Eine Frage ist eine Frage ist eine Frage

Dieses „Kennen wir uns nicht?“ war nicht unbedingt die Frage, die ich von einem Bild erwartete, aber sie brachte alles ins Rollen. „Lassen Sie uns über den Tod reden“, forderte das Bild mich auf. Oder richtete sich die Frage gar nicht so sehr an mich, sondern an jemand anderen? Wen stellte das Bild denn überhaupt dar? Was war darauf zu sehen, zu erkennen, zu deuten? Alles bloß Hindernisse, die uns auf dem Weg zum Glück seit Ewigkeiten enorme Schwierigkeiten bereiteten?

„Lassen Sie mich auch eine Frage stellen. Was geschieht, wenn all diese Hindernisse beseitigt wurden? Was erblicken wir dann?“

„Chaos. Lautes, brutales Chaos.“ Wer diese Antwort gab, blieb offen.

Nachtfeuer im Therapieraum

Kein Ort bietet so viel Raum wie ein Museum. Deshalb wollen viele Menschen dort auch übernachten. Um des Nachts, in aller Stille, die Aura uralter Dinge zu erspüren. Ähnlich verhält es sich bei mir in meinem Atelier, meinen sogenannten Therapieraum.

Die uralten Dinge, die ich in meinem eigenen Therapieraum studieren kann, liegen am Grund meiner Seele verborgen. Und / Oder wollen wachgeküsst werden… wie letzte Nacht. An der Decke meines Schlafzimmer breitete sich ein Nachtfeuer aus. Alle Atome, die ich dort erblickte, hatten das unstillbare Verlangen, die sogenannte Oktettregel einzuhalten, will sagen, acht Elektronen strebten die Außenschale ihres geliebten Atoms an. In der vergangenen Nacht sah ich ganz deutlich, wie sich immer mehr und mehr Elektronen auf einer immer größer werdenden Außenschale plazierten, um dadurch ein Bild von mir zu erschaffen…

All diese farbigen Elektronen, das belustigte mich, befanden sich ganz offensichtlich in einem sehr speziellen Zustand. Einem Zustand, der nicht an meinem kleinen Ich lag. Deshalb war ich auch überzeugt davon, dass die Elektronen einen hohen Energie-, wie auch Unterhaltungswert besaßen, und mit Sicherheit nicht in mein träumendes Ich stürzen würden… Es gab also etwas, an dass ich glauben konnte. An komplizierte Fragen. Oder an Erinnerungen, die weder eine Sprache hatten, noch einen Namen. Bilder wie Schlagzeilen. An ein Pendel, dass seelenruhig in Richtung Vergangenheit und Zukunft ausschlug…

An meine Eltern. Ich sah einen Schleier, der sich hob, um zu (ge)fallen…

Änderungen

Änderungen. Vieles verändert sich… in mir. Etwas aus längst vergangenen Zeiten berührt mich, kein Frösteln, kein schamhaftes Wegschauen, ich fühle mich gut dabei. Frei. Das ist wohl das Sterben und das Leben in der Gegenwart… früher mal bekannt als KUNST. Bilder, Texte, Zitate, Linien, Worte, Traumfetzen, sie umwehen mich: Eine offene Kunst, Abgesperrt vom Weltgewimmel / Nur mit einem Streiflein Himmel… in der Hand. In meinem Herzen.

Befreit…

„Mein Tod ist ein Fetisch“, erklärte mir meine Schwester und fügte hinzu: „Es stimmt, es ist paradox, es gibt kein (un)glücklicheres Wesen unter der Sonne als einen Fetischisten=Künstler wie dich, der sich nach dem einem Bild sehnt und deshalb mit seinem ganzen Leben vorlieb nehmen muß.“ Das wird auch so weitergehen. „Immer wieder,“ so erwidere ich, „höre ich die Anderen über unsere Kunst reden, ich höre sie tuscheln. Sie glauben, alles wäre bloß ein Spiel. Aber es ist realer, als es ihnen scheint.“

Fragen abgetrennt von der Welt

Meine Lust nach unerforschten Ländern oder Gebieten war nie sonderlich groß. Reisevorbereitungen zur Quelle des eigenen Herzschlages dagegen, auf der Kante einer Landwand balancieren oder wirre Linien gerade kämmen, da war ich dabei. Im Gepäck stets genug Fragen, um traumatischen Antworten zuvorzukommen, um real existierende Ereignisse zu verdrängen und meiner Kunst dadurch kostbaren Raum zu schenken.

