Schwarzfilm (Repríse)

Eigentlich war ich ganz fest entschlossen, kein Bild mehr zur aktuellen Corona-Pandemie zu schaffen. Aber meine Beschäftigung mit Texten des Dramatikers Heiner Müller lässt mich heute (noch einmal) eine kleine Ausnahme machen. Aufmerksam und nachdenklich lese ich seine folgenden Zeilen, die fürchterlich aktuell klingen: „Andererseits ist durch nichts erwiesen, dass der Mensch auf der Erde das herrschende Lebewesen ist. Vielleicht sind es ja die Viren, und wir sind nur Material, eine Art Kneipe für die Viren. Der Mensch als Kneipe…

– auch das ist nur eine Frage der Optik.“

(Heiner Müller; aus: Da trinke ich lieber Benzin zum Frühstück (1989))

Schwarzfilm

Es gibt keine Pause im Bilderfluss.

Also wäre es gut, damit man die Bilder überhaupt wieder sieht, daß sie ab und zu durch Schwarzfilm unterbrochen werden, wo man also nichts sieht.

Und die Funktion von heutiger Kunst wäre die, diesen Bilderfluss – aber das sind ja inzwischen alles Klischees – mit einer Störung der Sehgewohnheit zu unterbrechen.

( Zitat: Heiner Müller; aus: Fünf Minuten Schwarzfilm (1988) )

Die Liebe zum autonomen Spiegelbild

Mein eigenes Spiegelbild ist längst so autonom geworden, wie ich es seit Jahren in meiner Kunst schon bin. Da verwundert es mich auch nicht, wenn es mir aus reiner Lust oder künstlerischer Überzeugung ab und an ein Bild präsentiert, dass mir nicht bis aufs Haar gleicht, aber zugleich meine Seele widerspiegelt. Das muss Liebe sein.

 

Stiller Reichtum…

„Unter andern öffentlichen Gebäuden in einer gewissen Stadt, die ich nicht nennen, der ich aber auch andrerseits keinen erdichteten Namen beilegen möchte, befand sich ein…, wie es wohl die meisten Städte, ob groß oder klein, besitzen, nämlich ein Wohnraum (von lieben Freunden); und in diesem wurde jüngst Kunst hineingeboren, der Name von diesem Bild lautet: Stiller Reichtum einer imaginären Landschaft.“

(…frei zitiert aus „Oliver Twist“. Von Charles Dickens)

Camass (als ein Barde)

Liebste, wenn Du wissen willst, warum ich Dir Tag für Tag meine Bilder zu Füßen lege, dann lass Dir sagen: Gen Himmel schauend greift, im Volksgedränge, der Barde (und das bin ich) fromm in seine Saiten ein. Jetzt trösten, jetzt verletzen seine Klänge (denk nur an die abenteuerlichen Galerieabende und seine Gespräche), und solcher Antwort kann er sich nicht freun.

Doch eine denkt er in dem Kreis der Menge, der die Gefühle seiner Brust sich weihn (und das bist Du): sie hält den Preis in den Händen, der ihm falle, und krönt ihn die, so krönen sie ihn alle. Du fragst Dich, ob das von mir ist. Aber natürlich. Nur kann es sein, dass Heinrich von Kleist das schon einmal vor mir gesagt hat.

Seelen tanzen entkleidet

Meine Bilder erscheinen mir freudenreich, lichtreich, schmerzhaft, manchmal auch geradezu obszön, aber immer unglaublich trostreich. Als wären sie Perlen an meinem ganz persönlichen Rosenkranz. Oft beginne ich meinen täglichen Rosenkranz (oder Rosentanz) in meinem Atelier mit Rezitationen von Texten der beiden grandiosen Heimatdichter Sodom und Gomorra. Beide, Eva-Maria Sodom und Lars-Friedrich Gomorra, sind in den Zeiten unseres bigotten Wertefundamentalismus leider und zu Unrecht in Vergessenheit geraden.

Die beiden Seelen tanzen entkleidet zusammen und wie Nichtstuer am Randgeschehen eines Rummels. So hätte Lawrence Ferlinghetti die beiden Dichter beschrieben. Weil Ferlinghetti gestern verstarb, er wurde sagenhafte 101 Jahre alt, übernehme ich die Lobhudelei für Sodom und Gomorra. Das alltägliches kleine Glück fanden die beiden beim Schwimmen in Flüssen und bei wilder Liebe. Wir sollten es ihnen gleichtun. Und tagtäglich ein neues Bild ins Poesiealbum des Lebens schreiben oder malen.

 

New Pics On The Blog

Es war einmal eine Boyband, die so bezaubernde Zeilen sang wie: Don’t worry ‚bout nothin‘ ‚cause it won’t take long ; übersetzt heißt das ungefähr soviel wie: Mach dir keine Sorgen um nichts, denn es wird nicht lange dauern. Und ich mach mir auch keine Sorgen, es wird nämlich nie lange dauern, dann poste ich weitere new pics on the blog.

Die vergessenen Ahnen

Der Dichter Heiner Müller schreitet im Atelier mit mir zusammen die Bilder ab, die ich in den letzten Wochen geschaffen habe. Er pafft dabei eine Zigarre, pustet ihren schamanenhaften Rauch ab und an in den Raum, wobei der Dichter seinen Kopf stets leicht nach oben reckt…

Plötzlich hält er im Gehen inne und flüstert, halb sich, halb mir zu: „Mein Weg nach oben ist ein Weg in die Vergangenheit, der Abgrund unter mir heißt Zukunft. Was ich suche, ist die Blutspur der VERGESSENEN AHNEN. Übrigens kann von oben oder unten, von Vergangenheit und/oder Zukunft keine Rede sein, der Raum hat keine Richtung in der Zeit.“ Wieder fällt mir auf, das eine dichterische Sprache am ehesten für eine sinnvolle Übersetzung von Bild in Text taugt. Wie oft habe ich das nicht schon gesagt und geschrieben. Gut tausend Artikel auf dem Blog geben Zeugnis davon. Heiner Müller lächelt und als würde er meine Gedanken lesen, sagt er: „Wenn man schreibt…“ -so viele Artikel- „…ist man ein Tausendfüßler.“