Zurück auf dem Grün

Was sehen Sie auf dem Bild? Eine verhängnisvolle Frage…

Ich könnte Ihnen antworten: Es heißt, wenn jemand auf dem Grün auf ein Tier tritt, so darf dieser Jemand seinen Schlag straflos wiederholen. Insekten und Würmer werden hier übrigens nicht zur Kategorie der Tiere gezählt. Dabei: es ist kein Tier so klein, das nicht von dir ein Bruder könnte sein. Ich weiß die Spur… Mich hat schon manche Frau zum Tier gemacht. So dichtete einst Francois Villon. Und das bedeutet doch wohl: Jeder von uns hat eine fühlende Seele. 

Wissen Sie, ein Bild ist ein Bild ist ein Bild. Aber – by the way – und weil man von einem Künstler immer verlangt, er müsse in seinen Bildern Bezug auf irgendwen oder irgendwas nehmen – niemand auf unserem schönen Grün sollte Schläge austeilen dürfen. Und straflos davon kommen.

Erste Aufzeichnungen

„Hörst du?“ „Für einen Moment glaubte er, so könnte das Sterben sein, alles passt sich dem Atem an, verliert langsam an Dichte, fängt an zu schweben und verschwindet.“ (Arno Geiger) Was für ein schönes Zitat. Ich musste es mir und Camass sofort aufschreiben. So wie ich ihr in letzter Zeit viel geschrieben hatte, u.a.: „Camass, wir sind Dizygote. Liebste Camass, das bedeutet, wir entstanden aus zwei verschiedenen Eizellen. Bei unserem Aussehen ist das nur allzu schnell verständlich. Du kamst als ein Schmetterling, ich dagegen wurde als Künstler geboren, als ein Frosch, also als jemand, den kein Mensch gerne küssen wollte. Jeder von uns Beiden hatte sein eigenes genetisches Material. Und war ein völlig individuelles Geschwisterkind. Aber nicht nur das. Du warst eben ein Schmetterlings und du flogst uns sofort davon. Du unterschiedst dich also in einem noch wesentlicheren Punkt von mir: du warst von Anfang an tot. Camass, wer hätte das verhindern können? Hatte denn niemand gehört, das unsere Herzen unter einer natürlichen Entbindung abfielen? Und aus diesem Grund ein Kaiserschnitt vonnöten gewesen wäre? O, du warst eine kleine Raupe, verpuppt in unserem gemeinsamen mütterlichen Kokon. Alles war bei uns Zweien so anders. Niemand war darauf vorbereitet. Nicht einmal wir selber. Ich weiß, ich weiß, Bedürfnisse von Zwillingen, wie wir sie nun einmal sind, gelten als individuell, d. h. sie können sehr unterschiedlich sein. Was für dich als Totgeburt von Bedeutung war und noch immer ist, muß für einen Lebenden wie mich nicht zwingend notwendig sein. Oberflächlich betrachtet. Denn ich wurde in meinem späteren Leben eines besseren belehrt… Für eine Existenz wie dich, liebste Schwester, haben unsere Sinneserfahrungen keine Antennen ausgebildet. Dein Tot-Sein vor einem Leben erscheint uns geradezu unlogisch. Wir haben uns als Lebende so sehr daran gewöhnt, dass der Tod erst das Ende unseres Lebens darstellt. Doch bei dir war und ist es gerade umgekehrt. Es war dein Anfang. Uns Lebenden erscheint es falsch zu behaupten, dass Tote für uns eine reale Rolle im Leben spielen sollen und können… Es ist aber so. Glaube mir bitte, ich bin offen für all deine Ratschläge, die du mir gerade durch deinen Tod geben kannst. Denn die Kunstwelt, die ich bewohne, ist eine offene Welt. Sie schließt die Lücken, sie füllt die Leere in meinem Leben aus, auch und gerade durch den zu frühen Tod einer Schwester. Damit will ich sagen: Dein Verstorbensein ergänzt mein Lebendigsein. Wir vervollständigen uns…“  Aus diesem Grund bittet Camass mich auch immer wieder: „Bruderherz, zeige mir, wie es ist als Mensch zu leben.“ Und ich versichere ihr: „Du und ich, Camass, wir brauchen einander.“ Davon bin ich mehr und mehr überzeugt, denn nur so finde ich, finden wir Freiheit. Würde ich alleine etwas erreichen, was hätte ich davon? Nur indem ich mich mit jemandem über das Erlebte austauschen kann, verspüre ich erst Freiheit. Die Freiheit ist es, die das Alleinsein negiert. Oder anderes formuliert: Unsere gemeinsame Freiheit negiert die Einsamkeit. Deshalb reift Camass in meinem Herzen heran, wie ein totgeborenes Kind was unter meinem Herzen verborgen war, wächst sie nun, wird lebendig, sie dreht sich meiner noch melancholischen Ferne entgegen, wissend, dass sie diese auflösen wird. Je näher ich dem Tod komme, umso lebendiger wird sie. Das ahne es intiutiv, die Bilder beweisen es längst…“ Und während ich das schreibe, höre ich von Ozzy Osbourne „Changes“: I feel so sad / I lost the best friend / That I ever had / She was my SISTER / I loved her so. Genau das ist es: Changes. Änderungen. Vieles verändert sich… in mir. Es fühlt sich gut an. Sehr gut. Frei. Das ist wohl das Sterben und das Leben in der Gegenwart… früher mal bekannt als KUNST. Eine offene Kunst, Abgesperrt vom Weltgewimmel / Nur mit einem Streiflein Himmel… in der Hand. In meinem Herzen

(Erste Aufzeichnungen aus meinem Buch, was es noch zu schreiben gilt.) 

