Mein systemrelevantes Denken an den Tod

„Denken Sie oft an so was Gewöhnliches wie den Tod? / Ich muss mir überlegen / ob ich in diesem Augenblick lebe. / Lieber verliere ich mich in die verstreute Prosa / des Lebens im Allgemeinen. / Gymnastik, Parade, gehören ins dilettantische Melodrama: / etwas für Liebhaber, die nie aussterben.“ Kunst ist nicht systemrelevant mehr. Mir hat sie immer geholfen nicht verrückt zu werden. Ja. Vögelnd. Die Sonne. Musik. Stimmen. Ein Tier. Deine Hand. Rohes Fleisch, Mais, Wasser und Wein.

Kunst ist wohl nur noch etwas für Liebhaber*innen, die aussterben, weil sie auch nach der Corona-Zeit noch an Kunst glauben wollen. Genau wie ich. Noch eine letzte Arbeit. Was ist je zum Abschluss gelangt? Ich brachte meiner Muse einst Blumen mit, sie bemerkte traurig: »Es ist doch alles ganz einfach.« Dabei ist nichts ganz einfach mit einem Künstler.  »Das ist bestimmt aufregend« sagt die Muse in einem Gespräch. »Aber sicherlich ist das auch sehr anstrengend. Mit einem Künstler.« Ja. Vielleicht. Genau. Überall, denke ich, stehen Aufpasser in unser beider Leben herum, die darauf achten, dass keiner ein Foto von dem anderen mehr macht. Kein Foto in unanständiger Pose. Warum nicht? Der Grund ist folgender:  „Wir werden diesen Verrätern den Kopf abreißen!“ So grölt der Mob und verliest einige Namen: Oliver Py. David Grossman. Jan Wagner. Paul Celan. Karl Krolow. Jim Morrison. Auch mein Name fällt. Die Legende frisst ihre Kinder auf. Sie marschiert gegen Lumpen, Verräter und Dichter.

Die verlogene Legende marschiert mit ihrem Glauben und mit Fahnen. Es gibt keine andere Legende, behauptet die Legende, die Kugeln mit ihrer Brust auffängt, an deren mit Stolz geblähter Brust Kunst nicht haften bleiben kann. Solch einer Legende sickern keine Worte ins Gewissen. Diese Legende spricht nur mit Fäusten, schlägt Künstlern ins Gesicht, reißt Schwangeren die Frucht heraus, damit die Legendenbildung auch wirklich verfängt. Der Morgen wird deportiert, der Abend abgesetzt, das friedvolle Leben zum Abdanken gezwungen. Den Vögeln hat die Legende jegliches Lied verboten, es sei denn zur Glorifizierung der Legende selbst. Die Legende ist unantastbar! Drakonische Strafen drohen jedem, der Übles über die Legende sagt, der auch nur versäumt, genug Ehrerbietung zu zeigen. Eine Legende ist und bleibt systemrelevant. Künstler sind es nicht.