Meine barocke Lust am Fabulieren

Die Faustregel für schlagartigen Publikumserfolg lautet, dass man seiner Leserschaft niemals auch nur einen halben Augenblick Gehirntätigkeit zumuten darf. Wie ist dann aber der Erfolg von Watchmen zu verstehen, dieser großartigen Graphic Novel von Frank Miller (Autor) und Dave Gibbon (Zeichner)?

Rorschach ist offensichtlich ein widerspenstiges Untersuchungsobjekt, das nicht nur den Blick des Arztes erwidert, sondern auch dessen Methoden durchschaut… Der Abgrund, der den Blick erwidert, ist in erster Linie Rorschach. »Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.«  (Friedrich Nietzsche:»Jenseits von Gut und Böse«; zitiert nach Hans-Joachim Backe »Under the Hood – Die Verweisstruktur der Watchmen; 2010 yellow.schriften zur comicforschung«)

O, da geht mir doch mein (barockes) Herz auf: „… wäre Seligkeit – technischer geredet, Lust  jemals ein Beweis der Wahrheit? So wenig, dass es beinahe den Gegenbeweis, jedenfalls den größten Argwohn gegen „Wahrheit“ abgibt, wenn Lustempfindungen über die Frage „was ist wahr?“ mitreden. Der Beweis der „Lust“ ist ein Beweis für „Lust“ – nichts mehr; woher um alles in der Welt stünde es fest, dass gerade wahre Urteile mehr Vergnügen machten als falsche < >? – Die Erfahrung aller strengen, aller tief gearteten Geister lehrt das Umgekehrte. Man hat jeden Schritt breit Wahrheit sich abringen müssen, man hat fast alles dagegen preisgeben müssen, woran sonst das Herz, woran unsere Liebe, unser Vertrauen zum Leben hängt. < > Der Glaube macht selig: folglich lügt er …    [aus: ANTICHRIST von Friedrich Nietzsche]

Oje, mein Freund Volker, er wird wieder einmal den Kopf schütteln, wenn er diesen Artikel studiert, und mir zuflüstern wollen, das die Faustregel für schlagartigen Publikumserfolg doch bekanntlich lautet, man soll seiner Leserschaft niemals auch nur einen halben Augenblick Gehirntätigkeit zumuten. Stimmt. Sorry, Volker! Es ist schlicht mit mir durchgegangen. Was hab ich mir bloß dabei gedacht?

Meine barocke Lust am Fabulieren, meine Spiele (hier) mit Friedrich Nietzsche und Watchmen, meine geliebten Assoziationskaskaden… hört das denn niemals auf?