Im Entwurf, da zeigt sich das Talent, in der Ausführung die Kunst

Berühren sich die Zeigefinger Gottes und Adams auf Michelangelos berühmtem Deckenfresko in der Sixtinischen Kapelle? „Die meisten Leute glauben, sie berühren sich. In 80 Prozent der Literatur und sogar auf der Homepage des Vatikans ist von einer ,Berührung‘ die Rede“, sagt David Hornemann von Laer. Der 1971 in Hamburg geborene Kunsthistoriker, der an der Universität Witten/Herdecke lehrt, hat über das Deckenfresko seine Habilitationsschrift verfasst und wirft einen erfrischend direkten Blick auf das berühmte Bild. Er schreibt klipp und klar: In Wahrheit berühren sich die Finger nicht. „Darin liegt gerade die Spannung, die Dramatik des Bildes“, sagt der Wissenschaftler. Gewiss strecken sich Gottes und des Menschen Hand einander entgegen, gewiss weisen ihre Fingerspitzen aufeinander zu – doch da ist eine Lücke, ein synaptischer Spalt zwischen ihnen. Er mag winzig erscheinen, und dennoch ist er da. Michelangelo selbst, heißt es, war sich des Abstands zwischen Gott und Mensch sehr bewusst. Das Bild zweier Hände, die sich einander entgegenstrecken, wird im Laufe der Jahrhunderte jedoch zum Pars pro toto (= Ein Teil [steht] für das Ganze). Und wie selbstverständlich ist heute oft von einer Berührung der Finger die Rede. Dazu der Kunsthistoriker Ross King: „Die Berührung der beiden Hände wurde zu einem Leitgedanken, zu einer Art von Grundton für das gesamte Fresko.“ Vielleicht aber, so überlege ich, soll das Bild überhaupt keine Berührung zeigen, sondern vielmehr eine Zurechtweisung. Gott ermahnt Adam, dass es unhöflich ist und als eine Bloßstellung verstanden werden kann, in der Öffentlichkeit mit dem Finger auf jemanden zu deuten. „Man zeigt nicht mit nacktem Finger (und schon gar nicht, wenn man völlig nackt ist!) auf einen angezogenen Mann.“ Ich bin mir zudem sehr sicher, dass, wenn Gott mit einen zarten Geste einen Menschen erschafft, seine ausführende Handhaltung eine völlig andere wäre…