Artenschutz aufgrund ästhetischer Prinzipien

Stellen Sie sich nur mal vor, sie müssten ihr ganzes Dasein von zu Hause aus zelebrieren. Ständig, verstehen Sie? Nicht nur ab und an. So ein paar Stündchen. Nein, rund um die Uhr. Ihr ganzes Leben lang. Der Grund  für dieses Exil wäre, nehmen wir nur mal an, die Ausgangssperre wegen des Corona-Virus, von dem man ja ständig was in den Medien hört und liest. Während Sie also jetzt dasitzen, eingepfercht in den eigenen vier Wänden, da fällt Ihnen plötzlich auf, dass Ihr Nachbar Künstler ist. Ein Musiker! Ein Stimmakrobat, der tagtäglich meint, er müsse seine Wagner-Arien vom Balkon runter schmettern und noch Applaus dafür einfordern. Oder ihr Nachbar ist ein ganz übler Fiedler und wohnt direkt nebenan. Wand an Wand mit Ihnen. Der Wahnsinnige malträtiert Stunde um Stunde seine Geige. Wenn das, was Sie da hören, überhaupt eine Geige ist? Wissen kann man das bei bestimmter Musik ja nie. Oder stellen Sie sich vor, ihr Nachbar frönt der Bildhauerei. In Marmor. Mit Meißel und Presslufthammer. Tag ein, Tag aus, so wie dem da nebenan die Muse küsst. Das ist ja hinlänglich bekannt, dass die Musen bei den Künstlern ständig ein und aus gehen. Was die dann alles so treiben, darüber wollen Sie lieber gar nicht erst nachdenken müssen. Sie würden erröten. Ehrlich, wenn Sie diese Szenarien für sich im Kopf mal durchgespielt haben, wissen Sie, was Sie sich dann von ganzen Herzen wünschen? Na? Richtig: einen Maler! Einen bildenden Künstler als Nachbarn. Einen netten Menschen, der sogar noch ein Kissen über seinen Pinsel legt, damit er beim Malen keinen Lärm verursacht. So einen Menschen wollen Sie neben sich wohnen haben, ganz ehrlich. Aber die sterben jetzt leider aus. Die stehen nicht unter Artenschutz. Und Sie sollten sich auch ruhig mal fragen, wann Sie einem Maler zuletzt ein Werk abgekauft haben, um ihn vor dem Hungertod zu bewahren. Also jammern Sie nicht, wenn die Wohnung neben Ihnen jetzt frei wird und jemand mit Schlagzeug dort einzieht, die Koffer randvoll mit Schlag- und Millionen von  Perkussionsinstrumenten. Viel Spaß noch in Quarantäne, wünsche ich Ihnen.