Die Frau des Federmachers (als eine Anordnung mit 1 < kunst < 1 + β ist verzögert überkritisch)

„Lieber Detlef Bach, … Ihre Installation eine großartige Sache! Die ganze Kraft Ihrer Ikonografie und Ihrer Formsprache kommt hier konzentriert zur Geltung. Mir gefällt, wie die Sujets sich manchmal über mehrere Blätter hinweg fortsetzen – und wie es dann wieder einen Bruch und Neuanfang gibt. Das bringt Dynamik in die an sich ja schon sehr bewegte Anordnung und sorgt zugleich für Momente des Innehaltens und der Irritation. … zur Zeit sind viele in der Gesellschaft schon etwas #MeToo-geschädigt, reflexartig wird jede etwas freizügigere Darstellung einer Frau gleich in Kategorien von Unterdrückung und Vergewaltigung wahrgenommen. Andere Dimensionen gehen da schnell unter, es ist deprimierend. Und im Kirchenraum ist die Wahrnehmung offenbar noch eingeschränkter. Da haben Sie sich ja auf was eingelassen! Eventuelle Kritik bitte nicht ernst nehmen, sie zeugt von einer Wahrnehmungsfaulheit derer, die sie vorbringen. Ihre Blätter sind so gut, weil sie so ungeschützt von Phantasien künden, die zugleich so allgemeinmenschlich sind. Ich bewundere das. Sehr herzlich grüßt Sie Ihr Wolfgang Ullrich“

(Porträtfoto: Andreas Kirsch)

Die Frau des Federmachers

„Ein Heiliger ist ein toter Sünder, bearbeitet und neu herausgegeben.“ ( Schreibt Ambrose Gwinnett Bierce. Ein Zitat, das gut passt. Zur Installation „Die Frau des Federmachers“ in der Kirche St. Bonaventura, Remscheid-Lennep.)

Es ist für so vieles zu spät

Oja, ich beobachte sie. Beschützt von ihren Engeln, die alle mit N angehen, dem Engel der Nüchternheit, dem Engel der Naivität, dem Engel der Neugier, hält sie Hof (…) in ihrem kleinen Landhaus an der Seventh Avenue. Die Stelle des Chauffeurs und des Gärtners hat der alte Joe mit seiner verfallenen Tankstelle übernommen (…) die Jungs von der Christopher Street sind ihre Läufer und Leibjäger, die aus der Hofkonditorei Ecke Bleecker und Barrow frische Nusshörnchen holen (…) Sie lacht. Sie hat ein gutes Gedächtnis (…) Sie denkt sich ihren Teil: „Gegenüber dem Großen bin ich natürlich klein, gegenüber dem Mächtigen schwach, gegenüber dem Gewalttätigen feige, gegenüber dem Aufdringlichen ausweichend… Ich halte ihm auch nicht die andere Wange hin, ich schieße nicht mit der Steinschleuder auf ihn, ich beobachte und beschreibe ihn… Und dann liebe ich ihn. (…) Es ist leicht die anderen zu lieben, wenn sie durch mein Sehfeld gehen… Während sie vorübergehen, bin ich ihre Zuschauerin, wenn sie zurückblicken, ihre Schauspielerin; alle wissen etwas, das über mein Wissen hinausgeht und mir das Recht des Urteils entzieht; es gibt keinen Richter, der besser wäre als wir es sind (…) Und was da vorüber gegangen ist, das sind nicht Erinnerungen, das ist keine gelbe Taube, die im Vergessen schläft, sondern Gesichter voll Tränen sinds, Finger in einer Gurgel, und das, was aus den Blättern sickert: die Dunkelheit eines vorbeigerollten Tages, eines Tages, der satt ist von unserem traurigen Blut…“, so wispert die Frau des Federmachers leise.

Als unsere Blicke sich treffen, öffnet die Frau des Federmachers wie in Trance ihr Haar. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Es ist die letzte Gelegenheit, vermute ich.