Feiner Rausch im „Café Altenberg“

Cafés und Ateliers sind Zauberorte, die mich zum Träumen animieren. Die Eingangstüren dienen an beiden Quellen als Fluchttüren. Hinter der verschlossenen Tür kann ich mich vor der Welt da draußen in Sicherheit bringen. Nur hier kann ich, vor der lauten Hektik der Außenwelt, zu Atem kommen. Hier finde ich zu mir. Nur hier sehe ich die vielen Bilder in mir aufblühen. Nur hier treffe ich auf längst verstorbene Freunde. Wie zum Beispiel den Schriftsteller Peter Altenberg.

Unter einem riesigen Mond aus Milchschaum sitzend, starr träumend, wird er durch meinen inneren Blick wieder lebendig werden…Teller aus Porzellan fallen urplötzlich auf den Boden einer Ausstellung und zerspringen. Die verschieden großen Teile schlingern in unterschiedlichen Tonhöhen klingend auseinander.

Fiebertraum

Meine Kunstgeschichte mag schrecklich erscheinen. Aber es ist meine Kunstgeschichte. Sie wiegt mich sanft zwischen den Zeiten hin und her. Ein Ich von mir liegt dabei im Sterben, ein anderes im Werden. Beide in einem geschlossenen String, der Endpunkte besitzt, die an zweidimensionale Flächen anknüpfen können. So orakelt es mir jedenfalls die Quantentheorie. Mag alles möglich sein. Meine Zeit betrachte ich deshalb wie vibrierende, farbige Fäden, an deren unterschiedlichen Schwingungszuständen sich verschiedene Elementarteilchen eines meiner vielen Ichs zu manifestieren verstehen. Das alles ist einem Fiebertraum absolut nicht unähnlich, das weiß ich. Ein Ich sitzt einfach nur da und wird zu einer Mannigfaltigkeit, zu einem aufgerollt komplexen, vieldimensionalen Raum. Wenn das mal nicht wie Poesie in meinen Ohren klingt: Das eigene Ich, eine Faltung der Materie; ein Labyrinth, vielfältig, weil es so viele Falten besitzt. Falten, die zu feinen Linien auf einem Spiegel aus Papier werden, einer Unendlichkeit meiner Fantasie, zu einer ›zwei- bis vielbrüstigen‹ Diana, die vielleicht für Gott, für die Natur, für das Laster, die bestimmt aber für meine Kunst steht, die für meine Revolution in Anspruch genommen wird. Sie nährt mich wohl, diese Fantasie. An ihrem Busen let me rest. In meinem Fieber(t)raum.

 

Das Leben als der kleine Vorraum für meine Retrospektive

Was wäre ich doch für ein Fest für die Geier. Doch noch zucke ich, lege mir meine alten Knochen lieber selber aus, um daraus meine Zukunft zu deuten.

Natürlich komme ich zu keinem endgültigen Schluss. Denn ich fühle mich noch zu lebendig. Gleichwohl sortiere ich gerne schon einmal die Dinge, stelle sie zusammen, rücke sie in ein neues Licht. Erinnerungen sind immer nur Nacherzählungen. Wie meine Kunst bekanntlich auch. Ich baue mir schon seit Jahrzehnten mein eigenes Labyrinth.

Einen Ort, an dem ich des Öfteren auf unbekannte Vögel stoße. Laut Ibn Sirin, einem Freund und Traumdeuter, seien solche Vögel als Engel anzusehen. Aber nur dann, wenn ich für solche Vögel keine anderen Namen besäße. Wären es hingegen Geier, mit den ich zufällig einen Flug unternähme, dann, so Ibn Sirin leise zu mir, würde ich zu Rang und Würden aufsteigen. Oder eine Retrospektive erhalten.

In der bildenden Kunst ist die Retrospektive, wie wir wissen, eine Kunstausstellung, die einen Überblick über eine oder mehrere Schaffensphasen, einen spezifischen Aspekt oder das Gesamtwerk eines Künstlers vermittelt. Anstatt nur die jüngsten Arbeiten zu zeigen, stellt die Retrospektive einen Kontext zu weiter zurückliegenden Werken her.

Erkennt man darauf eventeuell unbekannte Eier, Eier, die man bei sich sieht, aber nicht verzerrt, dann sind damit wohlgeformte Frauen gemeint. Soll sein. Nie habe ich aber, ich schwöre, mich auf einem Bild ein Ei essen sehen, egal ob es gekocht, gebacken oder gebraten war. Tja, und deshalb, hier schmunzelt mein Freund, besäße ich auch kein Vermögen oder hätte auch keine rechtschaffene Versorgung (Rente). Das ist wohl wahr.

Wegen und dank meiner Kunst habe ich stets aus einem klaren Fluß trinken können. Und das bedeutet, dass mir Gutes und Wohlleben widerfahren ist. Und zwar soviel, wie ich halt trinken konnte.

Und? Was soll ich sagen, meine besten Freunde wissen, ich trinke gerne…