„Oh how Shakespeare would have loved cinema!“

Derek Jarman (1942 – 1994). Sein Film „Blue“ ist wie Wittgensteins „Tractatus“ reinste Poesie. Ein Wechselspiel von vier Stimmen. Sein Text springt zwischen erschreckenden Banalitäten wie den 47 Nebenwirkungen, die der Beipackzettel eines Medikaments nennt, und einem hochtönenden Gesang, der sich z.B. in Jarmans ganzem Werk vernehmen lässt, hin und her. Außerdem gibt es im langsamen Schwinden des Blickfeldes die verzweifelte Bitte, vom Bilde erlöst zu werden. Das ist es, was in diesem Film passiert: Von dem Moment an, wo das grelle Licht der Augenuntersuchung das Blau eines leeren Himmels als Nachempfindung hinterlässt, löst sich die Welt auf…

„Dear William Shakespeare. I am a 14 year old and I’m queer like you. I’m learning art. I wanted to be a queer artist like Leonardo or Michelangelo. But I like Francis Bacon best I read Alan Ginsberg, Rimbaud. I like Tchaikovsky, if I make films I will make them like Eisenstein, Murnau, Pasolini, Visconti. Love from Derek.“

Gedanken über das Auswaiden

Das Auswaiden des Wildes geschieht stets nach gewissen Regeln: Zum Aufbrechen des Wildes wählt man einen freien, berasten Platz. In Ermangelung desselben bestreut man sich einen unberasten Platz mit frischen Laubbrüchen und streckt hier das Wild so aus, dass es auf dem Rücken zu liegen kommt und die Läufe gen Himmel gekehrt hat. Den Hals und Kopf legt man in dieselbe Richtung, wie den Corpus. Beim gehörnten Wild zieht man das Geweih gegen den Corpus zurück, so dass es zu beiden Seiten des Halses zu liegen kommt, und dass der Unterkiefer mit dem Hals eine Linie bildet.

Hatten meine Eltern deshalb das berühmt-berüchtigte Bild mit dem Hirsch in ihrer Wohnung? Weil sie wussten, dass eines Tages alles so kommen würde. Und wenn nicht sie, dann aber am Ende mit Sicherheit ihre geliebte Wohnung ausgewaidet wurde. So geschehen am 9. April, im Jahre des Herrn, 2019.

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