Ich mach mir (k)ein Bildnis

„Du bist nicht“, sagt der Enttäuschte oder die Enttäuschte, „wofür ich Dich gehalten habe.“

Und wofür hat man sich denn gehalten? Für ein Geheimnis, das der Mensch ja immerhin ist, ein erregendes Rätsel, das auszuhalten wir müde geworden sind. Man macht sich ein Bildnis.

Das ist das Lieblose, der Verrat, weil unsere Liebe zu Ende geht, weil ihre Kraft sich erschöpft hat, darum ist der Mensch fertig für uns. Er muss es sein. Wir können nicht mehr! Wir künden ihm die Bereitschaft, auf weitere Verwandlungen einzugehen.

Wir verweigern ihm den Anspruch alles Lebendigen, das unfassbar bleibt, und zugleich sind wir verwundert und enttäuscht, dass unser Verhältnis nicht mehr lebendig sei. „Du bist nicht“, sagt der Enttäuschte oder die Enttäuschte, „wofür ich dich gehalten habe.“

Und wofür hat man sich denn gehalten? Für ein Geheimnis, das der Mensch ja immerhin ist, ein erregendes Rätsel, das auszuhalten wir müde geworden sind. Man macht sich ein Bildnis. Das ist das Lieblose, der Verrat…

Du sollst dir kein Bildnis machen, heißt es, von Gott. Es dürfte auch in diesem Sinne gelten: Gott als das Lebendige in jedem Menschen, das, was nicht erfassbar ist. Es ist eine Versündigung, die wir, so wie sie an uns begangen wird, fast ohne Unterlass wieder begehen – Ausgenommen wenn wir lieben. ( aus: Max Frisch: Tagebuch 1946-1949 (Suhrkamp Taschenbuch 1148), Frankfurt: Suhrkamp 1985, S. 27-32)

Wortart: Substantiv, Neutrum

Gebrauch: gehoben

Worttrennung: Bild |nis

Bildliche Darstellung eines Menschen; Porträt

Beispiel: Das Bildnis von Detlef Bach, eines alten Mannes

Betonung: Bịldnis

Lautschrift: [‚bIltnIs]

Ich mach mir (k)ein Bildnis, denn…

(Gedicht: Lawrence Ferlinghetti)