Tiefe Überzeugung

Hinter den Kulissen in meinem Marionettentheater arbeiten in der Requisite, der Inspizienz, in der Dramaturgie, in der Gewandabteilung und in den Werkstätten die Dichter Heinrich von Kleist und Friedrich Hölderlin. Aber auch Antigone und Batman sind vor Ort, Erwin Schrödinger oder Fred Feuerstein. Auf meiner Bühne tummeln sich Flüsterlaute. Dean Martin und Sammy Davis Jr., Klaus Kinski und Arno Schmidt spielen ihre Rollen. Mein (Kunst-)Stück präsentiert obszöne Bagatellen und dramatische Burlesken. Es ist mir ein Fest. Und all das hilft mir bei der ständigen Suche nach dem Bild, nach dem Bild vom Leben. Ein Bild oder ein Name für des Zentrum meines Ichs, der Urgrund meiner Suche. Kunst als eine Weltgewinnung.

Mein heiliges Verhängnis

Neben „Nur die Tatsache des eigenen Zweifels ist unbestreitbar“ von René Descartes hing ein ganz bestimmtes Epigramm von Heinrich von Kleist an einer Wand meines Jugendzimmers. „Was ich fühle, wie drücke ich es aus, der Mensch ist doch immer, selbst auch im Kreis liebster Freunde, allein.“ Jahrzehntelang habe ich versucht die Texte des Dichters zu lesen, zu entschlüsseln. Aber das Werk blieb mir unverständlich und verschlossen. Sein „Prinz von Homburg“ wurde bei mir eher in einen Prinz von Humbug verwandelt. Der Dichter möge es mir verzeihen. Später in meinem Leben stellte sich die Frage, ob es generell nicht sehr gesundheitsschädlich sein könnte, sich von Menschen, die zugleich auch noch Künstler sind oder waren, inspirieren zu lassen.

Ist es ratsam Künstlern Aufmerksamkeit zu schenken, die sich selbst das Leben nahmen? David Foster Wallace, Bernd Alois Zimmermann schrieben ihre fulminanten Schlüsselwerke („Unendlicher Spass“ und „Requiem für einen jungen Dichter“), um danach ihrem Leben ein Ende zu setzen. Heinrich von Kleist bettelte zeitlebens um einen Menschen, der mit ihm den Freitod buchstäblich zelebrieren sollte. Was kann ich von solchen Künstlern lernen? Der Schriftsteller Stefan Zweig wies mir den Weg. Er schrieb u.a.: „Jeder geistige, jeder schöpferische Mensch gerät unverweigerlich in den Kampf mit seinem Dämon, und immer ist es ein Heldenkampf, immer ein Liebeskampf.“ Ich lehne es ab zu behaupten, dass dergleichen so etwas wie mein Kampf sei. Einem Liebeskampf stelle ich mich dagegen nur allzu gern. Jederzeit. Mit allem was ich habe, mit meiner ganzen Kunst.

Ich fordere Heinrich von Kleist zum gemeinsamen Tanz auf; und fertige nebenbei analog-digitale Skizzen zu seinem Werk an. Mache mir auf diese Weise Gedanken zu meinem eigenen Schaffensprozess. Wollüstig jagen wir beide, wie in einem Traum, unsere innersten Gestalten „in die äußersten Möglichkeiten hinab, wohl wissend, dass (sie uns) mitreißen würden in das heilige Verhängnis.“ (Noch einmal Stefan Zweig. Der Schriftsteller verstarb am 23. Februar 1942. Todesursache: „Einnahme von Gift – Suizid“. Der Grund seines Selbstmordes: Die Zerstörung seiner „geistigen Heimat Europa“, wie er es in seinem Abschiedsbrief formulierte.)

Millisekunden einer Ewigkeit

Ob schreiben oder malen oder zeichnen / jede tätigkeit ist denken / beizeiten auch ein denken vor dem eigentlichen denken / kunst zu betrachten bedeutet demnach jemandem beim denken zu beobachten / oder direkt seine gedanken zu betrachten / blitzlichtartige millisekunden für eine ewigkeit eingefangen

Verflochten mit sich spiegelnden Lebensbereichen

Die eigene Kunst als Asservatenkammer von sichergestellten Begehren, Ängsten, Kinderanalysen, Aggressionen (in der Reife hoffentlich gelungen erfolgreich zu sublimieren), Schuldgefühlen, Lüsten, Traumata. Zugleich Inventarliste(n) von immateriellen als auch materiellen Vermögenswerten in Form all meiner Bilder, Zeichnungen, Collagen, meinem gesamten Werk.

Widersprüchlichen Impulsen gehe ich nach / Mein Spiegelbild wirkt dabei nicht labiler als sein Gegenüber / Beide sind sie wohl verkehrt / Unlösbar auf etwas fixiert / Was sich zwischen uns abspielt / Was uns verwandelt / Da ist dieser Moment / Indem alles kippt / Eine Zwischenstufe die gegen Null läuft / Weniger als ein winziger Augenblick / Ein blosses Blinzeln / Von einer Seite zur anderen hinüber / Eine Fluidität meiner Existenz

Nur deshalb…

Mein gleichgeschlechtlichen Begehren / Ich liebe meine Kunst / Meine Kunst liebt mich zurück / Resultiert nicht aus masochistischer Selbstverachtung / Nicht aus Bedürfnis nach Kontrolle / Um eine tiefe Leere / Meine Resignation / Und Hoffnungslosigkeit zu überwinden / Meine Kunst dient meinem Bedürfnis / Mich selbst zu stimulieren / Deshalb…

Eine Larve mit zwei Gesichtern

Die totgeborene Schwester wird lebendig in meinem Larvenbild. Es gilt ihr zu zeigen, was sie im Leben versäumt. Ihr lege ich meine Bilder zu Füßen. Wo ich bei anderen nicht hinhöre, da darf sie mich kritisieren. Ihr versuche ich ähnlich zu werden. Will ihre Stimme aus Porzellan in mir hören, eine Stimme, die imstande ist zu erzählen von einem Tod, der schon vor dem Leben kam.

„Liebste Camass, Dein Herz aus Kaolin, Quarz und Felsspat, bebrannt bei 900 bis 1000 Grad Celsius, viel zu heiß und viel zu groß, als das es Platz in Deiner Brust finden könnte. Dein Tod kühlte alles ab, ließ Dein Herz wieder schrumpfen und legte es in Deinen Körper zurück. Dein Herz hörte nie auf zu schlagen, weil meine Gebete es wachhielten bis in alle Ewigkeit. Und weit darüber hinaus. Meine Küsse, die ich Dir im Traum zuwarf, sie legten die zauberhafte Glasur für Deine Haut fest. Ich mischte die Tonmineralien an, um sie als Dein Bruder und Porzellanmaler zu färben mit Gold- und Platinnuancen…“ 

Unterhaltung/Kultur

Meine Kunst ist nicht dafür da, um vordergründig zu unterhalten, um über Plüschmöbeln ihr Dasein zu fristen; meine Kunst wirft vielmehr schwarze Schatten aus Porzellan. Meine Bilder existieren durch und in jenen transluzenten Scherben, die in ihrer partiellen Lichtdurchlässigkeit Erkenntnis erst möglich machen… Sie setzen mir eine Krone auf, aus diesem ganz speziellen Material.