In einem Werk muss man vernichten können. In einem Leben muss man vergessen. Tagebuch schreiben heißt: Vater sein der Realität und Stiefmutter der Träumerei. Tagebuch = jeden Tag an den Tod denken… und ihn als Leben darstellen. D.h.: wer durch einen schlimmen Schicksalsschlag (wie z.B. seine eigene Geburt) erschüttert wird, dem hilft es oft darüber zu schreiben. So ist das jedenfalls bei mir. Im Schreiben (ver)banne ich den Schrecken des Lebens! Jeder von uns muss für/um seine schönen Tage kämpfen… oder sie erfinden. Zuviel wahres Leben ist einfach auch ungesund. Wegen der unzähligen Kalorien. Die gehen nach neuesten Untersuchungen nie richtig weg. Auch nicht durch eine Wiedergeburt-Diät. Wie sich also dem Leben als Schicksalsschlag stellen? Mein Tipp: Dabei hilft die Routine! Denn alles was man 27mal hintereinander macht, das wird zur Routine. Ja, so ist das halt im Leben… nach meinen ersten 27 Atemzügen hier auf Erden konnte ich – verdammtnochmal – nicht mehr davon lassen. Ich wurde ein regelrechter Atemzugjunkie. Ich habe versucht damit aufzuhören. O, Gott… es ging nicht… ich kam immer wieder zum Atemholen zurück, schnappte nach Luft, wie andere nach Kuchen… „Wie viel Getanes splittert deine Schulter? Wie viel Versäumtes bricht dir das Genick?“ (Heiner Müller) … wenn ich solche Fragen höre, ich muss dann noch tiefer einatmen als sonst. Mir scheint, ich sauge mir diese Fragen bis auf den Grund meiner Lungen und lasse sie niemals mehr frei. Will sie auf ewig bei mir führen. So wie die liebevollsten Küsse, die man doch auch niemals weiterverschenkt. Aber was verstehe ich schon vom Leben? Wahrscheinlich soviel wie Fliegen von Fensterscheiben.
(Porträtfoto: Claudia Brüggenkamp / Claudia.brueggenkamp@web.de)