Schwarzfilm (Repríse)

Eigentlich war ich ganz fest entschlossen, kein Bild mehr zur aktuellen Corona-Pandemie zu schaffen. Aber meine Beschäftigung mit Texten des Dramatikers Heiner Müller lässt mich heute (noch einmal) eine kleine Ausnahme machen. Aufmerksam und nachdenklich lese ich seine folgenden Zeilen, die fürchterlich aktuell klingen: „Andererseits ist durch nichts erwiesen, dass der Mensch auf der Erde das herrschende Lebewesen ist. Vielleicht sind es ja die Viren, und wir sind nur Material, eine Art Kneipe für die Viren. Der Mensch als Kneipe…

– auch das ist nur eine Frage der Optik.“

(Heiner Müller; aus: Da trinke ich lieber Benzin zum Frühstück (1989))

Alle Träume haben einen Grund

Was ist geschehen? Im Traum erblicke ich mich ohne meine obligatorische Mund-Nasen-Maske. So wird mir augenblicklich bewusst, dass es sich hier um ein Bild aus einem alten Traum handeln muss, um einen schönen Traum aus einer längst vergangener Zeit.

Ich öffne die Augen, erhebe mich von den Laken, um mich sofort unter der Last der Erkenntnis wieder setzen zu müssen. Seufzend  sacke ich in mich zusammen. Die Träume sprechen zu mir. Sie flüstern mir zu: „Sieh nur, was aus dir geworden ist. Ein bildender Künstler ohne Publikum.“

Aber so schlimm ist das nicht. Der Dichter Friedrich Hebbel beschrieb es für mich einmal sehr treffend mit: „Das Publikum beklatscht ein Feuerwerk, aber keinen Sonnenaufgang.“

(Mein Artikel, passend zum 1.Jahrestag von Deutschlands erstem positiven Coronafall.)

 

Ich lebe mit meinem Jahrhundert, bin aber nicht nur sein Geschöpf

So vieles, was wir tagtäglich sehen, erkennen wir gar nicht auf den ersten Blick… Mit anderen Worten: Eigentlich wollte ich nichts mehr zum Thema „Corona“ zeichnen, malen, neu zusammenstellen. Aber die Stimmung im Volk schwankt zwischen Ratlosigkeit und Aktivismus. Es wäre also die Gelegenheit, nun endlich alles neu zu ordnen, Kunst, Kultur, Staat und Gesellschaft in eine neue Beziehung zueinander zu bringen. Wie vermeintlich erlangte Freiheit und Selbstbestimmung wiedererlangen und letztlich auf Dauer sichern, das ist die Frage. Und eine Lösung hierfür gerade von der Kunst erhoffen! Genau dies macht Friedrich Schiller in seinen 27 Briefen „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“. Der Maler Anton Graff porträtiert den Dichter. Und ich mache ein Bild zu Anton Graff… in Zeiten von Corona, in einer Zeit, in der die Stimmung im Volk zwischen Ratlosigkeit und Aktivismus schwankt…

die Zeit ist ein altes & ewiges Legespiel.

Dränge zur Vollendung hin

Der Etat von Kulturstaatsministerin Monika Grütters wird um 43,5 Millionen Euro erhöht. Das Geld ist vor allem für freiberufliche Künstler*innen …: es ist Zeit. Der Corona-Sommer ist sehr groß. Wer jetzt keine Galerie hat, bekommt sicher keine mehr.

Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird wachen, lesen, lange Briefe schreibe und wird in den Alleen hin und her unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Kritiken

Die Lesung begann mit: „Guten Tag! Mein Name ist Detlef Bach. Gibt es gute Gründe dafür, warum ich hier im Museum Zentrum für verfolgte Künste eine Lesung halte? Gute Gründe, ja! Ich erinnere mich an eine Zeit, als ich als junger Künstler die Türen der Galerien stürmte, um auf mich aufmerksam zu machen. Ich weiß noch, der Kopf des Galeristen, der mir besonders in Erinnerung geblieben ist, hob sich, die Hände des Galeristen klappten meine Mappe gebieterisch zu, schoben sie zur Seite und er fragte mich überraschend: „Sind Sie eigentlich krank?“ Ich verneinte. Der Galerist schloss kurz die Augen, atmete hörbar ein und aus, blickte mich dann wieder an und wollte nur wissen: „Werden Sie dann wenigstens verfolgt?“… „Nein“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Aber was soll ich denn dann über Sie schreiben können?“ resignierte der Galerist. Ja, was hätte er sagen, was hätte er schreiben können? Vielleicht: „Nichts ist stummer als die seltsame Straße, wo Blatt weder aufkommt noch fällt noch wintert, wo keinerlei Ding sich abmüht oder gefällt, wo kein Wechselspiel ist von Schlafen und Wachen.“ …

