Emergency Room

„Ich bin einfallsreich“… sage ich zu mir selber. Klar, ist ja sonst auch niemand hier.

Ein Sabberfaden bildet sich an meiner Unterlippe, er schwingt wie ein zartes Spinnenwebpendel beim Sprechen hin und her. „Ihr begreift es einfach nicht, oder? Ich bin kreativ, ich bin jung – HAHA!!! (ich muss selber irre auflachen) …ich? jung?… das ist eine glatte Lüge… aber ich bin skrupellos, hoch motiviert, hoch qualifiziert. Will sagen, die Gesellschaft kann es sich nicht leisten, mich zu verlieren.“ Wie auf ein Stichwort hin, wird meine Zellentür entriegelt, ein kahler Kopf schiebt sich nach vorne in den kleinen Isolierraum, meine Einmannbühne mit seinen weichen Wänden. Ein Weißkittel macht mir nicht nur seine Aufwartung, sondern auch gleichzeitig seine Visite. Seine Stimme klingt alttestamentarisch stolz, als er mir verkündigt: „Sehr geehrter Antragsteller! Die Mittel unseres Sofortprogramms zur Unterstützung freischaffender Künstlerinnen und Künstler aufgrund der Auswirkungen der Coronavirus-Krise sind leider ausgeschöpft. Ihr unten anhängender Antrag kann leider nicht mehr berücksichtigt werden.“ Als Beweis wirft er mir ein zerknülltes Stück Papier auf den Zellenboden. Nach seinem Kurzauftritt zieht der Weißkittel seinen Kopf sofort wieder zurück, die Zellentür fällt augenblicklich scheppernd in ihr Schloss. Es ist also wie immer. Ich bin ganz bei mir. Allein. „Tja…Ich bin eben ein echter Aktivposten,“ witzel ich. „Aber zur Zeit in Quarantäne. Es ist eine Schande. Hört Ihr! Hört Ihr mich?“ Ich lausche, doch niemand beantwortet meine Frage. Nur mein Blut murmelt tröstend „viele Bächlein ergeben einen Bach“. In diesem Augenblick strahlt eine Leinwand vor meinem geistigen Auge so schneeweiß, wie noch nie. Reine Unschuld. Gerade wenn diese gelingen sollte, soviel weiß ich schon jetzt, wird und muss es eine wahre Zumutung sein.