Das neue Normal

Die letzten Wochen habe ich immer wieder geträumt, dass man mich fragen würde, wie die Zeit nach Corona aussehen würde. Ich sah vor mir immer irgendwelche hektischen Reporter, Hunden gleich, die herumschnüffelten, um Verwertbares in den Aussagen derer zu finden, die nach ihrem Exil nur zögerlich wieder auf die Straße heraus traten und mit einer Hand vor dem Gesicht in die Sonne blinzelten. „Ja, weißt du“, hätte ich gerne in die mit Plastiktüten überzogenen Mikrophone geflüstert: „es gibt Völker, die kennen keinerlei Schuldgefühl, sie leben einfach so, die Füße im Wasser, das Meer leckt die Füße, die Sonne leckt ihren Körper, die Zeit verrinnt, aber niemand hackt ihnen die Hände ab, es steigt etwas auf wie ein Duft und die Arbeit ist keine Arbeit, sie ist etwas anderes, sie ist ein Fest, ein Tanz.“ Dann hätte ich die verdutzten Reporter angeschaut und hinzugefügt:  „Glaubst du, so was kann man schreiben? Oder malen? Nein, es ist komplizierter. Wir haben Helden vergiftet, Prinzen gelehrt, haben Helden vergiftet, Fass um Fass geleert und doch war das alles irgendwie verkehrt. Wo hört das Roß auf, wo beginnt der Reiter? Wer weiß schon, ob er Roß oder Reiter? Etwas hielt inne. Etwas galoppierte weiter.“ Wenn ich wahrnahm, wie der Reporter irritiert zu seinem Tontechniker hinüber schielte, der allerdings nur fragend die Schultern hob, legte ich nach: „Es gibt sogar Tote, die auf mich warten, wie diese Partitur eines vergessenen Komponisten und die ich mit dem Enthusiasmus eines Ostertages in die Oper tragen werde, es sind Fahnen zu nähen, für die Demonstration von Illegalen. So viel Arbeit. So viel steinernes Vergnügen.“ Aber als ich jedoch heute vor die Tür trat, war da niemand, der irgend etwas von mir wissen wollte. An der gegenüberliegenden Hauswand las ich nur ein Graffiti, was dort hingesprüht war: JETZT IST DAS NEUE NORMAL.