Hallo Detlef, ich möchte Dir gerne noch ein Feedback zu deinem Auftritt geben. Wir fanden deinen Vortrag äußerst gelungen. Fast schon professionell. Nur hin und wieder blitzte eine kleine Nervosität auf. Ich persönlich hätte wahrscheinlich schon das Mikrofon nicht ruhig halten können! Es ist immer wieder faszinierend, wie Dir die Worte bei der Schilderung deiner Gedanken und Gefühle gehorchen und welche Wortwahl (-Kreationen) abseits der Alltagssprache möglich ist. Einfach famous!!! Außerdem wurde mir wieder klar, warum populäre Künstler meist immer eine bestimmte Altersgrenze überschritten haben müssen. Sie können aus ihrem Leben erzählen. Die Summe der Erfahrungen sowie die durchlebten bzw. erlebten Phantasien sind Bestandteil ihres Schaffens (nur eine Behauptung von mir). Mit 25 hättest Du wahrscheinlich den Vortrag nicht gehalten. Allerdings hätten sich Zuhörer damals bestimmt noch an Vico Torriani erinnert. Heute bin ich mir da nicht mehr so sicher. Auch ein Zeichen der „Weisheit“!  (Jürgen Bach) 

Zwei wunderschöne, geradezu rührende, kluge, zarte Reden oder Lesungen sind das, lieber Detlef Bach! (…) Sie haben dem Ort damit eine neue Bedeutung gegeben. Die zitierten Galeristen-Äußerungen sind so obszön, man mag es kaum glauben, aber ich bin mir sicher, dass Sie nicht übertrieben haben. Schauerlich. Und immer wieder bewundernswert, wie Sie sich von allen Anfechtungen freihalten konnten. Was für ein Ethos, das Tagebuch an dem Tag zu beenden, an dem klar wird, dass es ausgestellt werden wird! Andere hätten da erst voll losgelegt und all ihre Eitelkeiten zu Papier gebracht. Aber Sie sind aus anderem, ungleich feineren Holz geschnitzt, das freut mich immer wieder. (Wolfgang Ullrich)

Und am Ende sagte ich noch: „Ich rede hier von der neuen Sprache der Kunst. Jedes meiner Kunstwerke lädt ein mit ihm zu spielen… ob mit Sprache oder Malerei/Bildern. Reflexionsprozesse, Imagination und Erinnerung wechseln sich in beiden ständig ab. Nichts bleibt, wie es ist oder uns erscheint.  Alles verändert sich. Man muss das nur sehen und hören wollen. Und das kann man jetzt im Museum Zentrum für verfolgte Künste, hier in Solingen. Kommen Sie und schauen Sie selbst. Ich danke Ihnen.“

Could it be that I have found my home at last

Der Kulturwissenschaftler und Buchautor Wolfgang Ullrich schreibt: „…ach, das freut mich! Sie und Ihr Tagebuch im Museum! Wer hätte so etwas zu Anfang des Jahres vorhersehen können? Ich finde das eine großartige Initiative vom Direktor, endlich wird auf diese Weise Ihr seit so vielen Jahren mit so viel Energie, Esprit und Feinsinn geführter Blog mal etwas gewürdigt. Hoffentlich folgen auf die Reporter nun neugierige Besucher, die all das, was Sie geschrieben und gemalt haben, in Ruhe würdigen.“

Jetzt im Museum Zentrum für verfolgte Künste, Solingen. Mein „Corona-Tagebuch“.

Quo Vadis?

