Trost in coronaverseuchter Zeit

In den sozialen Netzwerken befragen sich die User zur Zeit gerne nach den Musikstücken, die ihnen Trost und Zuversicht geben. Musik, die gegen Corona hilft. Oder wenigstens eine kleine Weile davon ablenkt. Würde man mich fragen, was mich auf andere Gedanken bringt, so lautete meine Antwort, und sie käme wie aus der Pistole geschossen: Johann Sebastian Bach „English Suite No 2 in A major BWV 807“. Als besonders wichtigen Hinweis würde ich sogleich noch vehement hinzufügen: eingespielt und interpretiert von Glenn Gould.

„Meine Liebe zu Bach ließ mich Musiker werden. Alles was mich interessierte, war von ihm geprägt. …“, sagte Glenn Gould einmal. Zuviel der Ehre, finde ich. Beschämt senke ich mein Haupt. „Ach, Herr Gould“, hauche ich leise. Muss aber sofort gestehen: Glenn Gould ist immer noch eine meiner größten Inspirationsquellen. Nicht nur sein Spiel. Auch seinen Texten, über so verschiedene Dinge, wie die Aufnahmetechnik als künstlerischen Ausdruck, Anmerkungen über die Sängerin Petula Clark, die er sehr schätzte, oder den Pianisten Arthur Rubinstein, dem eine einzige kleine Note in dessen Schallplattenaufnahme schmuggelte, verdanke ich ein gänzlich anderes Verständnis von Kunst. Als auch von Kunstvermittlung oder -interpretation. Gould schrieb witzig, gebildet, eigenwillig. Er liebte die Sound-Collage wie z.B. bei „The Idea of North“, einem Teil seiner “kontrapunktischen Dokumentarwerke“. Glenn Gould galt stets als Sonderling mit einer eigenwilligen Spielweise, der Isolation durchaus als Glück empfand. In solch einer Charakterstudie konnte ich mich gut wieder entdecken. Schon sehr früh verliebte ich mich in den Notizteppich von Markierungen und Anmerkungen, den Glenn Gould oft über den originalen Notentext einer Partitur legte, sodass dieser stellenweise darunter verschwinden musste, um der ureigenen Interpretation Raum zur Entfaltung zu geben. Glenn Gould zeigte mir auf, was auch im Zeitalter technischer Dominanz an individueller Größe möglich seien kann. Obwohl ich ja eher ein analoger Spieler in einer digitalen Welt bin, hat mich Corona an meinem Computer Platz nehmen lassen. Um Tag für Tag meine Gedanken und Bilder zur Pandemie mir aus der Seele ans Licht zu holen und… oder sollte ich sagen… um Bach zu hören.