Der Begriff Kultur steht für eine widerspenstige Zähmung

Glaub mir…

„Meine Leidenschaften bestimmen mein Leben.“ Das schrieb mir meine Freundin Elizabeth Taylor vor geraumer Zeit in einem längeren Brief an mich. Und Richard Burton, mit dem ich ebenfalls eine intensive Brieffreundschaft führe, hatte in seinem Schreiben unlängst geäußert, dass, wenn man liebt, die Schuld bei sich selber suchen solle, nicht bei einem anderen Menschen. Das beweist mir, dass beide Freunde verstanden haben, was mir die eigene Kunst bedeutet: Leidenschaft. Und Liebe.

… dich zu zähmen, Kultur. Einer Wildkatze die Hand reichen, zusammen Kultur machen.

Eine widerspenstige Zähmung bedeutet stets Zusammenkunst. Bedeutet Kultur. Bedeutet sich nicht an eine Zeitbestimmung zu binden. Ein Kampf mit dem Drachen, um der Menschen welkend Leben zu erfrischen.

Zum Verständnis der „schwierigen Bilder“

„Was wollen Sie uns damit sagen?“

Sagen? Mehr denn je frage ich mich, ob Kunst etwas zu sagen hat. Ob sie überhaupt in Übereinstimmung mit einer Ortsbeschreibung zu bringen ist. Sogenannte Experten suchen in der ominösen Kunst stets nach Überschneidungen zwischen meinen persönlichen Schilderungen und den gesellschaftlichen Gegebenheiten bzw. politischen Strömungen in der Zeit. Ist Kunst aber nicht in Wahrheit (& Lüge zugleich) eine seltsame Expedition, die sich mit Sorgfalt, Hoffnung und einer völlig leeren Meereskarte aufmacht, um etwas zu finden, was nicht zu finden ist? Der Chor der Ältesten befragt mich dazu, man will meinen Namen wissen. Das bedeutet, ich muß, wenn auch widerstrebend, von meinem früheren Leben berichten. Obwohl, ich gestehe, so freudlos gehe ich gar nicht an diese Lebensbeichte heran. Ich trage sehr gerne ein Gemisch aus Wasser und Honig auf sämtliche Malgründe auf; die Bilder, die dadurch entstehen, sie werden so zu meinen Zeugen. Sie sollen und dürfen mich zu der Stelle (ver)führen, woher ich kam. Der ich einst den Rücken kehrte. Denn nur durch diese innere Geisteshaltung vermag ich zu ihr zurückzufinden.

Die prächtigen Schweinebilder der Kunst

O wie freute sich unser Ritter, als er diese Rede getan! Und es verhielt sich dies so – wie man glaubt –, daß an einem Ort in seiner Nachbarschaft des seinigen ein Mensch lebte, der nannte sich Galerist. Dieser stellte das absolut Neuste vom Neusten aus. Ohne einmal richtig nachzudenken.

Unser Ritter nannte seine Bilder dagegen nur schlicht und einfach, zärtlich leise ausgesprochen, Kunst. Ein Name, der nach seiner Meinung wohlklingend, gleichwohl etwas sehr Besonderes war.

Die Paradoxie bei ausgestellter Kunst

Was soll das?

Nun, die Paradoxie der ausstellenden Kunst lautet / Nie darfst du einen Menschen / Der nicht zur Familie gehört / Merken lassen / Was du denkst / Glaub mir / Postkulturelle Pornografie / Braucht der Mensch wie einen Bissen Brot / Und wenn wir kein Brot haben / Sollen wir Kuchen nehmen / Nach ihm schnappen / Wie nach einer Hostie / Klar soweit / So lang ein Mensch noch träumen kann / Wird irgendwann ein Traum in Erfüllung gehn / Um sich seine Wege in die sträubenden Wolken zu lenken …

Immer schon habe ich aufgrund solcher Träumen mir meine Bilder geschenkt.

Maßlos günstig

Mit Zeitungen, meinte mein schnauzbärtiger Freund Friedrich Nietzsche einmal zu mir, sollte man sich nicht einlassen. Das sehe ich indes völlig anders. Ohne meine Lokalzeitung hätte ich eventuell niemals erfahren, dass mein Name Detlef Buch lautet und ich nach der Lektüre meines eigenes Buches vielleicht eine ungefähre (!) Ahnung davon hätte, wie ich als Detlef Bach ticke. Also: ich liebe Zeitungen! Zeitungen sind das Rückgrat unserer Gesellschaft. Und ein Café ohne ausreichend viele Zeitungen, dies wäre kein Café für mich… ohne Rückgrat und Rückzugsort möchte ich nicht leben wollen.

Der autonome Künstler

… seine Entzückungen einzig nur aus sich selber züchten und einzig für sich allein; … völlig gleichgültig und gewichtslos, wieviel ein Buch, ein Geschehnis allen anderen gilt … schön nennt er ausschließlich, was ihm gefällt, richtig, was er augenblicklich als zugemessen erachtet, verächtlich, was er verachtet … Und wer von jenen, die ihre Meinung über ein Buch, ein Bild, ein Ereignis aus scheinbar eigener Wertung formen, hat noch den Mut, sie konsequent zu wagen gegen eine ganze Zeit, gegen eine ganze Welt? … die Luft der Welt steckt in unseren Lungen, in der Herzkammer selbst, unsere Urteile und Ansichten reiben sich an unzählig viel gleichzeitigen und schleifen sich an ihnen unmerklich ihre Spitzen und Schärfen ab, durch die Atmosphäre schwingen unsichtbar wie Radiowellen die Suggestionen der Massenmeinung. (Stefan Zweig)

So sehe ich das.