(Entnommen aus Muttis so sehr geliebten Mondkalender.)
Archiv für den Monat: Februar 2019
Die liebende Mutter
Die liebende Mutter bringt ihrem Kind das Laufen bei. Sie ist gerade so weit von ihm entfernt, dass sie es nicht mehr halten kann. Sie streckt ihre Arme aus; ihr Gesicht wirkt ermutigend. Das Kind strebt ständig nach einer Zuflucht in Mamas Armen, ohne auch nur zu ahnen, dass es im gleichen Augenblick den Beweis erbringt, dass es auch ohne sie aus kommt. Søren Aabye Kierkegaard (1813 – 1855), dänischer Philosoph, Theologe und Schriftsteller.
Stimmt. Das Kind kommt ohne Mutti aus. Aber es tut mir weh.
Kultur und Gespenster
Bazon Brock meinte einmal: „Der Tod muss abgeschafft werden, diese verdammte Schweinerei muss aufhören. Wer ein Wort des Trostes spricht, ist ein Verräter.“ Eine gute Idee. Aber wer macht schon mit? Wie viele Tode werden auf den Bühnen der Welt immer wieder aufs Neue gestorben, um nach dem letzten Vorhang wieder aufzuerstehen? Von Literatur, Film, Musik und Tanz zu diesem Thema einmal ganz zu schweigen. Der Tod, heißt es, lächelt uns alle an, das einzige was man machen kann ist zurück lächeln! Ich nicht. Ich lächle nicht. Nein, ich spucke ihm ins Gesicht, weil er mir einen geliebten Menschen nahm. Am liebsten würde ich ihm seine hässliche Visage zerkratzen. Stattdessen schnippel ich herum, an Bildern, die aus dem Erinnerungsbaum fielen, an Fotos, die ich vor Tagen in alten Kladden fand, muffig vom Staub der Schränke. Bockig wie ein kleines Kind, das nicht begreifen will, gebe ich dem Tod nicht die Hand. „Mein Name ist Max“, hatte der Tod gesagt. Ich weiß. Mutti hatte den Tod, ihren Krebstumor, mit Max angeredet, als er ihr im Krankenhaus vorgestellt wurde, so als hieße sie den eigenen Scharfrichter in ihrer Wohnung herzlich willkommen. Und Max nistete sich ein, er machte es sich bequem. Von Anfang an konnte ich Max nicht leiden. Er sprach kein Sterbenswörtchen. O, nein. Er ließ nur sterben. So ein Gast war Max. Und als er endlich ging, nahm er meine Mutter gleich mit. So jemandem gebe ich zum Abschied nicht die Hand. Ich schmeiße die Tür hinter ihm mit Wucht ins Schloss. Und starre dann selbst erschrocken in die Leere der Wohnung. Mutters Stimme vernehme ich in dieser möblierten Öde nur noch wie ein fernes Blätterrauschen. Es kommt von dem Baum, der unweit vor dem Balkon steht. Die Sonne hat sich in den Zweigen verfangen und lässt die längst ausgehauchten Worte meiner Mutter in mir aufleuchten. Sie spricht von und mit Liebe zu mir. Weinend hocke ich mich nieder und bastel mir kleine Trostbilder.
Die Kultur kennt viele Gespenster, die uns als Publikum faszinieren. Mag sein. Als Künstler lasse ich Dinge erscheinen und wieder verschwinden. Ich zerstöre Dinge und stelle sie auf magische Weise wieder her. Ich spiele mit Illusionen. Meine Bilder werden auf Rauch projiziert, sie erscheinen schwerelos und schweben als Geist vor unseren Augen. Und auch das niedliche weiße Kaninchen taucht wieder auf. Ein künstliches Kaninchen, so täuschend echt, dass es sich bewegen kann wie ein richtiges Kaninchen. Man kann diese Kaninchenpuppen so zucken und zappeln lassen, dass im Publikum die Illusion entsteht, da ist ein wirkliches Kaninchen aus dem Hut gezaubert worden. All das kann ich machen. Mit Leichtigkeit. Nur meine Mutter, das wird mir mit jedem neuen Tag schmerzlich bewusst, sie kommt nie mehr zum Vorschein. Nie mehr.
Kleines Bild über die Trauer
Vanitas
Tonleiter der Liebe
Das Traumbild „Petersilie“ als das weibliche Prinzip und die verborgene Bewusstseinsebene.
