Schamteile

„Du schämst Dich gar nicht!“ Im Anfang, so steht es geschrieben, war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Und dann heißt es im Evangelium nach Johannes weiter: Alles ist durch das Wort geworden und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist. Genau deshalb fasel ich so gerne, fröne der barocken Lust des Fabulierens, schöpfe Verdacht und zaubere Worte aus meinem Hut oder Mund. Gerade auch weil ich ein Maler bin, ein Bildender Künstler (mit einer Bildung, die Strandgut gleicht), ein Zeichner, ein Collagist, ein träumender Imaginist, ein ganz übler Grübler. „Rede nicht soviel. Male!“, fauchte mich einmal ein Kollege an. Ein wortkarger Geselle, dieser Kollege. Einer, der nicht recht verstand, wie wichtig Worte sind. Gewiss ist das Bild vor dem Wort da. So wie das Gefühl vor der Handlung kommt. Oder die betörenden Erlebnisse eines Lebens vor dem Verfassen eines Romans vonnöten seien sollten. Wer keine inneren Bilder hat, braucht sich auch nicht vor äußere zu setzen. Das wusste schon Caspar David Friedrich. Gut gesagt. Als Maler. Casper David Friedrich wusste demnach auch um die Bedeutung der Worte. Für die Bilder! Jedes Bild, davon bin ich überzeugt, war oder ist allerdings vorher. Will sagen: Das Bild entsteht vor dem Wort!

Bevor das Bild später dann auch Wort werden kann, so lange hängt es im Paradies. Oder – anders formuliert – es befindet sich im „Auge eines Betrachters.“ Dieses Auge, will ich meinen, ist eine weit gehend wortfreie, begriffsarme Zone… Das Auge befindet sich tief im Herzen des Betrachtens! Denn jedes Bild bedeutet Ruhe. Kontemplation. Ein Bild bedeutet ein-sich-versenken. Anschauung. Betrachtung. „Nacktheit“ (Und sie erkannten, dass sie nackt waren). Die Bilder sind nackt! Schutzlos dem Betrachter ausgeliefert. Das Bild ist der reine Augenblick, der dann (später erst) von den Worten fort getragen wir, weltwärts mitgerissen wird. Die Worte sind der Fluss, in dem das Bild einem Baum gleicht, an dem ich mich festhalten kann, um nicht im Strudel der unzähligen Worte zu ertrinken.

Dieser Fluss aber ist zugleich meine seelisch-geistige Kraft und Energie, die mich antreibt und befruchtet, meine Anlagen zur Entfaltung bringt und mein Leben verändert. Denn alles fließt. Ständig. Der reine, der statische Augenblick eines Bildes wird oft und gerne mit dem Anfang oder dem Ende eines Begriffssturms, einem nicht-über-das Bild-reden-müssen, verwechselt. Aber Menschen, die sich vom Bild achselzuckend abwenden und sich ins „Freie“ begeben, sind häufig vom schnell einsetzenden Sturm der Definitionen überrascht. Aus dem Auge eines Betrachters, aus dem Paradies der bloßen Betrachtung, muss jedes Bild durch die Worte vertrieben werden bzw. ersetzt werden, damit es überhaupt auf dem Fluss weiter treiben kann. Zu immer neuen Ufern. Nein, ich schäme mich nicht, dass ich Worte für meine Bilder suche und (manchmal auch am Wegesrand) finde. Sie sind es mir wert. Die Bilder. Wie die Worte. Wenn die Welt ein Fluss und/oder eine poetische Träumerei ist, wenn sie also ein Text ist, dann besteht ihre Qualität für mich aber auch oder gerade in der Qualität ihrer Bilder, die sie dort beschreibt.