Abschied von Mutti

Die Linien des Lebens sind verschieden / Wie Wege sind, und wie der Berge Grenzen. / Was wir hier sind, kann dort ein Gott ergänzen / Mit Harmonien und ewigem Lohn und Frieden. (Hölderlin)

Kultur ist nicht, was man sich an die Wand hängt.

Heute las ich folgendes Zitat: „Jede Wunde hat ihr eignes Blut.“ Die Worte von Stefan Schütz berührten mich sehr. Dann fiel mein Blick auf ein Bild, das ich vor einiger Zeit angefertigt hatte…

Düstere Träume. Zerschnittene Seelen. Die verwirrende Vielfalt der Welt. Die Gedichte eines melancholischen Sanguinikers. Nichts, was man sich an die Wand hängen möchte. Aber die Unverkäuflichkeit solcher Wunden erscheint mir, wenn ich ehrlich bin, fast als ein schönes Privileg und Auszeichnung.

Was dagegen gefällt, sieht man beim Stil- und Luxusmagazin „Deluxe – Alles was Spaß macht.“ Dort ist der Name Programm: Es dreht sich alles nur noch um die exquisiten Dinge, die das Leben schöner machen: My crib, my cars, my clothes, my jewels / Look, I, I get money, money is got (I, I get it) / I, I get money, money is got (I, I get it) / I, I get money, money is got (Yeah, yeah)…

Jede Wunde hat ihr eigenes Blut. Ich bin zufrieden mit meiner.

Das bißchen Realität

Meine Aufmerksamkeit, mein Voyeurismus, gilt der Stelle, wo Wort und Bild sich zärtelnd berühren. Dort ist der Busch wo das Wort blüht, ein Bild seine Flügel ausbreitet & mein Fliederlicht glüht. Wort du verästelter Marmor! Sprache, die strauchelt. Welch Geheimnis in deinen Adern! Welches Blut durchtränkt die Wunden meiner Werke? Es rollen die Würfel des Zufalls / um eines Wortes Schicksal; ich male in Ketten. Lasst uns jagen das Raubwort / Das schneller ist als der Tiger. Und die Bilder? Sie sind das, was die Krallen der Großkatze sind. Wort zur Waffe verwandelt / Du meldest mich finsteren Engeln. Das heißt ich fertige ein Bild. Regen der Worte / Füllt meinen erblindeten Brunnen! Der Regen der Farben betaut meine Leinwände mit Leben. Im Käfig des Wortes / Wird jedes Gefieder zu Nachtigall. Ich öffne die Käfigtür, damit die Bilder davon fliegen können. Mein Dornbusch in dem das Wort brennt / Das mich zum König des Kummers ernennt! Bilder, die mich zum König machen in einem kleinen Reich. Ein König, dem seine Mutter stirbt. Ein König, der gegen das Sterben anmalt. Ein König, der phantasiert, er könnte siegen. Diese Phantasie, sie ist…

(Sprechen? Kritzeln? Yvan Goll und ich.)

Bild über die Unverständlichkeit des Lebens

„Das Werk, das man malt, ist eine Art, Tagebuch zu führen.“ Schreibt Picasso. Und er hat recht. Tag für Tag wird Verständliches und Unverständliches von mir notiert und aufgezeichnet. Das heißt, ich nenne einiges beim Namen, anderes ist mir selber fremd… Aber das wunderbar Rätselhafte am Unverständlichen wird von mir nicht plump gelöst und schnellstmöglich in illusorische Verständlichkeit (rück)überführt. Warum sollte ich auch? Die große Unverständlichkeit des eigenen Lebens wird schlicht als unlösbar von mir akzeptiert und anerkannt. Sie spiegelt sich in meinen Augen deshalb liebevoll und wahrhaftig rätselhaft wider.

Ein Bild meiner unerforschten Zeit

Wo wird unsere Lebenszeit aufbewahrt? In einem kleinen Tresors, der künstlerisch gestaltet ist? In älteren Kirchengesprächen, heißt es, sie sei in den Altaraufbau eingelassen. In neueren Kirchenworten weht die Zeit oft frei über einer Stele. Manchmal ist für die Zeit andernorts auch ein eigener Nebenraum vorgesehen, ein Ort der Stille und der Anbetung. Manchmal steht dort ein Bild? Ein Bild über Handreichung. Ein Bild über einem Totenbett. Ein Bild, das sich selber malt.

Irritierende Leidenschaft

Es gibt irritierende Ereignisse, die ein Mittel sind, zu irritieren, wie zum Beispiel die Ereignisse zwischen zwei Ereignissen und Ereignisse, die solche irritierende Ereignisse erkennen lassen. (Thomas Bernhard)

Ebenso gibt es irritierende Bilder, die ein Mittel sind, zu irritieren.

