Die Selbstsucht verblutet an der Dornenhecke oder Nur meine Liebe führt zum Glück (Eine Collage)

Es ist wahrlich wie in einem Märchen:  Selbst der Himmel öffnet dem König in einem beeindruckenden Trompe-l’oil seine Pforten. Und die Yellow Press schreibt: Dornröschen muss gefeiert werden. „Party!“ ruft der König und Vater aus. „Schnell weg da, weg da, weg / Macht Platz, sonst gibt’s noch Streit / wir sind spät dran und haben keine Zeit / schnell weg da, weg da, weg / es tut uns furchtbar leid, / wir schaffen’s kaum, der Weg ist ja noch weit / wir müssen rennen, springen, fliegen, tauchen / hinfalln und gleich wieder aufstehn / wir dürfen keine Zeit verlieren / können hier nicht stehn, wir müssen… Party!!!“ Der König ist in seinem Schloss ganz allein unter lauter Frauen – es wimmelt nur so von Frauen. „Weißt du, ich stehe automatisch auf schöne Frauen…Wenn du ein Star bist, dann lassen sie dich. Du kannst alles machen…“ Überall Gold, natürlich in 24 Karat, so weit das Auge reicht, Prunk und Protz. Edler Marmor in Rose, mit Kristallen besetzte Türen, viele Spiegelflächen, Sonnenstaub in der Luft, antike Möbel und Kunst von Renoir. Und doch kommt der König ganz durcheinander, als er merkt, dass er nur zwölf goldene Teller hat. Also muss er die dreizehnte Frau ausladen, denn die Dreizehn ist bedrohlich und bewirkt Angst. Was aber ist das für ein König, der es nicht schafft, einen dreizehnten goldenen Teller zu beschaffen? Leidet er am Ende unter dem Zwang formaler Perfektion und Konvention? Auf jeden Fall wird ihm diese Ablehnung und Zurückweisung noch teuer zu stehen kommen… Die 13. Frau verflucht Dornröschen. „Sink nur in tiefen Schlummer, schwebe dahin im Traum, langsam umgibt dich Vergessen, doch das spürst du kaum!“ Und bald darauf geht durch das Land die Nachricht vom schlafenden Dornröschen. Königssöhne wollen mit aller Gewalt und Hektik durch die Hecke in das Schloss eindringen. Doch sie alle kommen zu früh, sie kommen nicht zum rechten Augenblick. Sie haben keine Sensibilität, mit der Dornenhecke entsprechend umzugehen und sterben eines jämmerlichen Todes.

Doch es gibt einen Künstler, der zwar Dornröschen noch nie gesehen hat, und dennoch ein Seelenbild von ihr in sich trägt, seine Anima, wie er sagt. „Niemand wird sich für einen anderen Menschen sich selbst ganz riskieren, wenn er diesen anderen nicht in gewisser Weise als einen Teil seiner selbst empfindet. Etwas im anderen muss etwas Eigenes zutiefst anrühren, doch ist dieses „Etwas“ gerade nichts, das man selber besäße, es ist ganz im Gegenteil das, was einem selber am meisten fehlt; und so muss man sich aufmachen, dieses fehlende Eigene im anderen zu suchen, um selber wieder ‚ganz’ zu werden“, sagt der Künstler wie in Trance ganz leise zu sich selbst.

„Mein Kuss ist ein Versprechen: Er erlöst Dornröschen aus ihrer Erstarrung. Und dies ist die frohe Botschaft vom Gelingen des Lebens. In meinem Atelier. In meiner Kunst. Abseits von cremefarbenem Plüsch und braun-schwarzem Leder. Weit, weit weg von Schränken, Anrichten und Kommoden aus Edelhölzern wie Teak, Mahagoni oder Ahorn. Und was der König so stolz seine Sonnenstäubchen nannte, das sind, meiner Meinung nach, nur Dreckstäubchen.“

Seneca und meine Venus

„Es geht in meiner Kunst um Sex, aber es geht nicht zur Sache. Es geht vielmehr um eine Sache, die ständig wiederkehrt. Der Auslöser dieser Wiederholungs-Phantasie ist oft ein Traum, in dem eine griechische Venus im christlichen Norden friert und sich in Pelze hüllen muss, oder ein Gemälde, das mich in jungen Jahren in demütiger Haltung zu Füßen einer anderen Venus im Pelz zeigt. Diese flüstert mir zu: „Du willst nur mein sein unter Bedingungen, während ich dir bedingungslos gehöre.“ Was wäre, wenn? Wenn der Mann die Frau dominiert? Oder die Frau den Mann? Oder der Mann die Frau, damit sie ihn dominiert? Oder die Frau den Künstler, damit er sich einbildet, er habe sie in die Rolle der Domina geschoben? Eine verschachtelte Angelegenheit. Ein vertracktes Verwechseln der Ebenen, von Realität und Fiktion: meine Kunst. Meine Phantasie.“

