Liebe besiegt die Depression

Die freiwillige Zurückgezogenheit, aufgrund der Corona-Pandemie, beschert mir fortwährende Sonntage. Und alle „mit einer ungeheuren und stolzen Gelassenheit“ (Nietzsche). Ich reise durch mein Zimmer, bin Herr meiner Tugenden, „des Mutes, der Einsicht, des Mitgefühls, der Einsamkeit“…&… „Ich kenne keine andere Art, mit großen Aufgaben zu verkehren als das Spiel…“ Das ist der eigentliche Grund meines Corona-Tagebuchs: Das ewige Spiel der Kunst.

Die gestundete Zeit

… Drüben versinkt dir die Geliebte im Sand, / er steigt um ihr wehendes Haar, / er fällt ihr ins Wort, / er befiehlt ihr zu schweigen, / er findet sie sterblich / und willig dem Abschied / nach jeder Umarmung. / Sieh dich nicht um. / Schnür deinen Schuh. / Jag die Hunde zurück. / Wirf die Fische ins Meer. / Lösch die Lupinen! / Es kommen härtere Tage. (Ingeborg Bachmann)

Mein Corona-Tagebuch

Die Kunst gibt mir meinen Namen. Und sie hilft mir nicht „Opfer der vollständigen Auflösung [meiner] Psychose zu werden“ (frei nach Jacques Lacan wäre das jedenfalls so). Aber ob das nun stimmt oder nicht, soll hier nicht von Bedeutung sein. Interessant ist mir hier und heute nur, wie ich bis dato, über 1000 Artikel lang, die angebliche Realität aus meiner Kunstwelt heraushielt. Indirekt wenigstens. Aber dann verfasste ich am 12.2.2020 in einem meiner Tagebücher folgende kleine Notiz: 12 Monkeys in Wuhan, China. Das Virus breitet sich weiter aus… [& dann ging es weiter]

24.2.2020 – …Erneuter Corona-Toter in Italien. Also vor unserer Haustür. Gewässer aber rieseln herab und sanft / Ist hörbar dort ein Rauschen den ganzen Tag…

2.3.2020 – In 10 von 16 Bundesländern sind inzwischen Coronafälle dokumentiert. Und Tag zu Tag werden es mehr. Faszinierend wie ein Virus uns zeigt, das niemand mehr behaupten kann, er habe mit dem Rest der Welt nichts zu tun, der Sack Reis in China, der umkippt, der interessiere nicht…

11.3.2020 – Das Corona-Virus hält die Presseberichtemeute in Atem…

12.3.2020 – Die USA lässt keine Flüge aus good old europe mehr ins Land der nur scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten. Grund ist die Corona-Epidemie. Donald Trump wird von einem Virus in die Knie gezwungen…

13.3.2020 – Der taumelnde Präsident…

15.3.2020 – Donald Trump ist NICHT an Corona erkrankt. Fake News?! Alle Alphamännchen bitte in Quarantäne schicken…

16.3.2020 – Wie gut, dass Mutti die Corona-Pandemie nicht mehr miterleben musste. Sie wäre hysterisch geworden. Wer hätte einkaufen sollen für sie? Na, ich; aber sie hätte mich mit Sicherheit nicht mehr in die Wohnung gelassen. Wegen der Ansteckungsgefahr. Wahrscheinlich hätte ich wie blöde „stundenlang“ im Flur stehen müssen, um durch die Tür mit Ihr zu reden und sie zu beruhigen…/ / … Friedrich Engels. Ludwig van Beethoven. Friedrich Hölderlin. Die Namen der Jubilare sind exquisit. Ludwig Van wird wahrscheinlich den Vogel abschießen. Wenn er noch zu Gehör kommt. Wegen der Virus-Krise werden überall Konzerte abgesagt. Da lieb ich mir doch Hölderlin. Seine Gedichte kann ich mir selber