Die Frau des Federmachers und ihr Haustier

BachHaustier

„Warum habe ich das Gefühl, das ich ein Geheimnis in meinem Körper herumtrage wie einen Embryo, sprachlos und ungeformt, jenseits allen Wissens. Und warum habe ich das Gefühl, es könnte mit einem großen Knall aus mir herausbrechen, wenn es nicht kontrolliert wird? Es muss doch einfach, so einfach sein, dieses erdrosselnde Unbehagen mit Worten zu füllen, die Störung niederzuschreiben, eine Geschichte zu schreiben, die das Warum erklärt“, sagte die Frau des Federmachers zu sich selbst. Sie zitierte dabei aus „Die gleissende Welt“ von Siri Hustvedt, ein Buch, was ihr aus der Seele sprach.

Was macht eigentlich…

Was macht eigentlich die Frau des Federmachers? Herrje… all das aufzulisten, was ihr in den vergangenen Monaten passiert ist, welche Abenteuer sie erlebt hat, welchen Liebhabern und Liebhaberinnen begegnet, dies alles würde den Rahmen von meinem BLOG sprengen. Eine kleine Geschichte sei allerdings erwähnt: Die Frau des Federmachers, man wird sich daran erinnern können, ist bekanntlich eine leidenschaftliche Schwimmerin. Schon seit Kindertagen verbrachte sie mehr Zeit im Wasser, als auf dem Land. Ihr Onkel besaß einen alten Fischkutter. Und hieß Onkel Hinnie. Die zweite Leidenschaft in ihrem Leben ist natürlich die Kunst. Nur selten konnte sie, zu ihrem großen Missvergnügen, beiden Leidenschaften gleichzeitig frönen. Aus diesem Grund war die Frau des Federmachers mehr als erfreut, als sie vor Monaten von einer großen Ausstellung im Göttinger Stadtbad hörte, die den Titel trug „Das Maritime im Werk von Peter Paul Rubens“. Die ausgestellten Exponate wurden über und, was hier besonders wichtig ist zu erwähnen, auch unter Wasser präsentiert! Selbstverständlich waren die Werke deshalb hervorragende Kopien auf speziellem Hightech-Material. Die neugierigen Besucher der Ausstellung waren aufgefordert wurden in der Ausstellung nur Badeklamotten zu tragen… denn schwimmend, als auch tauchend, sollte, durfte bzw. konnte man so neue Aspekte im Werk des großen holländischen Malers entdecken. Die Frau des Federmachers war von dieser Idee mehr als begeistert! Dreimal besuchte sie diese zauberhafte Ausstellung, dessen Kurator, Dr. Jens-Peter Isenburg, einige Bilder von Rubens sogar an den Wänden der Duschen zeigte, sodass „das Zusammenspiel von Seife und Lichtführung“ (so Isenburg) eine ganz eigene Qualität erlangen konnte.

FrauFedermacher

Die Kunst des Alphonse Matisse

„Nicht der Tage erinnert man sich, man erinnert sich der Augenblicke.“ Schreibt Cesare Pavese. Sollte ich über die Frau des Federmachers erzählen, ich müsste unendlich viele Augenblicke aufschreiben, aufzeichnen bzw. aufsammeln. Und ich müsste von Matisse erzählen. Von Alphonse Matisse.

Alphonse Matisse war ein Freund der Frau des Federmachers. Sie hatten sich einst in Köln getroffen. An diesem Tag entstand auch obige Aufnahme, die Alphonse zeigt und die die Frau des Federmachers jahrelang auf ihrem Schreibtisch stehen hatte.

Alphonse Matisse soll auch eins der seltenen Fotos der Frau des Federmachers besäßen haben. Aber dieses Foto muss als verschollen gelten. Fakt ist aber, dass die Frau des Federmachers Alphonse unzählige Liebesbriefe geschrieben hat.

Fakt ist aber auch, dass sie diese nie abgeschickt wurden. („Sie waren mir einfach zu kostbar, als dass ich sie aufgeben wollte“, scherzte die Frau des Federmachers, auf diese ungeschickten Briefe angesprochen.)

