Mein Platz ist zwischen den Stühlen

In der Zeitung DIE WELT lese ich anlässlich der Documenta in Kassel: “… auf Kunstfestivals wird nicht gelesen… Ein Buch fordert immer noch den Rückzug aus der äußeren in die innere Welt, deren Bilder der einsame Leser ganz allein sieht. Auf den großen Kunstfestivals hingegen… (ist) Der scannende Kunstblick – die Frage, ob etwas gefällt und das Verweilen lohnt – … zur Gewohnheit geworden.“ „Fragt man nach, was (Gegenwartskünstlern) Bücher bedeuten… antworten (viele) wie die … Künstlerin Nevin Aladag: Lesen brauche Zeit, und die habe sie nicht.“

Mein Platz ist zwischen den Stühlen (schrieb einst Heiner Müller)… Die Lügen der Dichter (und der bildenden Künstler heute?) sind aufgebraucht Vom Grauen des Jahrhunderts An den Schaltern der Weltbank Riecht das getrocknete Blut wie kalte Schminke (oder auch MASTERS  –  A collaboration (von LOUIS VUITTON) with Jeff Koons) „Ob eine… tiefe Kunst zukünftig noch Raum… erhält?“ (fragt Swantje Karich am Ende ihres Artikels in DIE WELT vom 27. Mai 2017)

Und? „Zeit hat nur, wer nicht am Zirkus teilnimmt.“

Wahnsinnige Paarungen

Spuren in der Iris eines Gärtners? & Das Konterfei eines Töpfers?

Das stumpfe Lavendelschwert eines Sterbenden? & Kritzeleien eines nervösen Jägers?

Die Zeichenkultur eines Leichenträgers ? & Eine brennende Absolution in rot?

All das: ein Selbststudium mit wilden Verheißungen; Bilder sind reichlich in meinem Kopf und warten auf meinen aufgeregten Flügelschlag. Der Gärtner // Fand // Die Leiche, üppig, treibend. Und ich? Ich hoffe, du gingst // Lächelnd // wie ein Kind // Ins kühle Überbleibsel // Eines Traums… Und ich, lieber Sebastian, ich male Deine verloren geglaubten Bilder.

(„Der heilige Sebastian“. Titel des Artikels und kursiver Text: Jim Morrison)

auf den Strich gehen

Zeichnend kann ich erst genesen, zeichnend werde ich erst gesund.

Selbst im Traum würde ich noch den Linien folgen wollen, die ich heute über den Ateliertisch gezogen bzw. dort verstreut habe. Überglücklich laufe ich an ihnen entlang, nehme jede Biegung, jede abrupte Wendung mit meinem ganzen Körper auf. Auf die farbige Tusche werfe ich mich, den Graphit liebkose ich und zugleich suhle mich in einem Gestrüpp farbiger Filzer. Rote Folien kleiden einen sündigen Himmel aus.

Eine zarte Lackspur tanzt an mir vorbei. Meine Finger liebkosen auch sie; sie gehen sozusagen auf den Strich der holden Denkungsart. Dieser Strich adelt meine Seele, er macht mich furchtlos, er pflanzt mir die tröstlichste aller Hoffnungen ins Herz!

Kein letzter Beweis

Selbst wenn der letzte Beweis noch nicht geführt wurden ist, so bin ich mir am Ende sicher, dass ich viele Geschlechter besitze. Und ebenso viele Gesichter, die mit ihren dazugehörigen Körpern oft zu mir herüber gleiten. Sie legen sich dann auf mich, einige Pulsschläge lang. Sie sagen ihre Gebete auf, an die ich leider nicht konsequent genug glauben mag und kann. Andere warten auf ihren kleinen Anteil von meiner Zwiesprache und lesen/besuchen die Messe in meinem Namen. Zynisch und gelangweilt sind diese von ihrem Leben, das nur von abgesägten Hoffnungen Bericht erstattet. Sie tun mir leid. Helfen kann ich ihnen nicht, denn meine Scham braucht mein Gesicht.

Verherrlichung eines Träumers

Mit einem geliehenen Wort bin ich gekommen und schuld an allem!

Lichter fern und flüchtige Bilder. Ach, was ist Menschengröße, Menschenruhm! Und welche Kluft herrscht zwischen dem Träumer und der Wirklichkeit?

Bedenke: Die innere (Traum-)Welt kann gar zu schnell zu einem Gefängnis werden.

Dichtern wird man in der Stille gerecht, denn wenn alle Deutungen veraltet und alle Erklärungen verbraucht sind, erklärt sich ihr Werk aus der unverbrauchbaren Wahrheit, der es sich verdankt.

Und Künstler? Künstler denken schon an Vergebung, ehe man sie ihnen gewährt.

(Alles aus Liebe für und nach Hans Werner Henze und Ingeborg Bachmann)

Meine Scham braucht mein Gesicht (Details)

Ich male… ich collagiere… ich zeichne… ich schreibe, also bin ich (wohl oder übel)… ständig am zweifeln. Das ist eine Tatsache. Ebenso wie die Kindheit längst ein Brunnenmärchen geworden ist. Mein inzwischen naturtrüber Körper spricht zudem immer häufiger neunmalklug daher: „Der Gedanke an die Vergänglichkeit aller irdischen Dinge ist ein Quell unendlichen Leids und ein Quell unendlichen Trostes“. Aber so etwas verwirrt mich eher, als dass es mich beschämt. Die Scham kommt später. Da bin ich mir absolut sicher. So wie Heiner Müller, als er schrieb: „…Ungereimt / Kommen die Texte die Sprache verweigert den Blankvers / Vor dem Spiegel zerbrechen die Masken…“ Bei mir zerbrechen ständig meine Konterfeis, wie wenn ich Seifenblasen sammeln wollte.

Eine Kinderfrage

„Durch so viel Form geschritten / durch Ich und Wir und Du / doch alles blieb erlitten / durch die ewige Frage: wozu? / Das ist eine Kinderfrage / Dir wurde erst spät bewusst / es gibt nur eines: ertrage / – ob Sinn, ob Sucht, ob Sage – / dein fernbestimmtes: Du musst / Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere / was alles erblühte, verblich / es gibt nur zwei Dinge: die Leere / und das gezeichnete Ich.“ (siehe Bild links) „Benn hat gut reden Er hat / Mit seinen Gedichten kein Geld verdient und wäre / Krepiert ohne Haut- und Geschlechtskrankheiten.“ Heiner Müller hat recht. Gottfried Benn hat recht. Ich habe recht. Wenn ich sage, ich bin keiner der 3 heiligen Könige. „Mein Platz (als Künstler) ist zwischen den Stühlen“ in der furchtbar-fruchtbaren Wüste der Phantasie.

Bachkoma

Definition. Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen hat 1994 diagnostische Kriterien für das Bachkoma wie folgt definiert: ein scheinbarer Verlust von Bewusstsein über sich selbst oder die Umwelt und die Fähigkeit in Bildern oder verständlicher Sprache zu kommunizieren. Die Fähigkeit zu willkürlichen oder sinnvollen Verhaltensänderungen infolge externer Stimulation wird nur durch Kunst aufrecht erhalten. Ein Patient kann funktionsspezifisch in einer Phase hängen bleiben und sich nicht weiter entwickeln, wobei andere Funktionen sich noch weiter erholen. Dies hängt ganz von der Art seiner Kunst ab.