Mein kleines Testament

Meine Bilder seien obszön. Und schmutzig, sagt man. Und meine Zitate, die ich auf meinem BLOG zum Besten gebe, die wären allesamt aus dem Kontext gerissen. Aber deshalb, so ich, sind es ja auch Zitate. Ich gestehe, ich lese auch oft nur fragmentarisch. D.h.: ich „fresse“ das Gedruckte wie edle Bohnen, so im Vorübergehen, in mich hinein. Dann will ich alles schnell verdauen, wieder ausscheiden und guten Kaffee daraus machen. Pardon. Ich sollte einfach mal ruhig dasitzen und auf die nächste Sonnenfinsternis warten. Mit der Frage auf den Lippen, welche Farbe sie wohl diesmal hat. Die Sonnenfinsternis. Aber stattdessen renne ich ins Atelier, meine „Festung der Einsamkeit“ (wieder so ein Zitat!), und gebe mich „schmutzigen“ Bildern und/oder Gedanken hin. Sind solche Portraits schmutzig? (s.u.) Sind sie obszön?

Nein! Aufwühlend vielleicht. Fragend. Sehnsüchtig. Versuchend. Aber nicht schmutzig. Heftig? Ja. Aber eben nicht obszön! Nicht eine einzige Arbeit von mir ist obszön. Finde ich. Betrachter mögen das evtl. anders sehen. Aber dafür kann ich ja nichts. Was sollte ich auch dagegen tun? Gegen diese Unterstellung. Nicht mehr malen? Nicht mehr zeichnen oder collagieren? Dies hieße ja verrückt werden an und durch die Bilder, die in meinem Kopf bleiben müssten. O, nein. Das nicht. Die müssen alle raus. Und was „sagen“ sie dann, diese Bilder? „Ich habe Hunger, mir ist kalt und ich will Liebe“ (Zitat).

Und umso weniger meine Wünsche berücksichtigt oder gestillt werden, umso heftiger werden meine Bilder. Es ist ein Teufelskreis, das gebe ich zu. Am Ende zertrümmere ich noch irgendwas. Nur weil ich so sehr liebe bzw. um Liebe bettel. Mit und durch Kunst. Das ist eben mein Medium. So ist es halt. Und gleichzeitig ist das natürlich Schmarn. Aber irgendetwas muss ich dem BLOG hier ja anvertrauen. Niemand, nicht mal ich, wird so bescheuert sein, und auf seinem BLOG die Wahrheit schreiben. Wer die Wahrheit sagen möchte, der sollte zur Beichte gehen. Aber nichts auf einen BLOG setzen. Oder Kunst machen. Künstler lügen. Künstler müssen lügen. Nur wenige, wenn überhaupt, sagen die Wahrheit. Und weisen darauf hin, dass eine gemalte Pfeife eben keine wirkliche Pfeife ist; aber geglaubt hat man diesem Künstler auch nicht. Der ist dann auch gestorben.

Das ist übrigens das Gute an uns Künstlern: wir sterben! Und als Abschreckung an zukünftige Generationen stellt man unsere Habseligkeiten aus. In Museen. Eingeweihte Museums(ver)führer wispern jungen Menschen dann gerne schon mal ins Ohr: „Schau, der arme Wicht war so arm, der musste auf billigem Papier zeichnen.“ „Und der da, der hat sogar seinen Müll eingepackt, weil er sonst nichts mehr hatte.“ Ich habe schon Legionen von Kindern kreischend und heulend aus den Museen rennen sehen, beseelt vom Überlebenswunsch nun auf jeden fall Arzt zu werden. Oder wenigstens reich! Gut, nicht alle Künstler dürfen ihre Habseligkeiten in einem Museum zeigen. Vielleicht darf ein einsamer Künstler dort mal sterben, aber das beweist am Ende nur, dass es zu wenige Hospize (für arme Menschen) gibt. Traurig, sehr traurig. Obwohl? In einem Museum sterben…

Zur letzten Ruhe gebettet werden unter den Sonnenblumen von Vincent van Gogh? Es gäbe wirklich Schlimmeres. Blut- und Orgienbilder von Hermann Nitsch zum Beispiel! Man müsste das Gefühl haben, schon auf dem Seziertisch zu liegen, bevor man noch den letzten Atemzug getätigt hat. Aber vielleicht ist das auch nur eine Typfrage. Welches Bild im Museum passt zu ihnen oder ihrem Ableben? Interessante Frage. Der „Ursprung der Welt“ (L’Origine du monde) von Gustave Courbet vielleicht? Man würde dann fast gehen, wie man gekommen wäre. Nun, ja. Aber warum erzähle ich das hier? Ach, ja, weil meine Bilder angeblich obszön seien. Aber das stimmt eben überhaupt nicht.

Obszön sind, nur so zum Beispiel, Museumsshops! Ein Museumsshop ist der Blinddarm des Museums. Er ist da, aber unnütz. Manch einer sagt, so sei das mit der Kunst ja auch: sie sei da, aber unnütz. Tja, sage ich dann gerne zu einer vorgerückten Stunde, wenn die Kunst fehlt, dann gibt das aber eine böse Kunstnarbe. Und die schmerzt, juckt oder kribbelt, wenn sich das Wetter ändert oder die Stimmung umschwingt. Phantomkribbeln nennt man das. Viele Menschen, die an so einem Kribbeln leiden, die wissen gar nicht mehr, dass es von der Kunst herrührt, die man ihnen raus geschnitten hat.

Und genau diese Menschen sind es dann auch, die meine Bilder, meine Arbeiten für obszön und schmutzig halten. Einfach lächerlich diese Unterstellung! Lächerlich. Und dumm…

„Haben die großen Künstler nie aus Wollust geschaffen und ihren Lesern nie Wollust verschafft? Jedenfalls haben sie die Reaktionsfähigkeit immer gereizt. Generationen von Lesern Shakespeares und Schillers und Byrons und Dostojewskijs danken den Meistern ungeheure Steigerungen der Emotionen. Mit Ausnahme der Sexuellen? (…) Das Geschlechtliche ist nur zugelassen, wenn es im poetischen Äther verdunstet?“ Zitat: Ludwig Marcuse; Aus: Obszön, Geschichte einer Entrüstung.  So, dass wollte ich nur mal kurz loswerden. Jetzt gehe ich wieder ans Malen. Oder Zeichnen. Oder Collagieren. Denn ich habe Hunger, mir ist kalt und ich will Liebe.

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