Vom Tagebuchschreiben

Wer sich anschickt, ein Tagebuch zu schreiben, der schreibt sozusagen einen Brief an sich selber. Und es gilt zu bedenken, dass das geschriebene Wort sich vom gesprochenen Wort in manch wichtiger Hinsicht unterscheidet. Ein Schriftstück ist in der Regel ein Spiegelbild persönlicher Eigenschaften des Schreibers, und wenn der Schreiber ein anderer als der Verfasser oder Urheber des Schriftstückes ist, ein Spiegelbild der Eigenschaften beider.

Der Inhalt des Tagebuches, wie des Briefes, offenbart die Denkweise des Verfassers oder Urhebers, die Form gewährt Einblick in Charakterzüge des Schreibers wie auch des die Verantwortung tragenden Verfassers bzw. Unterfertigers, die Schriftzüge verraten charakterliche Eigenschaften des Schreibers…

Man soll den Menschen an seinen Früchten erkennen, sagt ein Bibelwort. Es meint damit die als Ergebnis der menschlichen Handlungen abreifenden Früchte bzw. Werke.

Wer will leugnen, dass auch ein Brief (an sich selbst = Tagebuch) ein Zeugnis in sich schließt, das über die Persönlichkeit des Menschen vielseitigeren Aufschluss gibt als andere Früchte, vielleicht von einem Buche, einer musikalischen Komposition oder einem Werke der darstellenden Kunst abgesehen.

Denn die andern Werke bekunden mehr oder weniger nur einzelne menschliche Eigenschaften, zum Beispiel Mitleid, Hass usw. Ein Tagebuch zeigt jedoch für den Aufmerksamen einen ganzen Komplex von Eigenschaften auf, es gewährt in gewissen Umfang bereits ein Charakterbild.