so verhält es sich auch heute noch mit Menschen, die ihre Meinung kundtun, obwohl diese gar keiner hören möchte. Man gibt „seinen Senf dazu“. Oder um mit Immanuel Kant hier enden zu wollen: „Meinen geliebten Senf rühre ich ja bekanntlich selbst an.“ Und mache daraus einen Artikel wie diesen hier.

(Foto: Bettina Osswald; www.photographie-osswald.de)