Das Sittlichkeitsdelikt

Die Sonne stach. Er wankte durch die Wälle / Und sehnte sich nach Allem, was er sah. Die Philosophin Svenja Flasspöhler ist schwer beunruhigt. Über die, wie sie sagt: „Unfähigkeit, Ambivalenz auszuhalten…

(…) die Kunstwerke selbst müssen (…) rein sein, weil man sich sonst belästigt fühlt. Wann tangiert mich etwas? Was verletzt mich? Wird durch dieses oder jenes meine Würde angetastet? An diesen Formulierungen merkt man schon, wie zentral das Fühlen und Empfinden für uns ist. Sensibilität ist der Motor des Anerkennungskampfes von unterdrückten Gruppen. Aber sie kann eben auch vom Progressiven ins Regressive kippen und zu moralischem Totalitarismus führen…(…) Es gibt eine Angst davor, als reaktionär dazustehen, wenn man in die Differenzierung geht.“ (Nachzulesen in der taz / FUTURZWEI Nr.9 ) Dann war es, dass die Hände streicheln mussten / Und dass das Kind bösartig hässlich schrie… Und Hunde heulten hinter jedem Tor. (Max Hermann-Neisse)

Auf dem leben das jetzt nur in trümmern liegt lag einmal tau

Was ist Kunst denn anderes, als in fremden Zungen reden? Die Fähigkeit, ohne Kenntnis derselben, in einer fremden Sprache zu sprechen… wie zum Beispiel: Es ist gar lieb und meinem Herzen rühmlich, den Eltern eine Trauerpflicht zu leisten… Ich weiß doch, auch meiner Mutter starb eine Mutter, der ihre, und ich, der Nachgelassne, soll nach kindlicher Verpflichtung einige Zeit die Leichentrauer halten. Doch zu beharren in eigenwilligen Klagen (und Bildern) ist das Tun gottlosen Starrsinns, ist unmännlich Leid, zeigt einen Willen, der dem Himmel trotzt, ein unverschanztes Herz, störrisch Gemüt, zeigt blöden, ungelehrigen Verstand. Wovon man weiß, es muss sein; was gewöhnlich wie das Gemeinste, das die Sinne rührt: Weswegen das in mürrischem Widerstande zu Herzen nehmen?

Weswegen?

Liebe.

(nach Shakespeare; »Hamlet«)

Kein Spiegel kann dem Menschen ansehen, wer er ist.

Dünner Seelenstoff? Aus kalten, harten Blicken eines Spiegels geformt, die dich nicht in sich eindringen lassen? = autonome Spiegelbilder?

Der Spiegel ist an sich eine leere reflektierende Fläche, die durch die Reflexion von Licht Abbilder gegenüberliegender Objekte entstehen lässt und diese dadurch verdoppelt. Als Projektionsfläche ist der Spiegel immer an die Anwesenheit eines Referenten gebunden, denn das Wesen des Spiegels besteht darin, dass er an sich eigenschaftslos, also Nichts, ist und erst durch die Präsenz eines Objektes zu etwas wird, das eng an die Eigenschaften dieses Objektes gebunden ist. Dies setzt die Gleichzeitigkeit von dem gespiegelten Objekt und dem Objekt des Spiegels voraus, denn der Spiegel ist kein Speichermedium und somit stetiger Revision unterzogen. Folglich kann sich das Spiegelbild durch Bewegung jederzeit verändern und bleibt demnach kurzlebig, flüchtig und vergänglich.

Spiegel sind Werkzeuge, um die Neugierde zu befriedigen, denn sie gewähren zum Beispiel Einblicke in Räume ohne selbst in dem Raum anwesend zu sein. Der Spiegel macht dadurch eigentlich Nicht-sichtbares für den Betrachter sichtbar.

Was aber, wenn ein Spiegel sich an das alles nicht mehr halten und lieber autonom sein möchte? Nicht mehr an all die ästhetischen oder moralischen Konventionen gebunden, die ihm ständig vorgehalten werden…

Mein Kinderzimmer

„Ich mache (…) den Vorschlag, das dunkle und düstere Thema der traumatischen Neurose zu verlassen und die Arbeitsweise des seelischen Apparats an einer seiner frühzeitigen normalen Betätigungen zu studieren. Ich meine das Kinderspiel“. So Sigmund Freud.

Er (Sigmund Freud) wechselt (hier), nachdem er die Katastrophen der modernen Technik und die Schrecken des Weltkriegs aufgerufen hat, das Terrain, lässt Trauma und Neurose vorläufig auf sich beruhen und wendet sich den normalen, nicht pathologischen Regionen just an jenem Ort zu, an dem die Herrschaft des Lustprinzips noch ungefährdet ist: dem Kinderzimmer. (Lothar Müller; „Freuds Dinge“, Die Andere Bibliothek, Berlin 2019).

Das Wort „Kinderzimmer“ würde ich gerne durch das Wort „Atelier“ ersetzt wissen. Alles andere würde ich jedoch gerne so stehen lassen. Fast möchte ich behaupten, beide Männer, Sigmund Freud und Lothar Müller, müssen bei mir im Schrank gesessen und mich beobachtet haben, wie ich so allein, aber gänzlich glücklich und zufrieden in meinem Atelier vor mich hin werkelte. Tag für Tag.

Die Bestäubung

Meine Sprache bringt Bilder hervor. Schwungvolle Überdrehungen, vielleicht aber auch abgründige Petitessen. Wer kann das mit Sicherheit sagen? Mir kommt es so vor, es wären es oft stille Gebete an die Narben meiner geliebten Fruchtblätter…