17.3.2020 – Zur Krise der Liebe, schreibt Byung-Chul Han, führt nicht so sehr eine Welt der unbegrenzten Möglichkeiten, sondern die zunehmende Narzissifizierung des Einzelnen. Byung-Chul Han spricht nicht explizit von Donald Trump, Boris Johnson & Co., aber ich muss sofort an diese Personen denken. Für den Narzissten verschwindet der Andere, das Gegenüber… Und genau das sieht man in der Corona-Krise. Wie sollen Trump und Johnsonn reagieren können, spüren sie den anderen Menschen, ihre Mitbürger doch gar nicht… // Igor Levit streamt gegen die Einsamkeit an. Gegen unsere Vereinzelung, Kleinmut und Ratlosigkeit in Zeiten, in denen tatsächlich die Freiheit eingeschränkt wird wie nie zuvor…

19.3.2020 – Ich denke über die Liebe in den Zeiten von Corona nach… Susanne fragt mich, ob ich nicht ein „Corona-Tagebuch“ anfangen könnte… Ein Freund fragt mich, per Email, ob ich künstlerisch auf Corona reagieren würde und könnte…

20.3.2020 – Ich kombiniere in einem Artikel zwei, drei kurze Gedichtzeilen von Friedrich Hölderlin und das Bild des Corona-Virus (≈ Gottvater Zeus?) … […]

Nah ist / Und schwer zu fassen der Gott…

Zu lang, zu lang schon ist / Die Ehre der Himmlischen unsichtbar. Stimmt das, was der Dichter sagt? Wo befinden wir uns zur Zeit? In einem Augenblick der lichtesten Hoffnung oder doch eher in einem Augenblick der schwärzesten Verzweiflung? Friedrich Hölderlin lässt seine Hymne „Patmos“ mit den Worten beginnen: Nah ist / Und schwer zu fassen der Gott…   Die ganze Welt, so wie wir sie noch vor Wochen kannten, sie steht komplett still. Aber unsere Geschichte geht weiter, sie ist und bleibt stets offen – im Guten wie im vermeintlich Bösen. Denn: Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch.

Die Welt braucht Friedrich Hölderlin (* 20. März 1770 in Lauffen am Neckar, Herzogtum Württemberg; † 7. Juni 1843 in Tübingen).

Kaleidoskopartige Zeiten

Vor meinem Auge: ein an ein Fernrohr erinnerndes Spielzeug, mein Tagebuch-Kaleidoskop, bei dem sich durch mehrfache Spiegelung von bunten Traum-Glassteinchen im Innern, die sich durch mein Drehen jeweils anders zusammenfügen, wechselnde Text-Bilder und Muster ergeben…1.Drehung: Ich weiß es ja und ich sehe es deutlich vor mir, die Corona- Nachrichten posaunen es zudem stündlich heraus, diese Welt wird nicht mehr dieselbe sein… 2.Drehung: Ein paar Leute lachen, ein paar Leute weinen, die meisten sind still… 3.Drehung: Dass ich die Augen schließe, lässt vermuten, dass ich, wie viele von uns, versuche nun unsichtbar zu sein. Wenn ich nichts sehe, denke ich, dann sehen andere mich auch nicht. Eine alte Kinderei. Ich will mich verstecken. Aber warum? Ganz einfach, weil ich Angst habe… 4.Drehung: Der gewohnte Alltag verschwindet, er ist kein Faden mehr, der mich durch das Labyrinth meiner routinierten Möglichkeiten leitet… 5.Drehung: Allerdings erscheint es mir nutzlos sich von denen einen Rat zu holen, die nicht den gleichen Weg gehen wie ich… 6.Drehung: Dem Künstler, sofern er sein Glück will, sollte man keine Vorschriften über den Weg zu seinem Glück geben: denn das individuelle Glück quillt aus eigenen, jedermann unbekannten Gesetzen, es kann mit Vorschriften von außen her nur gehemmt werden… 7.Drehung: Ein neues Bild entsteht. Und die Angst ist augenblicklich bezwungen.

 

Bild nach einer wahren Begebenheit

„Wahrlich“, so orakelt mir Friedrich Schlegel ins Ohr, „es würde dir bange werden, wenn die ganze Welt, wie Du es fordert, einmal im Ernst durchaus verständlich würde.“ Dem stimme ich nur allzu gerne, stumm nickend zu. Allerdings… ich fordere gar nicht ein, dass die Welt verständlich wird. Unverständlich wie sie ist, ist sie doch zugleich viel inspirierender für mich.

Unbestimmtes

Ich suche Zeichen? Aber wofür? Ich suche Zeichen für das Unsagbare der Sprache. Das Unsagbare hat ein Versteck… im Bild.

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