Der sommersprossige Beamte vom „Quarantänevollzugsdienst“, mein ganz persönlicher „Schließer“, fragte mich heute, wie beiläufig, als er die Zellentür für mich geöffnet hatte, so als hätte er sich überhaupt nichts bei der Frage gedacht: „Wohin gehst du?“ Sofort war ich versucht zu antworten: „Wohin ich gehe, dorthin kannst du mir jetzt nicht folgen. Du wirst mir aber später folgen.“ Doch diese Retourphrase hätte viel zu arrogant geklungen. Warum sollte ich diese freundliche, liebevolle Frage mit intellektuellen Spielereien demütigen? Der Beamte lächelte mich warmherzig an und sah sich dann in meiner Zelle um. Er betrachtete die unzähligen Zeichnungen, Skizzen, Textfragmente, die meine Zellenwände dekorierten. Meine Bilder, sagte der Mann sehr langsam und zögerlich, so als tastete er sich bei seiner Wortwahl vorsichtig vor, sie wirkten auf ihn, hier zögerte er kurz, und fügte dann als Quintessenz all seiner innerlichen Überlegungen ein leises „lyrisch“ hinzu. Meine Bilder würden in seinen Augen und Ohren von unerhörten Geschichten erzählen. Sie würden von unerzählbaren Geschichten träumen!, ergänzte er. Und lächelte mit dem sichtbaren Stolz der Erkenntnis.

„Ach, wäre es bloss so einfach,“ dachte ich bei mir. Lächelte jedoch dankend zurück. „So einfach? Einfach so, weil es Raubtiere gibt, die Nachts an Quellen nah bei den Städten trinken, weil der Jasminduft sich an einem Sommerabend über die Schande des Verräters legt, eine Frau mit den Totengräbern ihres Sohnes schlafen will; Söldner tanzen nach dem Massaker, sie haben die Kleider von jungen Mädchen übergestreift… Und in der Nacht die Zahlenhierarchie, die den Tod der Sterne lenkt. Wäre es doch bloss so einfach. Einfach so. Nein, es ist kompliziert. Mit der Kunst.“

Die Normalität zieht ihre Jalousien hoch

Die Normalität zieht ihre Jalousien hoch. Wohin soll ich mich nun wenden? Zurück in die Zeit vor Corona? Um das zu erreichen, müsste ich aber schon bis zum Rand des Universums laufen, dort wo die Zukunftskegel in die Vergangenheit kippen. Doch dazu hab ich nicht die Zeit. Wie soll ich mich also JETZT entscheiden? Mach schnell, es wird schon hell, gleich wird der Zauber schwinden; liebe, auch wenn man dich betrügen wird, auch wenn das Gift der Kränkungen du kosten wirst, liebe, sei mutig und gleichzeitig ein bisschen furchtsam, sei alles und rühr auch an die Niederlage und das Scheitern. Und tu auch weh, enttäusche, lüge, schnell, mein Kind, wehe an alledem vorüber, nur für ein flüchtiges Wehen reicht die Zeit, kurz ist die Dauer solcher Illusion, doch du wirst berühren, streichle den warmen Körper, eine Frau, volle Brüste in deinen Händen … hol Luft, spür ihr Stechen, leck die Oberlippe, schmeck das Salz von gesunden Schweiß, das Jucken des Lebens und sag jetzt aus vollem Herzen: ICH.

