Ein Briefwechsel über verlorene Hälmchen und Künstler

Schreiben ist gut gegen die Einsamkeit. Denn dann hat man immer jemanden in seinem Kopf und somit in seiner Nähe. Noch besser ist es jedoch, wenn man einen Adressaten hat…

Lieber Wolfgang Ullrich; ich schreibe, also bin ich. Und Sie? Ich sehe Sie vor meinem geistigen Auge von Vorlesung zu Vortrag hetzen, zurück an Ihren Schreibtisch, wo Sie ein neues Buch verfassen, dann weiter zu kuratorischen Festivitäten, und dann wieder zurück zu den Vorlesungen. Wie schaffen Sie das bloß, ohne verrückt zu werden? Ich mache es ja ähnlich. Das heißt, auch ich hetze herum. Nur eben ohne Grund! Und näher mich so verdächtig nah dem inneren neurotischen Wald, fast möchte ich von Dschungel sprechen. Es geht so zu sagen in mein Herz der Finsternis. Einen latenten Grund für meinen Irr- oder Wahnsinn, den gibt es aber doch! Den kann ich namentlich sogar benennen. Als wir vor vielen Monden unsere Email-Korrespondenz begannen, war Neo Rauch der Anlass für mein kulturelles Unbehagen. Dieser Salonmaler Leipziger Schule, er verschreckte mich… Aber gestern schreckte mich eher ein Bericht der „Kulturzeit“ im Fernsehen auf. Erst hatte ich gedacht, ich wäre auf meinem Sofa eingeschlafen, hätte böse geträumt. Aber sehr wach rieb ich mir Augen und Ohren und vernahm ganz deutlich den Namen des Künstlers, der nun in Moskau seine Bilder in einer Einzelausstellung präsentieren darf. Der Name des Künstlers lautete Sylvester Stallone.

Heißt es nicht Schuster bleib bei deinem Leisten? Man soll doch nicht in fremden Gewässern fischen, oder? Ich nicke stumm. Weiß aber, dass die Welt nicht so eindeutig ist. Immer wieder kommt es zu künstlerischen Doppelbegabungen. Günter Grass zum Beispiel, ein Literat und Zeichner vor dem Herrn. Elke Sommer, Schauspielerin und Malerin. Mich selber nehme mich hier gar nicht aus. Denn ab und an sonder ich ja auch schon mal ein Sätzchen ab, wenn das Malen mir Zeit dazu lässt. Oder nehmen wir Pavarotti. Luciano Pavarotti hatte, wenn er nicht gerade Arien schmetterte, auch schon mal zu Pinsel und Leinwand sich verstiegen. So, und nun kommt ans Licht, dass auch Sylvester Stallone zu dieser, unserer Zunft gehört.

Wie geht man damit um? Will man mit all diesen Künstlern in ein Boot gesetzt werden? Man stelle sich das vor: Günter Grass, Elke Sommer, Sylvester Stallone, Luciano Pavarotti und ich in einem Boot. Wie soll man das denn ausbalancieren? Ich meine, Andy Warhol schrieb einmal, dass Stallone von vorne gesehen sehr breit wirke, aber von der Seite eher flach. Das erwartet man aber doch auch von einem Leinwandhelden, nicht wahr? Von vorne breitwandig, von der Seite leinwandflach. Ein tiefes Bild, ein tiefgründiges Bild, dass erwartet man doch gar nicht von einem Filmstar. Oder? Also: Wie halte ich jetzt meine innere Balance? Sie spüren, lieber Wolfgang Ullrich. Ich bin verwirrt! Verirrt in meinem inneren Labyrinth. Wann ist ein Künstler ein Künstler? Sind es die Einzelbegabten? Oder die Mehrfachbelichteten? Gelte ich schon als Literat, wenn ich meine Leinwand korrekt signiere? Bin ich Maler, wenn ich eine Tube Krapplack öffnen kann ohne mich zu beschmieren? Wann bin ich ein Künstler?

Unter uns: Ich bin deshalb so verschreckt, weil ich nicht mit Sylvester Stallone in einem Atemzug genannt werden möchte. Bestimmt ist er ein ganz netter Typ, aber ich finde es trotzdem uncool. Irgendwie fällt dann ein mächtig großer, breiter Schulterschatten auf mein Werk, wenn jetzt auch Stallone ein Malerfürst ist. Der baut sich vor mir auf… na, da hab ich dann wohl keine Chance mehr wahrgenommen zu werden. Und wer bin ich, dass….? Nur ein kleines Licht. Okay, okay! Aber wissen Sie, warum ich es schätze ein kleines Licht zu sein? Man blendet nicht so stark!

Hoffentlich habe ich Sie jetzt nicht von wichtigen Dingen abgehalten.