Alphonse Matisse strebte seinerzeit eine Künstlerkarriere an („So etwas verleiht Flügel.“) Er zeigte großes Talent in farbigen Scherenschnitten, was ihm aber leider zum Nichterfolg verdammte, weil sein Namensvetter, Henri Matisse, ihm in dieser Tätigkeit die „Show“ stahl.

Alphonse wanderte nach Japan aus, dressierte Faltenhunde und hinterließ eine Tagebuchsammlung, die mehr als 10 000 Seiten umfasste („Mache Leute haben Durchfall. Ich schreib Tagebuch“, heißt es dort an einer Stelle). Der Name Henri Matisse tauchte in dem Mammutwerk nur einmal auf. In Zusammenhang mit einem Fischverkäufer namens LaChapelle.

Dieser LaChapelle wurde eines Tages tot am Ufer der Seine gefunden, unbekleidet, bis auf eine Mickey Mouse Maske, die sein Geschlecht bedeckte. Henri Matisse soll diesem LaChapelle angeblich einige Jazzscheiben erhalten haben. Ob gekauft oder geliehen konnte nie geklärt werden. Zumal diese Aussage kunstgeschichtlich auch immer noch als sehr zweifelhaft angesehen wird.

Alphonse Matisse starb völlig unbekannt, aber zufrieden. „Der Tod müsste nun wirklich nicht sein“, soll er noch kurz vor seinem Ableben gesagt haben. Seinen letzten Atemzug tat Alphonse Matisse am 3. November **** , exakt an dem Tag, an dem auch sein Namensvetter verstorben war.

Bist du der Neuling?

„Bist du der Neuling, den es zu mir zieht?“ So hatte die Frau des Federmachers gefragt. Ihr Gegenüber starrte sie mit großen Augen und offenen Munde an. Sie lächelte und fuhr fort: „Zuvor sei gewarnt, ich bin sicherlich ganz etwas anderes als du glaubst.“

„Glaubst du in mir dein Ideal zu finden? Denkst du, es sei so leicht, meine Liebe zu gewinnen? Denkst du, meine Freundschaft werde ungetrübte Befriedigung sein? Denkst du, ich sei verlässlich und treu?“

„Siehst du durch diese Fassade, diese milde, duldsame Art von mir nicht tiefer hindurch? Glaubst du, du nahtest auf wirklichem Grund einer WIRKLICH WIRKLICHEN FRAU?“

„Hast du, o Träumer, nicht bedacht, es sei vielleicht alles nur Maja, Schein?“ Die Frau des Federmachers erwartete auf all diese Fragen keine Antwort. Sie fasste den Neuling mit sanften Druck an den Schultern, so dass er vor ihr auf die Knie sank. Dann drückte sie seinen Kopf mit beiden Händen an ihren Schoß.

(Der Text, den die Frau des Federmachers hier spricht, basiert auf einem Gedicht von Walt Whitman)

The Rising Sun (Caput II)

„There is a house in New Orleans / They call the Rising Sun / And it’s been the ruin of many young poor boys / And thank God, I know I’m NOT NOT NOT one… of these little armen Würstchen“, trällerte die Frau des Federmachers vergnügt vor sich her. Sie war gerade von einem Besuch bei Freunden heimgekehrt. Und hatte die Tasche nun wieder gefüllt mit Geschichten.

Da wäre zum Beispiel ihr langjähriger Freund, der eine, na, sagen wir, recht eigenwillige Passion zu Walfischen entwickelt hatte. Nicht nur, dass er die Säuger ständig zeichnen, malen oder irgendwo hinkritzeln musste, nein, er träumte davon, sich einen Gartenteich anzulegen, in dem er Walfische halten könne. „Ich bin überzeugt davon, dass der Teich nur tief genug seien muss, damit sich meine Freunde wohl fühlen“, hatte er in einer hitzigen Diskussion, barfuß auf einem Tisch stehend, ausgerufen. Dann war er umständlich vom Tisch geklettert und flugs in seinen Garten geschritten, um dort fraglichen Teich weiter und tiefer auszuheben.