Das neue Normal

Die letzten Wochen habe ich immer wieder geträumt, dass man mich fragen würde, wie die Zeit nach Corona aussehen würde. Ich sah vor mir immer irgendwelche hektischen Reporter, Hunden gleich, die herumschnüffelten, um Verwertbares in den Aussagen derer zu finden, die nach ihrem Exil nur zögerlich wieder auf die Straße heraus traten und mit einer Hand vor dem Gesicht in die Sonne blinzelten. „Ja, weißt du“, hätte ich gerne in die mit Plastiktüten überzogenen Mikrophone geflüstert: „es gibt Völker, die kennen keinerlei Schuldgefühl, sie leben einfach so, die Füße im Wasser, das Meer leckt die Füße, die Sonne leckt ihren Körper, die Zeit verrinnt, aber niemand hackt ihnen die Hände ab, es steigt etwas auf wie ein Duft und die Arbeit ist keine Arbeit, sie ist etwas anderes, sie ist ein Fest, ein Tanz.“ Dann hätte ich die verdutzten Reporter angeschaut und hinzugefügt:  „Glaubst du, so was kann man schreiben? Oder malen? Nein, es ist komplizierter. Wir haben Helden vergiftet, Prinzen gelehrt, haben Helden vergiftet, Fass um Fass geleert und doch war das alles irgendwie verkehrt. Wo hört das Roß auf, wo beginnt der Reiter? Wer weiß schon, ob er Roß oder Reiter? Etwas hielt inne. Etwas galoppierte weiter.“ Wenn ich wahrnahm, wie der Reporter irritiert zu seinem Tontechniker hinüber schielte, der allerdings nur fragend die Schultern hob, legte ich nach: „Es gibt sogar Tote, die auf mich warten, wie diese Partitur eines vergessenen Komponisten und die ich mit dem Enthusiasmus eines Ostertages in die Oper tragen werde, es sind Fahnen zu nähen, für die Demonstration von Illegalen. So viel Arbeit. So viel steinernes Vergnügen.“ Aber als ich jedoch heute vor die Tür trat, war da niemand, der irgend etwas von mir wissen wollte. An der gegenüberliegenden Hauswand las ich nur ein Graffiti, was dort hingesprüht war: JETZT IST DAS NEUE NORMAL.

Mein systemrelevantes Denken an den Tod

„Denken Sie oft an so was Gewöhnliches wie den Tod? / Ich muss mir überlegen / ob ich in diesem Augenblick lebe. / Lieber verliere ich mich in die verstreute Prosa / des Lebens im Allgemeinen. / Gymnastik, Parade, gehören ins dilettantische Melodrama: / etwas für Liebhaber, die nie aussterben.“ Kunst ist nicht systemrelevant mehr. Mir hat sie immer geholfen nicht verrückt zu werden. Ja. Vögelnd. Die Sonne. Musik. Stimmen. Ein Tier. Deine Hand. Rohes Fleisch, Mais, Wasser und Wein.

Kunst ist wohl nur noch etwas für Liebhaber*innen, die aussterben, weil sie auch nach der Corona-Zeit noch an Kunst glauben wollen. Genau wie ich. Noch eine letzte Arbeit. Was ist je zum Abschluss gelangt? Ich brachte meiner Muse einst Blumen mit, sie bemerkte traurig: »Es ist doch alles ganz einfach.« Dabei ist nichts ganz einfach mit einem Künstler.  »Das ist bestimmt aufregend« sagt die Muse in einem Gespräch. »Aber sicherlich ist das auch sehr anstrengend. Mit einem Künstler.« Ja. Vielleicht. Genau. Überall, denke ich, stehen Aufpasser in unser beider Leben herum, die darauf achten, dass keiner ein Foto von dem anderen mehr macht. Kein Foto in unanständiger Pose. Warum nicht? Der Grund ist folgender:  „Wir werden diesen Verrätern den Kopf abreißen!“ So grölt der Mob und verliest einige Namen: Oliver Py. David Grossman. Jan Wagner. Paul Celan. Karl Krolow. Jim Morrison. Auch mein Name fällt. Die Legende frisst ihre Kinder auf. Sie marschiert gegen Lumpen, Verräter und Dichter.

Die verlogene Legende marschiert mit ihrem Glauben und mit Fahnen. Es gibt keine andere Legende, behauptet die Legende, die Kugeln mit ihrer Brust auffängt, an deren mit Stolz geblähter Brust Kunst nicht haften bleiben kann. Solch einer Legende sickern keine Worte ins Gewissen. Diese Legende spricht nur mit Fäusten, schlägt Künstlern ins Gesicht, reißt Schwangeren die Frucht heraus, damit die Legendenbildung auch wirklich verfängt. Der Morgen wird deportiert, der Abend abgesetzt, das friedvolle Leben zum Abdanken gezwungen. Den Vögeln hat die Legende jegliches Lied verboten, es sei denn zur Glorifizierung der Legende selbst. Die Legende ist unantastbar! Drakonische Strafen drohen jedem, der Übles über die Legende sagt, der auch nur versäumt, genug Ehrerbietung zu zeigen. Eine Legende ist und bleibt systemrelevant. Künstler sind es nicht.