Postkarten an „Kickkack“

Alle in meiner Familie nannten, soweit ich denken kann, meine Urgroßmutter nur „Kickkack.“ Der Grund dafür, er lag in einer Eigenheit meines Bruders begründet.

Er verwechselte nämlich als Kind die Vorsilbe „Ur“ ständig mit dem Wort „Uhr.“ Er wusste zwar, jede Uhr macht „Tick-Tack“, doch diese lautmalerische Finesse konnte mein Bruder nicht richtig aussprechen! Er sagte stattdessen und sehr überzeugend: „Kickkack.“

Unsere ganze Familie schloss sich bald großherzig diesem kleinen, durchaus lustig-phonetischen Taschenspielertrick an. Und so nannten wir die Urgroßmutter bald nur noch liebevoll unsere „Tick-Tack-Oma“. Oder eben etwas kürzer und surrealer: „Kickkack.“ 

Kickkack war es übrigens, die mir vor sehr vielen Jahren erklärte, dass ein bestimmtes Kribbeln unter meiner Haut normal sei. Es gehöre zum Erwachsenwerden dazu.

An dem Tag, als sie mir dies erklärte, das weiß ich noch genau, saß ich in ihrer kleinen Wohnung und bekam von ihr, wie immer, wenn ich sie besuchte, ein Knäckebrot mit Apfelkraut zu essen.

Während ich es aß, blätterte Kickkack ab und an in der Wochenzeitung DIE ZEIT, die sie wie ein Tischtuch vor sich ausgebreitet hatte. Zugleich unterhielten wir uns aber über alles Mögliche und Unmögliche. Besser gesagt, sie gab mir Unterweisungen und Erklärungen. Auch darüber, was es zum Beispiel mit Ameisen unter der Haut von jungen Männern auf sich hatte, die dieses fragliche Kribbeln zu verursachten verstanden.

Kickkack machte mir deutlich, dass die Ameisen, die unter meiner Haut lebten, später dafür sorgen würden, dass sie ihren Samen weltwärts in eine Frau tragen würden.

Nach dem Hochzeitsflug würden die Ameisen ihre Flügel abwerfen und den Samen als Geschenk in ein Beet pflanzen, aus dem ein Ei wachsen könnte.

Zunächst würden die Ameisen das Beet mit einer farblosen, aber stechend riechender Flüssigkeit tränken, dozierte die alte Frau, um das Nest für das geheimnisvolle Ei vor zu bereiten.

Sie schmunzelte schelmisch, als sie mir diese Geschichte erzählte. Für meine jungen Ohren war das verständlicher weise alles ungeheuer spannend und abenteuerlich. Gleichzeitig verstand ich aber kein einziges Wort von dem, was meine geliebte Urgroßmutter von sich gab.

Ach, Kickkack! Stumm hörte ich ihr zu…