Schwanenbeichte

Der Arzt stockte nur kurz. „ Sagen Sie doch bitte den Eltern, dass sie einen Künstler zur Welt gebracht haben. Aber bringen sie es ihnen schonend bei. Es wird ein Schock sein. Erst diese komische Geburt. Und dann das auch noch!“ Die Stimme des Arztes klang irgendwie sehr traurig. Heimlich blinzelte ich mit einem Auge. Und sah, dass er sehr nachdenklich zu mir hinabschaute.

„Es wird für die Eltern ein Schock sein. Gewiss,“ versicherte die Krankenschwester. Sie zupfte an der Decke des Bettes herum. Nahm danach die Flasche Mineralwasser in Augenschein, die auf dem Tischchen neben dem Bett stand. Die Flasche war noch voll. Die Schwester stellte sie nur zur Seite und ordnete flugs Becher, Bücher und eine Zeitung,die ebenfalls auf dem Beistelltisch herumlagen.

„Aber, Herr Doktor, Sie wissen so gut wie ich, dass eine Bild- oder Tonstörung nur lange genug dauern muss um ein Eigengewicht zu bekommen.“ Der Arzt schaute irritiert auf. Dann schmunzelte er. „Künstlertum als Bildstörung. Als Sinnestäuschung. Dieser Vergleich gefällt mir.“

Aus dem Augenwinkel heraus konnte ich sehen, wie das Gesicht des Arztes sich aufhellte. Er schien nun mich anzulächeln. Gerne hätte ich zurück gelächelt. Aber ich wollte meine Tarnung nicht preisgeben. „Schreiben wir also ein Zettelchen auf dem –KÜNSTLER- vermerkt ist. Das hängen wir dem Kleinen an sein Ärmchen,“ ordnete der Arzt an. Die Schwester holte ein vorgefertigtes Bändchen mit einem daran baumelnden Zettelchen aus einer Schublade. Dieses befestigte sie an meinem Handgelenk. Augenblicklich packte der Arzt die Krankenschwester jedoch an der Schulter und sagte: „Nein! Ich korrigiere mich. Keinen Begriff. Keinen Namen. Keine Stigmatisierung schon jetzt. In einem so jungen Alter. Warten wir es ab. Lassen wir ihm Zeit. Wahre Geschichten leben schließlich davon, dass irgendwo irgendetwas fehlt. Und sei es nur ein winziges Zettelchen. Ein fehlender Begriff ,der gerade deshalb die Aufmerksamkeit erregt. O, wie gut das niemand weiß… Sie wissen was ich meine.“ Dann griff er zu einem Kugelschreiber und machte einige schnellen Kürzel auf meinen Beipackzettel. Die Krankenschwester sah ihm zu und nickte stumm mit dem Kopf.

Sie und der Arzt gingen in Richtung Tür. „Er wird es schaffen. Glauben Sie mir,“ hörte ich den Arzt sagen. „Ich glaube auch,“  sagte die Krankenschwester. Dann schloss sich leise die Tür hinter den beiden Personen.

Mir war ganz heiß geworden…

Künstler. Was für ein wundersames Wort.