Täglicher Drachenkampf

Der Drache, wie in der psychoanalytischen Tradition C. G. Jungs bei Erich Neumann, James Hillmann, Etienne Perrot u. a. aufgezeigt, steht für einen der ursprünglichsten und kulturübergreifenden Archetypen (strukturelle Elemente des kollektiven Unbewussten oder grundlegende Bilder, die die Psyche strukturieren) der Menschheit… Und gemeinsam mit dem Drachen wird immer der heldenhafte Reiter dargestellt, der ihn im grausamen Kampf stellt. Was bedeuten diese beide Figuren?… Auf dem Weg der Evolution wird die Menschheit vom Unbewussten zum Bewusstsein geführt, von der kosmischen Fusion mit dem Ganzen (Uroboros) zum Aufkommen der Selbständigkeit des Ichs. Dieser Schritt ist, wenn er ganz vollzogen ist, dramatisch: deshalb muss das Ich ihn immer wieder gehen, will es sich der Freiheit und der Selbständigkeit erfreuen… Es ist wichtig zu erkennen, dass der schreckliche Drache und der heldenhafte Reiter zwei maßgebliche Dimensionen des menschlichen Seins darstellen… Die Handlung des Helden, in unserem Fall der Hl. Georg in seinem Kampf mit dem Drachen, zeigt die Stärke des Ichs, das sich mutig und erleuchtet durchsetzt und Autonomie erobert, sich jedoch stets in Spannung mit der dunklen Dimension des Drachen befindet. Sie koexistieren, doch niemals beherrscht der Drache das Ich… Wer sich auf diesen Weg Kampf einlässt, leugnet den Drachen nicht, sondern behält ihn bei als gezähmten Anteil seiner inneren Schattenseite. Und darum tötet der Hl. Georg in den meisten Erzählungen den Drachen auch nicht. (nach Leonardo Boff, Theologe und Philosoph)