„Unstetes Hin- und Herflattern ist Anzeichen eines krankhaften Gemütszustandes. Erstes Anfordernis an eine Geistesverfassung, die als eine wohlgeordnete gelten soll, ist meines Erachtens die Fähigkeit, den Schritt zu hemmen und Einkehr in sich selbst zu halten.“

Lucius Annaeus Seneca (ca. 4 v. Chr. – 65 n. Chr.), genannt Seneca der Jüngere, war ein römischer Philosoph, Stoiker, Schriftsteller, Naturforscher und Politiker; Selbsttötung auf Geheiß seines ehem. Schülers Nero (Römischer Kaiser von 54 – 68) Quelle: Seneca, Briefe an Lucilius (Epistulae morales ad Lucilium), 62 n. Chr. 2. Brief. Übersetzt von Otto Apelt (1924)… Und ich? Ich flatter weiter. Immer weiter. Meinem Glück hinterher.

Zwei Menschen, Mann und Weib, ineinander aufgelöst zu einer Einheit

„Gnädigste, es erfüllt mich mit allergrößter Freude, dass Sie es mir erlauben in Ihnen ein Weib zu sehen. Sie haben recht, wenn Sie feststellen, das Wort WEIB, wenn es mit Feder oder Pinsel geschrieben oder gezeichnet wird, wahre Körperlichkeit beinhaltet. Allein der Buchstabe W hat geschrieben/gezeichnet etwas sinnlich Rauschhaftes, etwas Barockes an sich. Er hat etwas von „gefühlter Wahrheit“  an sich. Etwas, was dem skeletthaften F auf ewig verlustig gehen wird. In einem einzigen W, dies darf ich Ihnen gestehen, weil Sie es allzu gut verstehen und goutieren, ist für mich meine ganze Weiberliebhaberei schon skizziert. Liebreizende Brüste. Mächtige Hinterwangen. Ach, diese Weiberliebhaberei lässt mein Herz erglühen. Ein Glühen, das Sie, meine Gnädigste, auszulösen vermögen, mit jeder Ihrer kleinsten Gesten. Ich möchte es also unterstreichen: für mich ist die Weiberliebhaberei wirklich jeder Fraubasenbedenklichkeit vorzuziehen.“

Gibt es eigentlich noch irgendwo den Beruf des Schreibers? Einen Menschen, der unter anderem und im Besonderem Liebesbriefe für die verfasst, die so etwas nicht können. Aus Schüchternheit. Aus Wortmangel. Weil sie keinen wirklich Grund dafür in ihrem Leben sehen oder haben. Ich will mein Licht hier nicht unter den Scheffel stellen, ich male Bilder auch manchmal nur für mich selbst. Gleichzeitig fertige ich aber Bilder an für jene, die meine Gabe in Anspruch nehmen wollen und meine Bilder betrachten, als wären es die ihren. Als wären es Liebesbriefe, die ein Herz zum Entflammen bringen können. Ein schöner Gedanke.

„Sehen Sie zu, dass Sie etwas in der Art finden, wie Menschen kopieren.“  – „Ja.“  – „Das wird Ihnen gut gelingen.“  – „Ja“ (antwortet Mr. Gwyn in Allessandro Bariccos gleichnamigen Roman) Ein ebenso schöner Gedanke. Und in der Tat, ich habe tatsächlich schon oft Menschen kopiert. Habe ihre Existenz verdoppelt, verdreifacht, vervielfacht. Dabei ist eine Kopie bei mir keine Kopie von einer Kopie. Dies wäre keine passende Umschreibung für meine Tätigkeit. Vielmehr mache ich eine Variation, eine Improvisation von der Kopie einer Kopie. Solange, bis mir eine bessere Beschreibung in den Sinn kommt. Oder ein Bild, das es zu kopieren gilt, ohne das es dem Vorher nachher gleicht. Nein, kein Bild ist endgültig. Weil es stets in einem bestimmten Gemütszustand angefertigt wird, der sich von Minute zu Minute verändert. Und das Bild sogleich mit ihm. Und immer so fort. Oft denke ich, mein Schreiben und meine Malerei gleichen einem Mann und einem Weib, ineinander aufgelöst zu einer Einheit.

Mein Ich im Du

Ich schlafe

Ich schlafe: aber meine Ängste wachen; / in meine Träume beißen sie sich fest / wie Hunde. Rot grell ihr Lachen / gleich dem von einer Dirne, die sich kitzeln läßt.

