Ästhetische Wiesel

Im echten Manne ist ein Kind versteckt: das will spielen.

Auf, ihr Frauen, so entdeckt mir doch das Kind im Manne!“ So schrieb einst Friedrich Nietzsche.

Der Dichter Christian Morgenstern widmete unter Berufung auf eben jenen Nietzsche seine Galgenlieder dem „Kind im Manne„… In jedem Menschen, schreibt Morgenstern, ist ein Kind verborgen, das heißt Bildnertrieb und will als liebstes Spiel- und Ernst-Zeug nicht das bis auf den letzten Rest nachgearbeitete Miniatur-Schiff, sondern die Walnussschale mit der Vogelfeder als Segelmast und dem Kieselstein als Kapitän. Das will auch in der Kunst mit-spielen, mit- schaffen dürfen und nicht so sehr bloß bewundernder Zuschauer sein. Denn dieses ›Kind im Menschen‹ ist der unsterbliche Schöpfer in ihm…

Die (oder sollte ich hier sagen dürfen MEINE) Galgenpoesie ist ein Stück Weltanschauung. Es ist die skrupellose Freiheit des Ausgeschalteten, Entmaterialisierten, die sich in ihr ausspricht. Man weiß, was ein mulus ist: die beneidenswerte Zwischenstufe zwischen Schulbank und Universität. Nun wohl: ein Galgenbruder ist die beneidenswerte Zwischenstufe zwischen Mensch und Universum. Nichts weiter. Man sieht vom Galgenberg die Welt anders an, und man sieht andre Dinge als Andre…( But the fool on the hill, Sees the sun going down, And the eyes in his head, See the world spinning ‚round.)

Nun, ich verstehe, da ist also das Kind, das Spuren im Sand eines digitalen Strandes hinterlässt… und daneben ist… äh…Das ästhetische Wiesel…

Und, wie heißt es so schön: Ein Wiesel saß auf einem Kiesel // In mitten Bachgeriesel // Wisst ihr // Weshalb? // Das Mondkalb // verriet es mir // Im Stillen: // Das raffinierte Tier // tat`s um des Reimes // willen. Oha!!! Das muss ich jetzt erst einmal verkraften. Ich? Ein Kind? Und ein ästhetisches Wiesel zugleich? Das ist schon allerhand. Darüber gilt es nachzudenken. Und deshalb mache ich hier eine…

Subtile Kritik

Ihr Blog, lieber Detlef Bach, ist immer wieder eine Wonne! Ich bin wirklich total begeistert davon, wie es Ihnen gelingt, Ihrer Kunst einen Umraum zu geben, in dem sie großartig zur Geltung kommt. Und Sie können so gewitzt schreiben.

Die Assoziation von Meese mit Finck ist höchst subtil! Auch wenn Meese dabei nicht gut wegkommt. Ich wäre ja sogar bereit, ihn zu verteidigen, zumal in so einem bescheuerten Prozeß. Ein Freund, der wiederum mit Meese befreundet ist, erzählte mir gestern, die Sache nehme diesen schon mehr mit, als man glauben würde.  Meine Jugend verbrachte ich übrigens zu großen Teilen auf dem Münchner Waldfriedhof, in unmittelbarer Nähe zum Grab von Werner Finck. Wirklich einer der ganz Großen, leider zu wenig präsent.

Sehr herzlich Ihr Wolfgang Ullrich

(Wolfgang Ullrich nimmt hier Bezug auf meinen Artikel „Anna Meese“ vom 21.7.2013)

(Wolfgang Ullrich, geboren 1967, studierte Philosophie und Kunstgeschichte. Seit der Promotion 1994 arbeitet er als Dozent, freier Autor und Unternehmensberater. Er ist Professor für Kunstwissenschaften an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Bücher u.a. „Die Geschichte der Unschärfe“, „Mit dem Rücken zur Kunst“, „Uta von Naumburg“, „Tiefer hängen. Über den Umgang mit Kunst“, „Raffinierte Kunst. Übung vor Reproduktionen“…)

(Detlef Bach, geboren 1963, ist ein großer Fan von Wolfgang Ullrich und seinen Büchern. Begegnet sind sich die beiden noch nie, obwohl Bach vor langer Zeit schon Wolfgang Ullrich auf ein Weizenbier am Schliersee eingeladen hat…)

Der Ruhm der Barberini

Noch heute lohnt es sich über spezifische Probleme der Malerei, der Kunst zu debattieren. Ein wichtiger Streit behandelt zum Beispiel dabei die Frage, wie viele Figuren in einem Bild auftreten sollten. Einige Leute vertreten die Ansicht, dass unter dem Mantel eines stimmigen Gestamtkonzeptes, viele Erzählstränge vereinigt werden könnten und damit auch dem entsprechen viele Figuren in einem Bild sein müssten. Andere hingegen vertreten die Auffassung, dass man sich auf wenige Personen beschränken sollte und damit deren Individualität hervorheben könnte…

In dieser Auseinandersetzung kann man einen wichtigen Disput in der Kunstgeschichte erkennen. In der Renaissance war die Individualität in den Mittelpunkt gerückt und hatte für zahlreiche Revolutionen in der Kunst gesorgt. Dennoch waren viele Fragen nicht geklärt. Ein Streit, dem sich bis heute jeder (figurative) Maler/Künstler stellen muss. Stellt man eine Erzählung in den Mittelpunkt oder die Gefühle der einzelnen Personen? Vergleicht man vielfigurige Bilder beispielsweise mit eindringlichen Charakterstudien, so werden die beiden Pole dieser unterschiedlichen Auffassung sehr leicht greifbar. Die moderne und zeitgenössische Kunst zeichnet sich bis heute unter anderem sehr oft dadurch aus, dass sie die Gefühlswelt einer einzigen Person oder eine Beziehung zwischen wenigen Personen thematisiert. Und ich? Wer bin ich, dass…?