Beglückende Venus

Ich sah, ich errötete, ich erblaßte. Meinen Geist ergriff unendliche Verwirrung; finster ward’s vor meinen Augen, mir versagt‘ die Stimme. Ich fühlte mich durchschauert und durchflammt, der Venus furchtbare GESTALT erkannt‘ ich. Und alle Qualen, die sie zürnend sendet?

Erinnern, so beschrieb es der Autor Mario Schlembach einmal, sei bekanntlich nicht, irgendwelche Denkmäler zu errichten. Das Erinnern bestünde aus einem ständig vollzogenen Akt und einem aktiven Prozess. Das stimmt. Genau aus diesem wunderbaren Grund entstehen all meine Bilder: ich erinnere mich. An das Vergangene. Als auch an das Zukünftige. Das Gegenwärtige ist der eigentliche Akt des Erinnern. Während ich male, treten von Zeit zu Zeit Menschen an mich heran und beginnen über meine Bilder zu erzählen. Sie berichten mir, welchen Bezug sie zu ihnen haben oder was sie mit anderen Bildern schon erlebt haben. Manchmal erzähle ich mir auch selber, was ich erblickt… Ich schaue; ich bin der Beglückte.

Beim Prüfen von Bildern

„Beim Prüfen von Bildern: können sie der Einwirkung von Schatten standhalten?“, fragt John Cage. Und Sylvia Plath antwortet ihm ohne zu zögern: „Sterben ist eine Kunst, wie alles andere auch. Ich kann es besonders gut.“ O, Seele, denke ich, was wiegst du? Am Ende waren es nur cirka 30 Kilo. Nicht mehr. Ein Lufthauch nahm dich hinfort… Zurück bleiben Spuren von Farben und Formen, die uns immer an dich erinnern werden, Jana.

Geheimnis der Dinge

Wenn Wort und Bild auseinander klaffen, so bedeutet das zugleich, dass es irgendwo eine Verbindung zwischen ihnen geben muss. Dort liegt das Geheimnis der Dinge. An dieser Stelle niste ich mich ein. Und betrachte liebend gern die grünen Sonnen dieser Welt. Die Tage kommen blütenreich und milde. Der Abend blüht hinzu. Und helle Tage gehen vom Himmel abwärts, dort wo meine weiteren Lebenstage sich vermählen. Jedes neue Jahr erscheint mit seinen Zeiten wie eine Pracht… Der Menschen Tätigkeit beginnt mit neuem Ziele. So sind die Zeichen dieser Welt, der Wunder viele… an einer Galeriewand ausgestellt. So fiebere ich. So schreibe und male/zeichne ich zu mir selbst. Hand in Hand mit Scardanelli. Am Käfig der Worte hab ich das Türchen geöffnet, damit die Bilder heraus- und emporsteigen können.

Täglicher Drachenkampf

Der Drache, wie in der psychoanalytischen Tradition C. G. Jungs bei Erich Neumann, James Hillmann, Etienne Perrot u. a. aufgezeigt, steht für einen der ursprünglichsten und kulturübergreifenden Archetypen (strukturelle Elemente des kollektiven Unbewussten oder grundlegende Bilder, die die Psyche strukturieren) der Menschheit… Und gemeinsam mit dem Drachen wird immer der heldenhafte Reiter dargestellt, der ihn im grausamen Kampf stellt. Was bedeuten diese beide Figuren?… Auf dem Weg der Evolution wird die Menschheit vom Unbewussten zum Bewusstsein geführt, von der kosmischen Fusion mit dem Ganzen (Uroboros) zum Aufkommen der Selbständigkeit des Ichs. Dieser Schritt ist, wenn er ganz vollzogen ist, dramatisch: deshalb muss das Ich ihn immer wieder gehen, will es sich der Freiheit und der Selbständigkeit erfreuen… Es ist wichtig zu erkennen, dass der schreckliche Drache und der heldenhafte Reiter zwei maßgebliche Dimensionen des menschlichen Seins darstellen… Die Handlung des Helden, in unserem Fall der Hl. Georg in seinem Kampf mit dem Drachen, zeigt die Stärke des Ichs, das sich mutig und erleuchtet durchsetzt und Autonomie erobert, sich jedoch stets in Spannung mit der dunklen Dimension des Drachen befindet. Sie koexistieren, doch niemals beherrscht der Drache das Ich… Wer sich auf diesen Weg Kampf einlässt, leugnet den Drachen nicht, sondern behält ihn bei als gezähmten Anteil seiner inneren Schattenseite. Und darum tötet der Hl. Georg in den meisten Erzählungen den Drachen auch nicht. (nach Leonardo Boff, Theologe und Philosoph)

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