Fragen abgetrennt von der Welt

Meine Lust nach unerforschten Ländern oder Gebieten war nie sonderlich groß. Reisevorbereitungen zur Quelle des eigenen Herzschlages dagegen, auf der Kante einer Landwand balancieren oder wirre Linien gerade kämmen, da war ich dabei. Im Gepäck stets genug Fragen, um traumatischen Antworten zuvorzukommen, um real existierende Ereignisse zu verdrängen und meiner Kunst dadurch kostbaren Raum zu schenken.

Feiner Rausch im „Café Altenberg“

Cafés und Ateliers sind Zauberorte, die mich zum Träumen animieren. Die Eingangstüren dienen an beiden Quellen als Fluchttüren. Hinter der verschlossenen Tür kann ich mich vor der Welt da draußen in Sicherheit bringen. Nur hier kann ich, vor der lauten Hektik der Außenwelt, zu Atem kommen. Hier finde ich zu mir. Nur hier sehe ich die vielen Bilder in mir aufblühen. Nur hier treffe ich auf längst verstorbene Freunde. Wie zum Beispiel den Schriftsteller Peter Altenberg.

Unter einem riesigen Mond aus Milchschaum sitzend, starr träumend, wird er durch meinen inneren Blick wieder lebendig werden…Teller aus Porzellan fallen urplötzlich auf den Boden einer Ausstellung und zerspringen. Die verschieden großen Teile schlingern in unterschiedlichen Tonhöhen klingend auseinander.

Fiebertraum

Meine Kunstgeschichte mag schrecklich erscheinen. Aber es ist meine Kunstgeschichte. Sie wiegt mich sanft zwischen den Zeiten hin und her. Ein Ich von mir liegt dabei im Sterben, ein anderes im Werden. Beide in einem geschlossenen String, der Endpunkte besitzt, die an zweidimensionale Flächen anknüpfen können. So orakelt es mir jedenfalls die Quantentheorie. Mag alles möglich sein. Meine Zeit betrachte ich deshalb wie vibrierende, farbige Fäden, an deren unterschiedlichen Schwingungszuständen sich verschiedene Elementarteilchen eines meiner vielen Ichs zu manifestieren verstehen. Das alles ist einem Fiebertraum absolut nicht unähnlich, das weiß ich. Ein Ich sitzt einfach nur da und wird zu einer Mannigfaltigkeit, zu einem aufgerollt komplexen, vieldimensionalen Raum. Wenn das mal nicht wie Poesie in meinen Ohren klingt: Das eigene Ich, eine Faltung der Materie; ein Labyrinth, vielfältig, weil es so viele Falten besitzt. Falten, die zu feinen Linien auf einem Spiegel aus Papier werden, einer Unendlichkeit meiner Fantasie, zu einer ›zwei- bis vielbrüstigen‹ Diana, die vielleicht für Gott, für die Natur, für das Laster, die bestimmt aber für meine Kunst steht, die für meine Revolution in Anspruch genommen wird. Sie nährt mich wohl, diese Fantasie. An ihrem Busen let me rest. In meinem Fieber(t)raum.

 

Das Leben als der kleine Vorraum für meine Retrospektive

Was wäre ich doch für ein Fest für die Geier. Doch noch zucke ich, lege mir meine alten Knochen lieber selber aus, um daraus meine Zukunft zu deuten.

Natürlich komme ich zu keinem endgültigen Schluss. Denn ich fühle mich noch zu lebendig. Gleichwohl sortiere ich gerne schon einmal die Dinge, stelle sie zusammen, rücke sie in ein neues Licht. Erinnerungen sind immer nur Nacherzählungen. Wie meine Kunst bekanntlich auch. Ich baue mir schon seit Jahrzehnten mein eigenes Labyrinth.

Einen Ort, an dem ich des Öfteren auf unbekannte Vögel stoße. Laut Ibn Sirin, einem Freund und Traumdeuter, seien solche Vögel als Engel anzusehen. Aber nur dann, wenn ich für solche Vögel keine anderen Namen besäße. Wären es hingegen Geier, mit den ich zufällig einen Flug unternähme, dann, so Ibn Sirin leise zu mir, würde ich zu Rang und Würden aufsteigen. Oder eine Retrospektive erhalten.

In der bildenden Kunst ist die Retrospektive, wie wir wissen, eine Kunstausstellung, die einen Überblick über eine oder mehrere Schaffensphasen, einen spezifischen Aspekt oder das Gesamtwerk eines Künstlers vermittelt. Anstatt nur die jüngsten Arbeiten zu zeigen, stellt die Retrospektive einen Kontext zu weiter zurückliegenden Werken her.

