„O, mein Gott! Was soll das denn sein?“ (siehe unten)
Eine Frage, so vorschnell gestellt und auf mich niedergesaust wie ein Richtschwert. Seine Schärfe verfehlt mich nur knapp. Ich atme erleichtert auf. Meine Antwort, denke ich, darf nach diesem Schock jetzt aber ruhig etwas langmutiger ausfallen. Milder. Nachsichtiger. Bunter. (siehe unten; rechts) Lebendiger.
Die Gesellschaft braucht moderne Kunst aus demselben Grund, aus dem es in den meisten Zoos dieser Welt Pinguine zu sehen gibt!
Der Mensch findet nun einmal Gefallen an Dingen, die auf ihn, auf unerklärliche Weise, gleichzeitig anziehend, als auch absolut widersinnig wirken! Würde man Pinguine nicht mit eigenen Augen sehen, im Zoo zum Beispiel, man würde ihre Existenz nicht für möglich halten. Denn ein völlig aberwitziges Design zeichnet diese Winterkreaturen aus. Fast möchte man geneigt sein zu glauben, Philippe Stark hätte hier seine Hand angelegt. Und so ähnlich ergeht es uns mit und oder bei moderner Kunst.
Ich meine hier unser heftiges Kopfschütteln, unseren nervösen Unglauben, angesichts der möglichen und unmöglichen Formen, die Kunst uns darbietet. Pinguine und moderne Kunst schenken unseren Augen, dies darf hier vorweg genommen werden, auf alle Fälle eine Menge Freude. Darin besteht kein Zweifel. Aber das Wichtigste ist: Ein Kunstwerk, wie auch einen Pinguin, betrachtet man immer um der Erfahrung selbst willen.
Aber beides, Tierart und eigentümliches Kulturgut – unterschiedlicher könnten die Bereiche nicht sein – bedürfen, damit wir Gefallen an ihnen finden können, richtiger Augen oder Ohren. Kunstaffin müssen unsere Sinnesorgane schon sein. Böse Lästerzungen ergänzen an dieser Stelle voreilig und gerne, man müsse die Augen dann aber recht eng beieinander stehen haben. Nur so könne man moderne Kunst ernsthaft begutachten: Augen dicht beieinander und die Ohren am besten weit am Hinterkopf!
Eine böse Verleumdung! Ich behaupte nämlich kühn, dass es schon ausreicht, wenn man sich einfach mal umgekehrt auf einen Stuhl setzt, um moderne Kunst genießen zu können. Das geht dann eventuell aufs Kreuz, öffnet aber den Geist! Und zwar recht weit. Je nachdem welche kamasutra-artige Position man auf dem Stuhl eingenommen hat. Und um welches Objekt es sich handelt, das man betrachten möchte.
Und weil es bloß um das Betrachten geht, kein anderes höhere Ziel wird anvisiert, deshalb ist solch eine ästhetische Erfahrung schlicht einzigartig. (Bei Pinguinen bin ich mir – ich gestehe das bekennend kleinlaut – nicht so sicher, ob solch eine gymnastische Übung ausreicht, um ein neues, ästhetisches Schönheitsideal zu entwickeln. Selbst wenn man diese Viecher über eine längere Zeit studiert. Ich denke, die bleiben für uns Menschen immer nur eigentümlich komisch.) Nun gut… Sitzposition und Objekt müssen stimmen, damit es zu einer Erkenntnis kommt.
Schon hier wird man an die Struktur der Heiligen Messe erinnert und das Problem des Glaubens. Das Objekt, um das es meist in der Religion geht, es ist, wie auch in der Kunst, einfach unbeschreiblich. Auf eine ganz bestimmte Weise nicht begreifbar. Wie ein Pinguin! Aber zwischen mir und diesem Objekt kann etwas entstehen. Und dieses geheimnisvolle Dritte, das ist die eigentliche Kunst.
Man fühlt sich von dem Kunst-Gegenstand stets auf eine ganz bestimmte Weise angesprochen. Und wenn man seine Sprache versteht, darf man sich gerne für einen Dr. Doolittle der Modernen Kunst halten. Ein Kunstflüsterer. (Wenn man die Sprache von Pinguinen versteht, empfehle ich, sich anderswo Rat und Hilfe zu holen.)
Um Kunst mit seinem inneren Ohr lauschen zu können, kann man zum Beispiel zu einer Kunst-Messe fahren. Und sich dort an allen möglichem Krempel erfreuen. Wenn Kunst draußen dran steht, dann wird wohl auch Kunst drin sein. Aber das ist eigentlich zu einfach gedacht, finde ich. Diese Herangehensweise stellt keine richtige Herausforderung dar. Bei einem Juwelier anklopfen und schauen, ob dieser auch Ringe anbietet, wo sollte da die Abenteuerlust sein?
Schlendert man auf einer Kunst-Messe nicht in Wahrheit wie bei einem Marken-Discounter umher? Und studiert Preise und Schnäppchen und die Kunst-Artikel der Saison, wie andernorts Angebote von Hühnersuppe und Bratlingen? Nein, nein, das ist für mich Pauschal-Kultur. All inclusive. Bespaßung in jeder Koje, all you can eat… or see. Ehrlich, manchmal möchte man das ganze Elend gar nicht wirklich betrachten müssen. Das heißt: der Besuch einer Kunstmesse kann, wenn man vegetativ übersensibel ist, wie ein Besuch am Nacktbadestrand wirken. Dort sieht man bekanntlich auch nicht immer nur Schönes.
Ich will jetzt aber nicht als ein mieser Kulturpessimist verstanden werden. O, nein! Aber, wissen Sie was: für jemanden wie mich, den die Kunstszene bis dato noch nicht einmal wie ein lästiges Kaugummi unter ihren Pradastiefelchen angesehen hat, für mich war es bis dato immer wichtiger zu glauben und/oder einfach davon zu träumen, dass die bloße Anwesenheit von Objekten jeglicher Couleur auf einer Kunstmesse nichts, aber auch gar nichts mit dem Feuer zu tun hat, das mich bei moderner Kunst stets wärmte.
Denn dieses Feuer, lodert an den unterschiedlichsten Orten und in den unglaublichsten Augenblicken auf. Was ich damit sagen will: ich finde beim Discounter mit Sicherheit etwas zu essen. Aber wahnsinnig glücklich werde ich, wenn ich während einem Spaziergang plötzlich und unerwartet Himbeeren an einen Strauch entdecke. Vielleicht ist es aber auch nur eine kleine Blume, die mich plötzlich erfreut. Ein Stein. Ein Zweig.
Vielleicht