Machen Sie einfach weiter, als sei nichts geschehen. Ich werde das auch tun. Und sollte der Name Sylvester Stallone nun in den großen Nachschlagewerke der Kunst auftauchen, ich muss sie ja nicht lesen.

Liebe Grüße

Ihr Detlef Bach

Lieber Detlef Bach, Ihr inneres Auge zeichnet – leider? – ein ziemlich zutreffendes Bild von mir. Und deshalb müssen Sie oft so lange warten mit einer Antwort… Vielleicht sollte ich Ihnen mal meine seit Jahren gepflegte Sammlung von Bildern und Artikeln zeigen, in denen irgendwelche Promis – Schauspieler, Ärzte, Politiker etc. – als Maler oder Künstler vorgestellt werden, meist aus Anlass einer Ausstellung ihrer Werke. Das würde Sie vielleicht etwas beruhigen: Es sind so viele, dass sie sich gegenseitig bis zum Nichts relativieren! Sie brauchen sich also gar nicht bedrängt zu fühlen, das ist alles so harmlos – und im Einzelfall so lächerlich. Zu Stallone noch folgende Geschichte: Er hat sich auch schon als Sammler versucht und u.a. ein großes Bild von Anselm Kiefer erworben. Eines von denen, auf die ziemlich viel Stroh geklebt ist. Und das fiel nach und nach ab; immer wenn der Sammler an dem Bild vorbeiging, löste sich wieder ein Hälmchen. Bis der schließlich genug hatte – und das Bild wieder verkaufte.

Ich glaube, Sie können durchaus beruhigt weiterschlafen – und erst recht weitermalen! Aber Sie haben mich auf eine Idee gebracht, vielleicht widme ich den Promikünstlern mal eine Kolumne in der Art 😉

Beste Grüße

Ihr Wolfgang Ullrich

Lieber Wolfgang Ullrich, weil es für die Dünndruckausgabe unseres Email-Wechsels beim Verlag Suhrkamp (oder anderswo) noch nicht reicht, vielleicht stelle ich vor allem den kurzen Gedankenaustausch über Promi-Kunst zunächst auf meinen BLOG. Aber nur, wenn Sie damit einverstanden sind. Falls es Sie beruhigt: Lady Gaga (Malt die nicht auch?) hat sicherlich mehr Klicks auf ihrem BLOG. Mein BLOG gleicht eher einer unbewohnten Insel irgendwo am Rande der Aufmerksamkeit.

Unseren Gedankenaustausch wird also niemand wahrnehmen. Vielleicht gibt es ja einen tieferen (oder oberflächlicheren) Zusammenhang zwischen KLICKS und KUNST, den ich noch nicht verstanden habe.

Und – übrigens-  was wurde aus den Hälmchen, die aus der Arbeit von Anselm Kiefer fielen? Bewahrte der Sammler diese als Reliquie auf?

Werden diese nun in einer kleinen Kirche am Sun Set Boulevard verehrt? Fragen über Fragen…  Und: Oja, BITTE, BITTE, BITTE, widmen Sie, lieber Wolfgang Ullrich, den Promis in der „Art“ eine Kolumne! Und sagen Sie mir Bescheid, wann diese erscheint. Ich werde mir diese Kolumne hundertfach besorgen und eine meiner Atelierwände damit tapezieren. Und dann werde ich in großen Lettern darüber schreiben: „Gut, dass ich nicht zu Euch gehöre.“

Liebe Grüße

Ihr Detlef Bach

(Und Wolfgang Ullrich antwortete): Mache ich – versprochen! Aber auch hier gilt: bitte ein wenig Geduld! … die Hälmchen wurden zur Aufgabe für die Putzfrau. Sie sind definitiv verloren. Und klar dürfen Sie unseren Mailwechsel auf Ihren Blog stellen – bis es mit Suhrkamp so weit ist!

P.S. »Der wahre Brief ist seiner Natur nach poetisch.« Novalis

Alle namhaften Schriftsteller haben sie leidenschaftlich geschrieben: Briefe. Ob an die oder den Geliebten, die Eltern, das Kind oder einen Freund und allzu oft auch an Schriftstellerkolleginnen und -kollegen. Briefwechsel offenbaren ihren Lesern nicht nur unbekannte, sehr persönliche Facetten ihrer Autoren, ihre Sehnsucht und Leidenschaft oder ihre Wut und Zweifel, in ihnen werden große Freundschaften, verzweifelte Liebesgeschichten sichtbar. Oft bieten sie noch weit mehr als das, sind Spiegel der Gesellschaft und des Zeitgeistes, sind Mittel der Auseinandersetzung mit dem eigenen und mit fremden Werken. (aus: suhrkamp.de/themen/briefwechsel)