Alltags-Requiem

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen sendet, so will es mir erscheinen, nur noch gute=gefühlsdusselige Durchhaltefilmchen à la Rosamunde Pilcher. Schnulzige Heimatmusik à la „Mit Blasmusik durch Bayern“ wattet das Gemüt ein, um von der Coronapandemie abzulenken bzw. das Gehirn komplett zu betäuben oder zu sedieren. In Talkrunden geben sich erwachsene Menschen ernsthaft Tipps wie der Alltag in Quarantäne zu bewältigen ist. Liegt im Regal nicht noch das Buch, was man vor Jahren einmal geschenkt bekam? Könnte man es jetzt einmal zur Hand nehmen? Aufschlagen? Lesen? Aber wie? Wo fängt man da an? Helfen einem die Seitenzahlen beim Verständnis der Lektüre? Es gibt so viel zu entdecken. Stimmt. In meinem Atelier tönt das „Mars Requiem“ von Helga Pogatschar: ein Crossover unterm Kreuz! Die strenge liturgische Form des Requiems konterkariert die Komponistin auf ihrer grandiosen CD mit moderner Vokalmusik, Klang-Samples, Heavy Metal-Riffs und Industrial-Gewittern. Und plötzlich taucht da auch ein Gespenst auf; ein Zombie spricht, gesampelt, zu Beginn des Kyrie. Störend, verstörend und sehr gestört, schreibt die Kritik. Der Wiedergänger wird im Booklet der CD als Oscar Schellbach identifiziert. Die Quelle, das Grab, aus dem Oscar Schellbach spricht, ist eine alte Schellackplatte names Seelephonie. Hier hört man die Anfänge der Autosuggestion im nazistischen Deutschland. Schellbach peitscht wie irre, geradezu „kinskiesk“ will ich meinen, drauf los: „Du hörst jetzt sehr schön zu, was ich dir sage. Kleine Kinder sind lieb und artig, und du bist auch ein artiges und liebes Kind, nicht wahr?“ Unwillkürlich ziehe ich den Kopf ein. Spricht durch Schellbach etwa auch das Virus zu mir? Oder ist es der texanische Vize-Gouverneur Dan Patrick, der unlängst forderte: Ältere Menschen sollten ihr Leben für die Wirtschaft opfern. Dann folgt ein weiter Schlag: „Nur als höherer Mensch hast du Daseinsberechtigung, sonst bist du faul und krank und verdienst den Untergang.“ O, ich glaube, es ist der Gouverneur, der da spricht…