Erkennt man darauf eventeuell unbekannte Eier, Eier, die man bei sich sieht, aber nicht verzerrt, dann sind damit wohlgeformte Frauen gemeint. Soll sein. Nie habe ich aber, ich schwöre, mich auf einem Bild ein Ei essen sehen, egal ob es gekocht, gebacken oder gebraten war. Tja, und deshalb, hier schmunzelt mein Freund, besäße ich auch kein Vermögen oder hätte auch keine rechtschaffene Versorgung (Rente). Das ist wohl wahr.

Wegen und dank meiner Kunst habe ich stets aus einem klaren Fluß trinken können. Und das bedeutet, dass mir Gutes und Wohlleben widerfahren ist. Und zwar soviel, wie ich halt trinken konnte.

Und? Was soll ich sagen, meine besten Freunde wissen, ich trinke gerne…

Die Paradoxie bei ausgestellter Kunst

Was soll das?

Nun, die Paradoxie der ausstellenden Kunst lautet / Nie darfst du einen Menschen / Der nicht zur Familie gehört / Merken lassen / Was du denkst / Glaub mir / Postkulturelle Pornografie / Braucht der Mensch wie einen Bissen Brot / Und wenn wir kein Brot haben / Sollen wir Kuchen nehmen / Nach ihm schnappen / Wie nach einer Hostie / Klar soweit / So lang ein Mensch noch träumen kann / Wird irgendwann ein Traum in Erfüllung gehn / Um sich seine Wege in die sträubenden Wolken zu lenken …

Immer schon habe ich aufgrund solcher Träumen mir meine Bilder geschenkt.

Kritik oder „Dein Lob herzu“

Wie soll ich als Künstler mit dem sogenannten Zeitgeist umgehen, mit ihm umspringen, auf ihn reagieren? Wenn ich die Geister, die ich wahrlich nicht rief, mal wieder auf mich zurasen sehe, dann rufe ich lauthals „Stampede“ und bringe mich mit einem gewagten Sprung unter meinem Ateliertisch in Sicherheit. Stampede bezeichnet bekanntlich eine Fluchtbewegung innerhalb einer Tierherde… aber auch in einer Menschenmenge. Eigentlich eine Fluchtbewegung, die die gesamte Masse Tier oder Mensch erfasst und unkontrollierbar macht. Solche Stamedes wurden für uns aber längst zu zeitgenössischen Massenphänomenen, wie z.B. knallbunten Volksfesten, Literaturwettbewerben, wie dem zum Erwerb des Ingeborg-Bachmann-Preises, oder Taylor-Swift-Konzerten. O, ich stelle mich solchen Herden nicht wirklich in den Weg; ich halte der Herde auch kein Bild hin, was meines Erachtens zur Besinnung, zum Innehalten, zum Nachdenken, beitragen könnte. Wer bin ich, dass…? Lieber trete ich zur Seite. Und formuliere mir selber eine mikrosoziologische Theoriebildung, die besagt, ich ziehe mich zurück und abonniere mir die „Zeitung für Einsiedler“, 1808 von Achim von Arnim und Clemens Brentano ins Leben gerufen. Nur auf Papier gedruckt zu erhalten. Keine App. Steht im Impressum der Zeitung. So wie die Rockgruppe QUEEN auf ihren ersten Schallplatten stets vermerke: No Synthesizer. Na, das lobe ich mir doch gerne.

Ratgeber #2

Über das Geheimnis des künstlerischen Schaffens, über den kreativen Menschen, über die Idee des Schöpferischen ist schon so viel geschrieben wurden. Über dieses Wunder namens Kunst, dieses etwas, was aus dem Nichts entsteht und, mag sein, die Zeit überdauert. Ob dieses Wunder aus dem Nichts entsteht, vergleichbar einem Big Bang, dem Anfangsstadium unseres Universums? Vielleicht ist Kunst ja tatsächlich eine extrem schnelle Ausdehnung des Raums. Oder ist ihre Entstehung doch eher gemächlich, möglich beim Hören eines alten Liedes wie „Greensleeves“, ein Lied, dessen Melodie seit dem Elisabethanischen Zeitalter bekannt und beliebt ist, und meinem gleichzeitigen Schauen der Nachrichten, die ich ohne Ton im Fernseher verfolge? Ein buntes Rauschen, es erinnert mich urplötzlich an einen „unermesslichen Himmel…, in dessen Mitte der Andromedanebel schwebt.“ Und dann kommentiert eine Stimme in meinem Kopf die Bilder auf dem Bildschirm mit einem Zitat von Shakespeare und ergänzt noch einmal schnell mit den Dichterworten Dürrenmatts: „durchmessend die Unendlichkeit, mitten in das Herz meines Feindes.“     

Unbewußheit und Bewußtheit paaren sich in mir liebevoll-hemmungslos und bringen ein Kind zur Welt. Es ist ein Bild.