Mein heiliges Verhängnis

Neben „Nur die Tatsache des eigenen Zweifels ist unbestreitbar“ von René Descartes hing ein ganz bestimmtes Epigramm von Heinrich von Kleist an einer Wand meines Jugendzimmers. „Was ich fühle, wie drücke ich es aus, der Mensch ist doch immer, selbst auch im Kreis liebster Freunde, allein.“ Jahrzehntelang habe ich versucht die Texte des Dichters zu lesen, zu entschlüsseln. Aber das Werk blieb mir unverständlich und verschlossen. Sein „Prinz von Homburg“ wurde bei mir eher in einen Prinz von Humbug verwandelt. Der Dichter möge es mir verzeihen. Später in meinem Leben stellte sich die Frage, ob es generell nicht sehr gesundheitsschädlich sein könnte, sich von Menschen, die zugleich auch noch Künstler sind oder waren, inspirieren zu lassen.

Ist es ratsam Künstlern Aufmerksamkeit zu schenken, die sich selbst das Leben nahmen? David Foster Wallace, Bernd Alois Zimmermann schrieben ihre fulminanten Schlüsselwerke („Unendlicher Spass“ und „Requiem für einen jungen Dichter“), um danach ihrem Leben ein Ende zu setzen. Heinrich von Kleist bettelte zeitlebens um einen Menschen, der mit ihm den Freitod buchstäblich zelebrieren sollte. Was kann ich von solchen Künstlern lernen? Der Schriftsteller Stefan Zweig wies mir den Weg. Er schrieb u.a.: „Jeder geistige, jeder schöpferische Mensch gerät unverweigerlich in den Kampf mit seinem Dämon, und immer ist es ein Heldenkampf, immer ein Liebeskampf.“ Ich lehne es ab zu behaupten, dass dergleichen so etwas wie mein Kampf sei. Einem Liebeskampf stelle ich mich dagegen nur allzu gern. Jederzeit. Mit allem was ich habe, mit meiner ganzen Kunst.

Ich fordere Heinrich von Kleist zum gemeinsamen Tanz auf; und fertige nebenbei analog-digitale Skizzen zu seinem Werk an. Mache mir auf diese Weise Gedanken zu meinem eigenen Schaffensprozess. Wollüstig jagen wir beide, wie in einem Traum, unsere innersten Gestalten „in die äußersten Möglichkeiten hinab, wohl wissend, dass (sie uns) mitreißen würden in das heilige Verhängnis.“ (Noch einmal Stefan Zweig. Der Schriftsteller verstarb am 23. Februar 1942. Todesursache: „Einnahme von Gift – Suizid“. Der Grund seines Selbstmordes: Die Zerstörung seiner „geistigen Heimat Europa“, wie er es in seinem Abschiedsbrief formulierte.)

Exaltierte Gefühlsformen

Wenn Freiheit bedeutet, dass wir etwas sagen können, dass andere nicht hören wollen, dann ermöglicht Bildende Kunst etwas zu kreieren, was andere nicht sehen möchten. Meine Autonomie als freier Künstler erlaubt es mir sogar Dinge zu malen, die ich selber nicht für möglich gehalten habe. Diese Freiheit nehme ich mir allzu gerne.

Ausgehend von einer wirklich alten Zeichnung meinerseits, die ich als Jugendlicher machte, fast noch ein Kind, und mit Hilfe von einem Freund, der meine (Kinder)Zeichnung in den letzten Wochen einer KI anvertraute, vertiefte ich mich in die Lektüre von Heinrich von Kleist. Seine Texte über das Marionettentheater ließen vor meinem inneren Auge verwirrendste Bilder entstehen.

„Übergänge und Verwandlungen…undurchdringliche Unklarheit des erotischen Verlangens.“ So Stefan Zweig über den Dichter Kleist und seine Kunst. Zweig könnte so auch gerne über mich urteilen.

Welche Folgerungen ich über meine kleinen, dramatischen Burlesken ziehen werde bleibt abzuwarten. Auch diese Freiheit nehm ich mir.

Ich singe in Bildern

Über was singen meine Bilder? Ich lausche und höre es genau: „Ich singe den Leib, den elektrischen, / Die Heerscharen derer, die ich liebe, umgürten mich, und ich umgürte sie /… / Die Liebe zum Leib eines Manns oder Weibes spottet jeglicher Rechenschaft / … / Der männliche ist vollkommen und der weibliche ist vollkommen. /…/ Hast du jemals eines Weibes Leib geliebt? / Hast du jemals eines Mannes Leib geliebt? /… / … dies sind nicht die Teile und Gedichte des Leibes allein, sondern der Seele, / O nun sage ich, sie sind die Seele!“ … WOW … (Walt Whitmann & ich)

Verknüpfte Episoden

„Ich bin wie ein läufiger Hund, der Autos nachjagt! Ich wüsste gar nicht, was ich tun würde, wenn ich mal eins erwische…“ So der JOKER im Film „The Dark Knight“. Ganz ähnlich verhält es sich bei mir als Künstler. Stets jage ich (halbherzig) dem einen wichtigen Bild hinterher. Denn ich wüßte auch nicht, was ich noch tun sollte und könnte, wenn es mir eines Tages gelänge, es tatsächlich zu malen. Stattdessen bringe ich lieber weiterhin die unterschiedlichsten Episoden meines Lebens zusammen, knüpfe Zeiten zusammen, die sich vordem gar nicht (er)kannten.

Art TV

so sind sie nun einmal –  oft in den Schlamm verirrt und beinahe verliebt, bis sie den Irrlichtern um die Sümpfe herum gleich werden und sich zu Sternen verstellen

Byron, Musset, Poe, Leopardi, Kleist, Gogol… (Friedrich Nietzsche)

Gefühlsecht

Ein Gedanke, so beschreibt es Raoul Schrott, sein niemals leibhaftig, aber stets bildhaft. Für meine Kunst gilt, sie steht oder liegt leibhaftig vor, ist Material geworden, hat Formen angenommen, ist sie aber wirklich bildhaft? Oder gleicht sie nicht viel eher einem Gedanken? Ich suche hier gar nicht erst nach Worten, die meine tieferen Erregungen beschreiben könnten … dafür habe ich schließlich meine Bilder.