Projektionen, Spekulationen, wilde Interpretationen und intellektuelles Pigmenträtsel zum Bild „Die Infantin als junge Frau“.

„Erwachsene müssen sich daran gewöhnen, Waisen zu sein“. Und „Man suche nur nicht zu viel hinter den Phänomenen: sie selbst sind die Lehre“, (frei nach J. W. v. Goethe). Das nachfolgende Bild wurde, von Anfang an, gerne als naturalistisch oder realistisch charakterisiert: „it is reality, not painting“, schrieb man mir. Théophile Gautier knüpfte z.B. 1862 daran gar erotische Assoziationen. Und nach der Erfindung der Fotografie 1839 attestierte man dem Bild alle Qualitäten eines modernen Fotos als Reproduktion von Wirklichkeit, die keine Frage offen lasse, als „Triumph des Realismus“. Zahlreiche normative Annahmen zur Bildrezeption (wie z.B.: „hat das Gefühl“, „springt das Auge des Betrachters“, „gerät der Betrachter in vibrierende Unruhe“) führen nach wie vor zu der These, dass der Betrachter von mir als Künstler mit diesem Bild bewusst irregeführt werde. Vielleicht. Gleich nach Michel Foucaults befremdlichen Aufsatz „Les Suivantes“ (= das weibliche Gefolge) oder „Die Hoffräulein“ (Las Meninas) von 1965/66 zu Velázquez‘ berühmtem gleichnamigen Gemälde von 1656 erfuhr auch mein Bild hier die verschiedensten Einschätzungen: “Wahrheit, nicht Malerei“, “Neues Capriccio’‘ oder auch “Wirklichkeit … wie sie zu sein scheint’’.  Man ’springt‘  bei mir, anders als bei Velázquez sozusagen direkt voll ins Bild, direkt auf die ‚Zentralfigur‘ der Infantin zu. Faszinierend wie sehr unsere Blicke sich verändern, wenn wir statt der kleinen Margarita nun eine junge Frau sehen.

Das Licht in meinem Bild „tob(e)“ in sich selbst und finde gleichsam dort “seine Ruhe“. Ähnlich ambivalent schätzt man den Hintergrund als „nah und grenzenlos“ (weit?) ein, vor dem eine „hohe [warum?] Silhouette eines Mannes’‘ erscheine, teilweise im Halbprofil. Weiter meinten Bilddeuter, dass der Mann im Türrahmen das Gewicht eines Vorhangs halte (oder ihn teilweise zur Seite schiebe) in einer auf zwei Stufen verteilten (zu ergänzen: kontrapostischen) Fussstellung. Es ist ihnen nicht klar, ob der Unbenannte ins Zimmer oder den Hauptraum herabkommen oder in dem Treppenkorridor verbleiben will, um wohl zu sehen, aber nicht um gesehen zu werden. Der Philosoph Reinhard Brandt vermeinte jüngst: das Bild sei eigentlich gar kein Bild, sondern eine sich selbst reflektierende Wirklichkeit… die Szene sei kein Schnappschuss vom Porträtieren, sondern „Gedankenspiel und Kunstwerk“. Auch gut. „Las Meninas“ gilt als ein Bild für einen König. Bei mir ist jeder Betrachter König und/oder Königin. Ja, es geht um geheimnisvolle Besucher. Es geht um das Modellstehen der Infantin. Geht es zugleich aber auch um eine wahre, fixierte Szene? Wenn ja, wo bleibt am Ende das eigentliche (Kunst)Geheimnis? Dies liegt wohl in der Stimmung, dem Ausdruck, in dieser sehr offensichtlichen Privatheit des Bildes … Aber vor allem will ich zum Schluss eines sagen: all diese von mir zusammengeklaubten Zitate missbrauchen das Bild als Beleg oder Demonstrationsobjekt für eigene, ganz andere Probleme und Themen, die mit dem Gemälde selbst überhaupt nichts zu tun haben. Voyeurismus ist bekanntlich nicht die langweiligste Weltanschauung.