Leben im Sternenhimmel

Bevor meine Geschichte hier so richtig losgeht, eine kurze Information und der sichtbare Beweis, wie sehr, selbst die bizarrsten Worte in mir Bilder zum Klingen bringen können…

Worte helfen zu sortieren. Vorallem bei meinen Bildern. Worte helfen mir die Bilder ins rechte Licht zu rücken, ihnen die richtige Konstellation zu schenken. Nur meine Worte (ver)führen mich zu einer visuellen Anordnung meiner Bilder. Vergleichbar der astronomischen Phänomenologie. Einer Philosophie, die sich der Deutung der Sterne verschrieben hat. Sowie der Beschreibung der jeweiligen Stellung der Sterne untereinander. Doch eine Sternenkonstellation, die wir in unseren Breitengraden z.B. „Großer Wagen“ nennen, erklärt der bekannte Autor und Dichter Raoul Schrott, war für die Maya ein göttlicher Papagei, für die Inka der einbeinige Gott des Gewitters. Für die Inuit sei sie ein Elch gewesen und für die Araber eine Totenbahre. „In einer Zeit vor der Schrift war unser Sternenhimmel ein Kino der Nacht“, schreibt der Schriftsteller kenntnisreich in seinem neuen Buch „Atlas der Sternenhimmel“. 

Bei mir kommen in letzter Zeit indes die Worte vor den Bildern. Die Worte schieben sich regelrecht ins Bild. 

Mit ihrer ungeheuren Einbildungskraft hätten die Menschen in den Sternen ihre ältesten Kunstwerke geschaffen, argumentiert Schrott. 

Durch die Gestaltungskraft der Worte, um exakt zu sein, versuche ich mit meinen Bildern ein Werk zu schaffen. Ein Werk, durchaus vergleichbar einer Sternenkonstellation. Wohlwissend, dass von jedem Standpunkt auf unserer Welt der Sternenhimmel, also der Anblick meiner Kunst, ein völlig anderer sein wird.

Unlängst steige ich wortreich in die vielen Archive meiner Erinnerungen hinab. Dorthin, wo ich längst unsichtbar geworden bin. Wo ich nur noch als eine fixe Idee von mir selber herumgeistere. In meinem großen Kunst-Seelenarchiv halte ich Ausschau nach jenen Konstellationen von denen ich eingangs schrieb. Ich suche nach all dem, was mich auszeichnet. Ein zauberhaftes Wort, erinnert es mich doch an „fertigbacken“. Ich suche demnach nach einer Konstellation, die von mir nur noch erhitzt werden muß. Um es dann, wenn das „jüngste Gericht“ fertig ist, sofort zu signieren, eine Tätigkeit, die für mich fast nach servieren klingt. By the way: Mein Leben ist dem Sternenbild des „Großen Wagen“ gar nicht so unähnlich, finde ich. Vielleicht nicht ganz so perfekt, nicht so glänzend. Fehlt mir bei meinem „Großen Wagen“ eventuell noch das Ersatzrad? Moment! Ich habe auch kein Warndreieck im Kofferraum, keinen Verbandkasten, keine gelbe Warnweste. Ich fahre Kunst mit vollem Risiko, bin nicht einmal angeschnallt… Aber fehlen tut mir eigentlich nichts. Ich hänge nicht an irgendwelchen Fäden. Ich fühle mich frei.

Anders als bei einer Kollektion, besitzt meine Kunst-Konstellation all ihre Einzelteile. Denn nichts darf wahnhaft fehlen. Mein Werk ist eben keine Sommer-Herbst-Winter-Frühlings-Kollektion, bei der einzelne Teile bei einer Schau auch schon einmal fortbleiben dürfen. Nein. Niemals. Kein Ich darf von mir in der Zeit zurückgelassen werden. „I’ve been living next door to Alice / Twenty-four years just waiting for a chance / To tell her how I feel / and maybe get a second glance…* “; ich lege zwei Sternenblätter von mir nebeneinander auf den Atelierboden und erkenne sofort die Konstellation mit Namen „Ein Spiegelbild zweier Clowns“ wieder.

„Augenblick, bitte!“ höre ich da plötzlich eine Stimme sich laut erheben. „Nachdem im Laufe der Zeit die Zahl der teilweise willkürlich und ohne System angelegten Sternbilder mehr als 100 erreicht hatte, legte die IAU (Internationale Astronomische Union) in ihrer ersten Sitzung 1922 eine Liste von 88 Sternbildern verbindlich fest“, doziert Prof. Dr. h.c. Wikipedia knochentrocken auf mich ein. Da muß ich schallend lachen. 100 Sternenbilder? Die schaffe ich doch in einer einzigen Nacht. Die bereite ich mir als ein Menü zu, dass ich mir tagsüber munden lasse, eine Kombination von Worten und Bildern, in mehreren Gängen durch „die Labyrinthe der Wirklichkeit“ und „auch in das bloß Mögliche, in die Vergangenheit wie die Zukunft“ (Christoph Ransmayr).

Eins noch, bevor ich zwischen meinen Sternenbildern gänzlich verschwinden werde. Der letzte Stern, der von unserem gesamten Universum übrigbleiben wird, sagen unsere Wissenschaftler, wird ein sogenannter roter Zwerg sein. Und die Zwerge mit ihrer (laut Überlieferung) meist roten Kopfbedeckung, wir erinnern uns, stehen im übertragenden Sinne, nicht nur im Märchen, für einen Künstler. Ich danke Ihnen.

 

* Die Liedzeile im obigen Text ist übrigens von Chris Norman.