Wiederbelieben
„Ist es möglich! Stern der Sterne, Drück ich wieder dich ans Herz! Ach, was ist die Nacht der Ferne / Für ein Abgrund, für ein Schmerz. Ja, du bist es! meiner Freuden / Süßer, lieber Widerpart; Eingedenk vergangner Leiden, Schaudr ich vor der Gegenwart. Als die Welt im tiefsten Grunde / Lag an Gottes ewger Brust, Ordnet‘ er die erste Stunde / Mit erhabner Schöpfungslust, Und er sprach das Wort: Es werde! Da erklang ein schmerzlich Ach! Als das All mit / Machtgebärde / In die Wirklichkeiten brach. Auf tat sich das Licht: so trennte / Scheu sich Finsternis von ihm, Und sogleich die Elemente / Scheidend auseinanderfliehn. Rasch, in wilden, wüsten Träumen / Jedes nach der Weite rang, Starr, in ungemeßnen Räumen, Ohne Sehnsucht, ohne Klang. Stumm war alles, still und öde, Einsam Gott zum ersten Mal! Da erschuf er Morgenröte, Die erbarmte sich der Qual; Sie entwickelte dem Trüben / Ein erklingend Farbenspiel, Und nun konnte wieder lieben, Was erst auseinanderfiel. Und mit eiligem Bestreben / Sucht sich, was sich angehört, Und zu ungemeßnem Leben / Ist Gefühl und Blick gekehrt. Sei’s Ergreifen, sei es Raffen, Wenn es nur sich faßt und hält! Allah braucht nicht mehr zu schaffen, Wir erschaffen seine Welt. So, mit morgenroten Flügeln, Riß es mich an deinen Mund, Und die Nacht mit tausend Siegeln Kräftigt sternenhell den Bund. Beide sind wir auf der Erde / Musterhaft in Freud und Qual, Und ein zweites Wort: Es werde! Trennt uns nicht zum zweitenmal.“ (Johann Wolfgang von Goethe)
(Siehe hierzu auch nochmal die Artikel vom 14. und 15. Mai 2014. Als auch den Artikel vom 20. Mai 2014)
Meine Mutter mit ihrem kleinen Hermelin
Das Bild, das ich zur Trauerbewältigung von meiner Mutter und mir angefertigt habe, zeigt sie als eine junge Frau in kostbarem Gewand. Ihr glatt gescheiteltes Haar ist mit einer durchsichtigen Haube aus Gaze bedeckt, deren Goldrand knapp oberhalb der Augenbrauen zu sehen ist und deren Träger unterhalb des Kinns verlaufen. Gehalten wird die Haube von einem horizontalen schmalen Band. Am Hinterkopf trägt sie einen kurzen Zopf. Um ihren Hals verläuft eine zweifach lang-kurz gewickelte Perlenkette aus dunkelblauen verzierten Perlen, die möglicherweise aus Ebenholz bestehen. Auf ihrem linken Arm hält sie einen weißen Hermelin, auch Großes Wiesel bzw. Kurzschwanzwiesel genannt. Oder schlichter und einfacher: „Detlef“. (Mutti dehnte das erste „e“ von Detlef gerne, wenn sie mich rief. Oder mir sanft den Kopf tätschelte.)
Das Wiesel ist ein leiser Jäger, der in den kleinsten Zwischenraum gelangt und über ein feines Gespür verfügt. Er ist ein flinker Helfer in der Not (wie z.B. bei Verdacht auf zentrales BC am ehesten SCLC – Infiltration wachsenden mediastinalen/rechts hilären Raumforderung mit Obstruktion des apikalen Unterlappensegmentbronchus und des posterioren Oberlappensegmentbronchus – entsprechend ausgedehnte Atelektasen, als auch Lymphknotenmetastasen und anderen Unlustigkeiten wie hirneigenem Tumor etc…) Die rechte Hand meiner Mutter liegt leicht unterhalb meines/seines Halses. Eine poetische Geschichte besagt, dass das Wiesel lieber sterbe, als sich schmutzig zu machen (Naja…). Deshalb versinnbildlicht es für Christen wohl am Besten Reinheit und Keuschheit. Ein anderer Mythos besagt, dass das Wiesel sogar in der Lage sei, die eigenen toten Junge wieder zurück ins Leben zu holen. Ich wünschte, es wäre so einfach gewesen. Ich hätte Mutti ins Leben zurückgeholt. Aber leider… Es war komplizierter.
Mir als Wiesel ist übrigens die Rune Eiwaz zugeordnet, welche bei Reisen durch die Anderswelt behilflich ist, die eigenen Schattenseiten aufdeckt und an das Licht bringt. Diese Rune weist darauf hin, dass es eine Blockade auf dem Weg zu geben scheint, aber auch eine Verzögerung könnte nützlich sein. Keine Hektik, kein Tun oder Gieren nach einem gewünschten Resultat ist nötig – Geduld heißt der Rat. In Verbindung mit dem Wiesel als Krafttier werden die Träumenden, die Künstler, in das Große Geheimnis von Leben und Tod eingeweiht und bekommen so neue Wege aufgezeigt. Ein Leben, das nun ohne meine Mutti weitergeht… & „werd ich einmal nicht mehr sein, schaue in dich selbst hinein, in dir selbst, findest du mich, mein kind, mein sohn, ich liebe Dich“
So wie die Dichterin Hanka Lindstaedt es in einfachen und schönen Worten formuliert, so sehe ich es auch: Ich liebe Dich, Mutti. Immer und ewig.