rote (neu)rosen

Hatte ich es eigentlich schon einmal erwähnt… Ich habe als Künstler doch immer so einen Druck auf den Schläfen. Aus diesem Grund musste ich auch schon zum Neurologen. Was soll ich Ihnen sagen: es war eine Katastrophe. Was passiert war? Sie meinen ein Tumor sei die Ursache meiner Kopfschmerzen? Nein, nicht ganz. Moment, ich erzähle es Ihnen kurz: Also man hatte mich in die Röhre geschoben… und… und dann hatte der Arzt im Raum nebenan auf seinen Monitor geschaut, also direkt in meinen Kopf, in mein Hirn hinein. Plötzlich brüllte er über den Lautsprecher: „Hey, machen Sie, dass Sie da raus kommen. Aber sofort!“ Glauben Sie mir, völlig eingeschüchtert krabbelte ich aus der Röhre. Der Arzt stürzte in den Behandlungsraum und beschimpfte mich wütend: „Was glauben Sie eigentlich, was so ein medizinisches Gerät kostet?“  Ich wolle es doch gar nicht kaufen, verteidigte ich mich leise. „Ihre Hirnwindungen bringen das größte MRT-Gerät zum Implodieren!“, schrie der Arzt mich weiter an. „Machen Sie, dass Sie verschwinden. Lassen Sie sich woanders untersuchen, meinetwegen in einem Atomkraftwerk. Aber nicht in meinem MRT!“ … Und was glauben Sie, was das nun bedeutete? Ein riesiger, verstrahlter Tumor? Nein! Schlimmer! Pure Phantasie! Die Entartung und Entfaltung der Seele. So etwas kann kein Neuroscanner verkraften. Und schon gar nicht heilen. Der Konflikt zwischen Kunst und Realität muss eine Maschine zerreißen! Ich meine damit all die Monster, die meine Phantasie über Jahre genährt haben. Mit anderen Worten: Mick Jagger geht bei mir ägyptisch durchs Bild, John & Yoko stehen nackt herum, Herr Hofmann, der Erfinder des LSD, spricht zwischen die dürren Beinchen einer Barbiepuppe und kichert wie blöde, eine Prostituierte liegt Modell für die Olympia, eine andere für die Venus. Und Angelina Jolie beobachtet die beiden neidisch aus der Kulisse heraus. Elvis Presley lebt und interessiert sich für vegane Rockmusik, Michel Foucault lässt seine Träume vom Künstler Ernst Fuchs aufzeichnen. Frank Sinatra tanzt mit Shirley MacLaine im Abendschein, James Franco spielt Sammy Davis jr. und Dean Martin in einer grandiosen Doppelrolle. Heinz Rühmann bemüht sich um die Hauptrolle in „Der Untergang“, weil Hans Moser schon für die Göring-Rolle gecastet wurde. Elizabeth Taylor wird von den sieben Zwergen bedrängt, sie verschwinden alle zusammen in einem Hinterzimmer. Friedrich Nietzsche erzählt Ernst Jünger jüdische Witze und lacht dabei am lautesten. Aber Ernst Jünger versteht gar keinen Spaß und geht mit dem Maler Jörg Immendorf zu einer anderen Party. Es regnet rote Rosen. Auch auf die, aus den Leinwänden fallenden, wurmstichigen Piraten, die angesoffene Gäste einer arrangierten Hochzeit hinweg metzeln. Und Inspektor Columbo hat deshalb nur noch eine allerletzte Frage an mich: Wer war diese plötzlich auftauchende Lolita, die meinen ebenfalls nackten Leib mit anschmiegsamen nackten Beinen verschlang? Oja, ich lag in dieser Röhre und ich sah dieses gewaltige Gemälde, das in einer düsteren großbürgerlichen Bibliothek zwischen Folianten lauerte und meine Phantasie befeuerte…

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Der Rest war wohliges Schweigen.