Mein heiliges Verhängnis

Neben „Nur die Tatsache des eigenen Zweifels ist unbestreitbar“ von René Descartes hing ein ganz bestimmtes Epigramm von Heinrich von Kleist an einer Wand meines Jugendzimmers. „Was ich fühle, wie drücke ich es aus, der Mensch ist doch immer, selbst auch im Kreis liebster Freunde, allein.“ Jahrzehntelang habe ich versucht die Texte des Dichters zu lesen, zu entschlüsseln. Aber das Werk blieb mir unverständlich und verschlossen. Sein „Prinz von Homburg“ wurde bei mir eher in einen Prinz von Humbug verwandelt. Der Dichter möge es mir verzeihen. Später in meinem Leben stellte sich die Frage, ob es generell nicht sehr gesundheitsschädlich sein könnte, sich von Menschen, die zugleich auch noch Künstler sind oder waren, inspirieren zu lassen.

Ist es ratsam Künstlern Aufmerksamkeit zu schenken, die sich selbst das Leben nahmen? David Foster Wallace, Bernd Alois Zimmermann schrieben ihre fulminanten Schlüsselwerke („Unendlicher Spass“ und „Requiem für einen jungen Dichter“), um danach ihrem Leben ein Ende zu setzen. Heinrich von Kleist bettelte zeitlebens um einen Menschen, der mit ihm den Freitod buchstäblich zelebrieren sollte. Was kann ich von solchen Künstlern lernen? Der Schriftsteller Stefan Zweig wies mir den Weg. Er schrieb u.a.: „Jeder geistige, jeder schöpferische Mensch gerät unverweigerlich in den Kampf mit seinem Dämon, und immer ist es ein Heldenkampf, immer ein Liebeskampf.“ Ich lehne es ab zu behaupten, dass dergleichen so etwas wie mein Kampf sei. Einem Liebeskampf stelle ich mich dagegen nur allzu gern. Jederzeit. Mit allem was ich habe, mit meiner ganzen Kunst.

Ich fordere Heinrich von Kleist zum gemeinsamen Tanz auf; und fertige nebenbei analog-digitale Skizzen zu seinem Werk an. Mache mir auf diese Weise Gedanken zu meinem eigenen Schaffensprozess. Wollüstig jagen wir beide, wie in einem Traum, unsere innersten Gestalten „in die äußersten Möglichkeiten hinab, wohl wissend, dass (sie uns) mitreißen würden in das heilige Verhängnis.“ (Noch einmal Stefan Zweig. Der Schriftsteller verstarb am 23. Februar 1942. Todesursache: „Einnahme von Gift – Suizid“. Der Grund seines Selbstmordes: Die Zerstörung seiner „geistigen Heimat Europa“, wie er es in seinem Abschiedsbrief formulierte.)

Exaltierte Gefühlsformen

Wenn Freiheit bedeutet, dass wir etwas sagen können, dass andere nicht hören wollen, dann ermöglicht Bildende Kunst etwas zu kreieren, was andere nicht sehen möchten. Meine Autonomie als freier Künstler erlaubt es mir sogar Dinge zu malen, die ich selber nicht für möglich gehalten habe. Diese Freiheit nehme ich mir allzu gerne.

Ausgehend von einer wirklich alten Zeichnung meinerseits, die ich als Jugendlicher machte, fast noch ein Kind, und mit Hilfe von einem Freund, der meine (Kinder)Zeichnung in den letzten Wochen einer KI anvertraute, vertiefte ich mich in die Lektüre von Heinrich von Kleist. Seine Texte über das Marionettentheater ließen vor meinem inneren Auge verwirrendste Bilder entstehen.

„Übergänge und Verwandlungen…undurchdringliche Unklarheit des erotischen Verlangens.“ So Stefan Zweig über den Dichter Kleist und seine Kunst. Zweig könnte so auch gerne über mich urteilen.

Welche Folgerungen ich über meine kleinen, dramatischen Burlesken ziehen werde bleibt abzuwarten. Auch diese Freiheit nehm ich mir.

Ich singe in Bildern

Über was singen meine Bilder? Ich lausche und höre es genau: „Ich singe den Leib, den elektrischen, / Die Heerscharen derer, die ich liebe, umgürten mich, und ich umgürte sie /… / Die Liebe zum Leib eines Manns oder Weibes spottet jeglicher Rechenschaft / … / Der männliche ist vollkommen und der weibliche ist vollkommen. /…/ Hast du jemals eines Weibes Leib geliebt? / Hast du jemals eines Mannes Leib geliebt? /… / … dies sind nicht die Teile und Gedichte des Leibes allein, sondern der Seele, / O nun sage ich, sie sind die Seele!“ … WOW … (Walt Whitmann & ich)

Verknüpfte Episoden

„Ich bin wie ein läufiger Hund, der Autos nachjagt! Ich wüsste gar nicht, was ich tun würde, wenn ich mal eins erwische…“ So der JOKER im Film „The Dark Knight“. Ganz ähnlich verhält es sich bei mir als Künstler. Stets jage ich (halbherzig) dem einen wichtigen Bild hinterher. Denn ich wüßte auch nicht, was ich noch tun sollte und könnte, wenn es mir eines Tages gelänge, es tatsächlich zu malen. Stattdessen bringe ich lieber weiterhin die unterschiedlichsten Episoden meines Lebens zusammen, knüpfe Zeiten zusammen, die sich vordem gar nicht (er)kannten.

Art TV

so sind sie nun einmal –  oft in den Schlamm verirrt und beinahe verliebt, bis sie den Irrlichtern um die Sümpfe herum gleich werden und sich zu Sternen verstellen

Byron, Musset, Poe, Leopardi, Kleist, Gogol… (Friedrich Nietzsche)