Bilder, so beständig wie Rauch über einem Feuer

Für eine Existenz wie dich, liebste Schwester, haben unsere Sinneserfahrungen keine Antennen ausgebildet. Dein Tot-Sein vor einem Leben erscheint uns geradezu unlogisch. Wir haben uns als Lebende so sehr daran gewöhnt, dass der Tod erst das Ende unseres Lebens darstellt. Doch bei dir war und ist es gerade umgekehrt. Der Tod war dein Anfang.

Uns Lebenden erscheint es falsch zu behaupten, dass Tote für uns eine reale Rolle im Leben spielen sollen und können. Aber das tun sie. An jedem Tag.

Aus diesem Grund bittet Camass mich immer wieder: „Bruderherz, zeige mir, wie es ist als Mensch zu leben.“ Bestimmt schreibe ich seit Jahrzehnten deshalb auch Tagebuch. So korrespondieren wir über den Tod hinaus… Denn in den Tagebüchern verweben sich unsere Stimmen zu einem einzigen Faden, der sich durch die Unendlichkeit zieht.

Etwas zur Sprache zu bringen, ist wie etwas zur Welt zu bringen… vor allem (s)eine ganz eigene Identität.

Camass war von ihrem Unglück satt, als sich ihre Schmetterlingsflügel blau verfärbten, in einer schwindenden Helligkeit…

Mir selber sollte Blau meine Totemfarbe werden, darin ich mein Leben verändern konnte oder zurückerobern von meinen Mitmenschen, die gegenseitige Abhängigkeiten auslegten mit dem faden Geschmack von Gefängniswärtern.

Von jenseits der Gefängniswand vernahm ich die Stimme von Camass. Ich vermochte diese aber erst zu Bildern zu formen, nachdem ich gelernt hatte, Bienen, Schmetterlinge und Kolibris als die Zugtiere meiner Phantasie und Kunst zu begreifen, ein Geschirr aus Legenden, Sagen und Mythen.

 

Verzagte Poesie

Camass beugte sich vor und flüsterte mir zu: „Immerzu sitze da / in dir / und falte Erinnerungen zu kleinen Papierschiffchen / die ich in einer Pfütze meines Rest-Bewusstseins dahintreiben lasse / exhibitionistisch / bescheiden / wichtigtuerisch / mit dem Recht auf ein eigenes Leben / Nicht jetzt / später / allmählicher / jenseitiger / während der Wind in meinem Nacken mit seinen Fingern ein Frösteln auslöst / als würde ein Hauch von Vollendung über meine Haut streichen“

Remember Camass

Verzückt vom hübschen Gesicht der Bilder / Und der Olivenölstimme der Worte / That´s Amore / Feuchtigkeit / Wärme / Liebesbekundungen / Anblicke von unbenennbarem Glück / When the moon hits your eyes / Like a big pizza pie / Außer sich vor Wonne sein / Zwischen zwei Phänomenen eingeklemmt / Die fauchen und zärtlich kratzen / Bis alle Haut rot durchblutet schimmert / Ein Traum mit Goldrand / Vermerkt in unzähligen Bilder / Die noch folgen werden… von Camass.

Feiner Rausch im „Café Altenberg“

Cafés und Ateliers sind Zauberorte, die mich zum Träumen animieren. Die Eingangstüren dienen an beiden Quellen als Fluchttüren. Hinter der verschlossenen Tür kann ich mich vor der Welt da draußen in Sicherheit bringen. Nur hier kann ich, vor der lauten Hektik der Außenwelt, zu Atem kommen. Hier finde ich zu mir. Nur hier sehe ich die vielen Bilder in mir aufblühen. Nur hier treffe ich auf längst verstorbene Freunde. Wie zum Beispiel den Schriftsteller Peter Altenberg.

Unter einem riesigen Mond aus Milchschaum sitzend, starr träumend, wird er durch meinen inneren Blick wieder lebendig werden…Teller aus Porzellan fallen urplötzlich auf den Boden einer Ausstellung und zerspringen. Die verschieden großen Teile schlingern in unterschiedlichen Tonhöhen klingend auseinander.

Zum Verständnis der „schwierigen Bilder“

„Was wollen Sie uns damit sagen?“

Sagen? Mehr denn je frage ich mich, ob Kunst etwas zu sagen hat. Ob sie überhaupt in Übereinstimmung mit einer Ortsbeschreibung zu bringen ist. Sogenannte Experten suchen in der ominösen Kunst stets nach Überschneidungen zwischen meinen persönlichen Schilderungen und den gesellschaftlichen Gegebenheiten bzw. politischen Strömungen in der Zeit. Ist Kunst aber nicht in Wahrheit (& Lüge zugleich) eine seltsame Expedition, die sich mit Sorgfalt, Hoffnung und einer völlig leeren Meereskarte aufmacht, um etwas zu finden, was nicht zu finden ist? Der Chor der Ältesten befragt mich dazu, man will meinen Namen wissen. Das bedeutet, ich muß, wenn auch widerstrebend, von meinem früheren Leben berichten. Obwohl, ich gestehe, so freudlos gehe ich gar nicht an diese Lebensbeichte heran. Ich trage sehr gerne ein Gemisch aus Wasser und Honig auf sämtliche Malgründe auf; die Bilder, die dadurch entstehen, sie werden so zu meinen Zeugen. Sie sollen und dürfen mich zu der Stelle (ver)führen, woher ich kam. Der ich einst den Rücken kehrte. Denn nur durch diese innere Geisteshaltung vermag ich zu ihr zurückzufinden.

Eine eigene Zeit

Blicke ich auf mein Werk, dann wird mir mehr und mehr deutlich, ich stelle nicht meine Zeit aus. Vielmehr stelle ich mich selber in der Zeit aus. Manche werden sagen, ich ticke ja nicht richtig. Aber nur aus deren Perspektive betrachtet verläuft meine Zeit scheinbar anders, wirken meine Bilder wie aus der Zeit gefallen. Jeder von uns altert halt auf seine ganz eigene Art und Weise. Ich tue das durch ein Sammeln, ein Konservieren, ein Erforschen. Denn dies gehört zu meinem Ausstellungsrepertoire. Ebenso das Kuratieren, ein Vermitteln und Zeigen. Doch wo genau liegt der Erkenntniswert meiner Kunst? Im lebenden Körper verborgen oder auf dem Seziertisch ausgebreitet? In einem Traum wandel ich durch meine eigene Ausstellung, vorbei an beleuchteten Vitrinen und aufgereihten Bildern, geschmackvoll arrangierte Sockel präsentieren die Schätze, die auf einer langen Forschungsreise gesammelt wurden, um das eigene Ich zu entdecken.

„Macht mich anschaubar“ sage ich zu meinen Werken. „Aber nicht durchschaubar“ füge ich hinzu.