Und wer bin ich? Ein barocker Minimalist, will ich meinen.

Anna Meese

Der KLEINkünstler Jonathan Meese steht vor Gericht, weil er wiederholt den Hitlergruß zelebrierte. „Früher sind die Menschen für die Freiheit auf die Barrikaden gestiegen. Jetzt tun sie es für die Freizeit.“ So würde Werner Finck (1902-78), dt. Kabarettist u. Schriftsteller, diese Posse heute sicherlich beurteilen. Und Finck würde bestimmt hinzufügen: „Ein Mensch, der sich ohne ersichtlichen Grund eines Tages Stecknadeln und Reißzwecken in den Mund stopft und schluckt, ist ein Irrer. Er kann davon sterben … Macht er derlei Dinge aber in regelmäßigen Abständen, so ist er ein Artist. Er kann davon leben.“ Und Meese lebt sehr gut davon.

Der KLEINkünstler Meese. Ach, würde er seine dumme Show doch nur als Kabarett verstehen, er wäre groß. Aber er nimmt seine Sachen ernst; dass macht ihn winzig und klein. Deshalb bleibt er auf ewig ein KLEINkünstler = Großes „KLEIN“, winziges „künstler“. Auch Werner Finck hob seinen Arm zum Gruß. Aber er meinte damit die HEILkräuter und zeigte an, wie voll der Sack schon war. Das war lustig. Vielleicht sollte bei Jonathan M. mal eine Anamnese durchgeführt werden. Die Anamnese (von mir hier gerne wortspielerisch „Anna Meese“ genannt) bedeutet „Erinnerung“ und ist übrigens das Ergebnis einer Erhebung im Rahmen der ärztlichen Tätigkeit. Soviel darf verraten werden: Die „Anna Meese“ fasst die Leidensgeschichte eines Patienten aus seiner persönlichen Erfahrung zusammen. Die Aufzeichnung besorgt der behandelnde Therapeut. Im Rahmen der ärztlichen Sorgfaltspflicht ist zusammen mit einer sorgfältigen Erhebung der „Anna Meese“ eine Diagnose möglich, die Voraussetzung einer sachgerechten Therapie werden kann. „Anna Meese“ wird im Regelfall vor oder spätestens bei der medizinischen Untersuchung erhoben oder ist Teil der Untersuchung, beispielsweise zur Erstellung eines psychopathologischen Befundes. …  Ahja!!! Wusste ich es doch! „Auch die Bretter, die man vor dem Kopf hat, können die Welt bedeuten.“ (Werner Finck). Also lassen wir den KLEINkünstler Meese doch spielen! Und seine „Diktatur der Kunst“ hinausschreien. Und schauen wir was passiert, wenn sie eintrifft. Müssen wir dann alle malen und bildhauern wie Meese? O- Gott- bewahre… Nein, nein… Jonathan M. steht vor Gericht, weil irgendwer verhindern will, dass er in Bayreuth Wagner inszeniert. Und ein Skandälchen heraufbeschwört. Nicht wahr? „Die schwierigste Turnübung ist immer noch, sich selbst auf den Arm zu nehmen.“ (noch einmal der großartige Werner Finck).

summa summarum # 130

Kennt Psyche diese brunst / und weiß mein treues lieben /
 Warumb wird Thyrsis dann zu keiner zeit vergnügt?
 Warumb will man die lust ihm weiter noch verschieben?
 Die lust / durch welche man der liebe brunst besiegt.
 Denck Psyche / daß dir diß nicht wird zum ruhm gereichen /
 Daß du verliebet machst / und steckest feuer an /
 So du nicht löschn wilst. Laß dich mein kind erweichen /
 Schenck mir die süsse schooß / die mich ergetzen kan.

Veröffentlicht unter Kunst

Der letzte Augenblick der Kunst

Mir träumte…letzte Nacht, vor Tagen, Monaten, Jahren schon…

…in/mit den Worten von Sibylle Berg. Sie träumte (wie ich auch) von einer „Kunst, die Menschen wahnsinnig werden ließ, wenn sie endlich erkannten, wie unbedeutend sie waren und wie glücklich sie wurden, weil es doch etwas gibt, was größer ist als die Albernheit ihrer Bausparverträge. Es war der letzte Augenblick einer Kunst, die mit Leidenschaft, Wahnsinn und der Suche nach Erhabenheit zu tun hatte. Es war der letzte Augenblick, da bildende Künstler über dreißig und ohne Hochschulabschluss, da Galeristen ohne reiche Eltern oder Schriftsteller von ihrer Arbeit leben konnten und sich nicht durch den Unterhaltungsbetrieb, der Subventionen verteilte, durchvögeln mussten.“ So die Schriftstellerin in „ Vielen Dank für das Leben“. Ich nicke ihr kurz zu. Und dann träume ich fleißig weiter…

… immer weiter… diesem verdammten Glück hinterher. Sicher, ich weiß, das Glück ist niemals dort, wo man es sucht. Es ist dort, wo man es findet… meist auf ungeraden Wegen… mit anderen Worten: in der Kunst.

Schichtungen

(Alle Textpassagen aus: Tiefenpsychologie und Exegese 1; Die Wahrheit der Formen; Eugen Drewermann; dtv Sachbuch; 1993)