Jener Walfisch-liebende Freund lebte mit zwei Freundinnen zusammen. Zwei ehemalige Vermessungstechnikerinnen, die sich inzwischen aber lieber als Designerinnen für Motiv-Torten durchs Leben schlugen. Als sie vor etlichen Monaten einen Pottwal als Motiv wählten, hatte sich unser Freund SOFORT in die beiden Frauen verliebt. Und wenn er nicht gerade, tagein und tagaus, Walfische porträtierte, dann zeichnete er auch gerne die beiden Frauen… die ihm übrigens, soviel darf verraten werden, gerne Modell standen.

„Alles ist real. Nur die Welt ist es nicht“, resümierte die Frau des Federmachers. „Aber wer das Glück hat eines Freundes Freund zu sein, der stimme in den Jubel ein.“ Die Frau des Federmachers war in Jubelstimmung heimgekommen. Sie war sogar in Jubelstimmung von zu Hause fort gegangen. Und hatte ihre Stimmung unterwegs konservieren können.

Ihr Trick, wenn es denn einer war, bestand darin, falls ihre Jubelstimmung einmal drohte zu kippen, in Gefahr war von einem öden Gegenüber torpediert zu werden, dass sie sich ihr Gegenüber als Hasen oder Kaninchen vorstellte, dem sie genüsslich das Fell über die Ohren zog. Sofort kehrte dann ihre Jubelstimmung zurück. Und wenn ihr ödes Gegenüber besonders öde war, war ihre Stimmung sogar noch besser als zuvor.

Ja, die Frau des Federmachers… eine fürwahr ungewöhnliche Frau. Sie liebte das Leben… Und die Gelegenheiten, bei dem sie irgendwem, irgendwo, Heinrich Heine vorlesen konnte. Das war nun aber wieder eine ganz andere Geschichte (siehe dazu gestrigen Artikel).

 

 

Caput

Da stand er also. Und sie? Sie hatte sich hingekniet. Die Frau des Federmachers! Ihr Kopf war dicht am Schoß ihres Liebhabers…

Und was machte sie? Sie zitierte Heine. „Und viele Bücher trag ich im Kopf! Ich darf es euch versichern, mein Kopf ist ein zwitscherndes Vogelnest von konfiszierlichen Büchern.“

Die Frau des Federmachers, sie liebte Heinrich Heine. Viele seiner Gedichte kannte sie auswendig und rezitierte sie nach Lust und Laune. Oft und gerne, wenn sie sich bei einem Mann aufgehockt hatte. „Glaubt mir, in Satans Bibliothek kann es nicht schlimmere geben; sie sind gefährlicher noch als die von Hoffmann von Fallersleben!“ Ein, zwei kreisende Beckenbewegungen weiter, der Mann unter ihr verlor augenscheinlich seinen Verstand…

… denn er schleuderte nun seinen Kopf wie irrsinnig hin und her. Sie lächelte darüber zufrieden. Und hauchte ihm zu, indem sie sich nach vorne beugte:

„Die Göttin hat mir Tee gekocht und Rum hineingegossen; sie selber aber hat den Rum ganz ohne Tee genossen. An meine Schulter lehnte sie ihr Haupt (die Mauerkrone, die Mütze, ward etwas zerknittert davon), und sie sprach mit sanftem Tone: »Ich dachte manchmal mit Schrecken dran, dass du in dem sittenlosen Paris so ganz ohne Aufsicht lebst, bei jenen frivolen Franzosen. Du schlenderst dort herum und hast nicht mich an deiner Seite… (hier improvisierte die Frau des Fedemachers ein wenig)… Und die Verführung ist dort so groß. Nicht wahr?«

(NICHT WAHR? Kommt auch nicht im Text von Heine vor, aber diese kleine, niedliche Frage, sie passte der Frau des Federmachers jetzt gerade gut in den Kram. Oja, sie liebte die Obszönität des Fragens.) Der Mann unter ihr „explodierte“ förmlich…

Und sie? Sie lachte. „Wer hätte gedacht, dass Heinrich Heine so aufregend sein kann? So ein Dichter stellt doch seine geheimsten Gedanken als soziale Sprengsätze vor.“ Sprach es und erhob sich von ihrem ermatteten Liebhaber, um sich zu duschen.

„Was für eine Frau“, dachte er.