Die Augen schmerzen. Und die Arme zittern; / das Mädchen neben mir ist kühl wie Schnee. / Ich reiße an den Pforten wie an Eisengittern… / – Gib mir die Hand: mir tut die Stirn so weh.-

(Hans Leybold)

Banale Wirklichkeit

Deine Hände

Jetzt bin ich lüstern nach deinen Händen / Wenn sie die meinen begrüßend drücken, / Können sie die meinen weltraum-staunend beglücken. / Deine Hände führen ein selbstgewolltes, stilles Leben. / Ich habe mich deinen Händen ergeben. / Nun dürfen sie mich begreifen und fassen, / Zu deinen Höhen, mit Blicken nach Weiten, / Mich geschenk-gütig heben. – / Spielerisch aber werden sie mich übergleiten / Und am Wege liegen lassen.

(Ernst Wilhelm Lotz)

Les Demoiselles d’Anima

Ist das nun der Wendepunkt in der Entwicklung meines ganz eigenen Primitivismus? Wer mag diese Frage beantworten?  Ein lieber Freund meinte vor gar nicht langer Zeit zu mir, dass ich mit meiner Anima niemals fertig werden könne. Und er hat recht.

Selbst wenn das Thema in dem Magazin „Die Stellvertreterin“ inzwischen scheinbar zu einem vorzeitigen Abschluss gekommen ist, so drängen sich doch tatsächlich immer noch weitere Wahnbilder auf. Ich hole mir diese Bilder aus den Vitrinen meiner Phantasie, meiner Obsessionen, meiner Träume und den dazugehörigen Abgründen.

Ich schlürfe sie aus einer Wiener Auster. Ich dringe mit meinen wüstesten Vorstellungen tief in sie ein und lege mich quasi mit meinem ganzen Gewicht auf die Muschel. Somit habe ich ein vermeintliches größeres Maß an Kontrolle über all meine absurdesten Träume…

Garteneinsamkeit

„In meiner Garteneinsamkeit fahre ich an meiner Arbeit recht eifrig fort“ (schrieb einst Goethe an Schiller)

In einer anderen Zeit war der Himmel der Erde noch ganz nah. Oder er war, so überlieferten es uns die Mythen, durch Leitern, Berge oder Bäume leicht zu erreichen. Der gefallene Mensch in unserer Zeit hat diese Einheit von Erde und Himmel inzwischen verloren. Nur durch Ekstase kann er (vielleicht) die Grenzen der vordergründigen Welt verlassen, kann seine Seele zum Himmel und zugleich zur Unterwelt fliegen lassen. Solch ein Heimweh nach dem Paradies wohnt jeder Kunst inne, denke ich. In einer symbolischen Rückkehr zum uranfänglichen Chaos versucht der Künstler eine neue Persönlichkeit hervorzubringen, das verlorene Paradies wiederherzustellen. „Heraustreten aus der Zeit“ nannten Schamanen diese Übung einst. „Die Seele verlässt den Körper und entfliegt in die Lebenden unzugänglichen Sphären.“ (M. Eliade) Von solchen Zuständen und Dingen vermag ich heute nur zur träumen… in meiner Garteneinsamkeit. Und fahre dann mit meiner künstlerischen Arbeit in aller Stille fort.

Marx & Co.

Wenn sich Jesus Christus und Karl Marx getroffen hätten, zum Beispiel in einer schummrig-gemütlichen Eckkneipe auf ein Bierchen, einen Schnaps, Frikadelle mit Senf oder so, was hätten sie sich erzählt? Hätten sie sich verstanden, weil beide eine Lehre und kapitale Bücher rausbrachten, die millionenfach falsch interpretiert wurden? Der eine wurde bekanntlich früher, der andere dann später deswegen gekreuzigt.

Wie dem auch sei, am 5. Mai 2018 jährt sich der Geburtstag des berühmt-berüchtigten Denkers Karl Marx zum 200. Mal. Im Mittelpunkt des Jubiläumsprogramms vom 5. Mai bis 21. Oktober 2018 steht dann u.a. die große Landesausstellung des Landes Rheinland-Pfalz und der Stadt Trier. Nun, ich kann mich dem Zeitgeist nicht entziehen und will gerne hier schon einmal ein, zwei Arbeiten zum Thema „Karl Marx“ beisteuern. Und ich meine es sogar ernst damit. Nicht wie die Deutsche Bahn, die einen neuen ICE auf „Karl Marx“ taufte. Die Zeitung DIE WELT meinte unlängst dazu: „Wenn der Begriff Ironie der Geschichte mal angebracht war, dann hier.“ Die Sparkasse Chemnitz (früher noch Karl-Marx-Stadt) hatte übrigens schon 2012 den Kopf von Marx auf eine Mastercard gedruckt. Tja, der Kapitalismus verleibt sich eben wirklich alles ein. Auch und gerade seine Kritiker. Dabei „äußert sich wahre Liebe in Zurückhaltung, Bescheidenheit und sogar Schüchternheit des Verliebten gegenüber seinem Idol und ganz und gar nicht in Gemütsexzessen und in einer zu frühen Vertraulichkeit.“ (Karl Marx) Meine Vertraulichkeit mit Karl Marx kam spät. Aber sie kam dann doch.