Das Modell

Corona ist ein Modell und sieht gut aus / Ich nehm es heut mit zu mir nach Haus / Es wirkt so kühl an es will niemand ran / Doch vor der mir da zeigt es was es kann / Es trinkt in Nachtclubs immer Sekt, korrekt / Und hat hier schon viele Männer angesteckt / Im Scheinwerferlicht das junge Lächeln strahlt / Es sieht gut aus und für ihre Schönheit wird schwer bezahlt / Es stellt sich zur Schau für kein Konsumprodukt / Und wird von Millionen Augen angeguckt / Ihr neues Titelbild ist einfach fabelhaft / Ich muss es wiedersehen ich glaub Corona hat’s geschafft… (frei nach dem Stück „Das Modell“ von Kraftwerk)

Der Kunst-Garten

Ein ganzes Leben lang habe ich die Menschen Zen gelehrt

79 Jahre

Wer die Dinge nicht sieht, wie sie sind

Wird niemals Zen verstehen

(Der japanische Zen-Buddhismus kennt ein poetisches Sterberitual: Große Lehrer zeichnen vor dem Tod ein Gedicht auf, in dem sie die Weisheit ihres Lebens zusammenfassen. Ihre Schüler sammeln die Werke, geben sie an die Nachwelt weiter – und legitimieren damit auch ihre Religion. Ihre Worte sind „Umschreibungen“ und Einkreisungen der Erleuchtung.“ Mich hat das obige Gedicht berührt. Und ich musste an meine Lehrtätigkeit als Dozent an Kunsthochschulen denken.)

Das unbekannte Kunstwerk

„Falls es jenseits wahnhafter Selbstüberschätzung und künstlerischer Hybris überhaupt darstellerische Wahrhaftigkeit gibt, dann ist sie letztlich nur für den erkennbar, der um die schmerzhafte Beziehung zwischen Wirklichkeit und künstlerischer Imagination weiß.“ (Kritik zu „Die schöne Querulantin“, einem Film von Jacques Rivette, frei nach „Das unbekannte Meisterwerk“ von Honoré de Balzac.)

Aus der Krise in die Zukunft.

„Die Zukunft hat viele Namen. Für die Schwachen ist sie das Unerreichbare. Für die Furchtsamen ist sie das Unbekannte…“ philosophiert Viktor Hugo. Die selbstverordnete Quarantäne, aufgrund von dem Corona-Virus, sie setzt ihm mächtig zu. Und wenn er sich am Küchentisch so umsieht, denkt er erschreckt  ´Diese entzückende faule Banane hat schon beim letzten Pokerabend hier rumgelegen´, aber er mag es nicht aussprechen. Wenn das die Gegenwart seien sollte, möchte er die Zukunft sich erst gar nicht vorstellen wollen. “Noch irgendwelche letzten Worte?!“ grätscht der Glöckner von Notre Dame in Hugos Überlegungen. Mit ihm zusammen bewohnt er eine äußerst geräumige Wohnung in der Passage de Beaujolais . Acht Zimmer habe dieses Appartement. Sie könnten hier ein Jahr zusammen hausen, ohne sich zu begegnen. „Also red nicht lange. Ich möchte, dass du zu mir ziehst“, so hatte Hugo es seinem Freund erklärt. Das war letztes Jahr, weit vor der Corona-Krise. Der Glöckner hatte das Angebot dankend angenommen. Weil Notre Dame 2019 den Flammen zum Opfer gefallen war, hatte Viktor Hugo nun also einen Untermieter. Seit Tagen diskutieren die Freunde über die Zukunft, über ihr Leben nach der Kontaktsperre. Wie wird sich die Welt danach verändert haben? Hugo versucht eine Antwort darauf zu finden, verzieht seine Lippen zu einem schmalen Strich, denen dann aber nur ein langgezogenes „Mmmmmmmm!!“ entfleucht. Der Glöckner schielt ihn von der Seite an und sagt süffisant: „Das sagen sie immer… Aber für die Tapferen ist die Zukunft eine Chance.“ Hugo schaut seinen Freund verständnislos an. Wie kann der nur so gelassen bleiben bei all den Nachrichten über die Pandemie-Krise im Fernsehen? Oder den sozialen Netzwerken. Hugo steht auf, ein Finger schiebt die verfaulte Banane über den Rand des Tisches. Sie schlägt mit einem einzigen dumpfen, matschigen Ton auf den Küchenboden und verursacht dort einen Klecks, der ihn an die wirren Details eines Jackson Pollock Gemälde erinnert. „Wo gehst du hin?“ will der Glöckner von ihm wissen. „Auf’s Klo,“ lauert die Antwort. Sie kommt monoton, ohne Emotion. „Allein?“ Die Freunde blicken sich sich an. „Da geh ich immer allein hin.“ Hugo senkt den Blick und kommentiert mit einem Seufzer den Bananenfleck zu seinen Füßen. „Wieso?“, hackt sein Freund nach. „Nur so,“ sagt Hugo leise, fast nur zu sich selbst. „Bleibst du da lange?“ „Nicht länger als nötig,“ sagt er noch, bevor er die Küche verlässt, einer, wie er findet, ungewissen Zukunft entgegen. Ihm fällt ein Zitat von Matthias Horx ein, dass er aber für sich behält: „Die Welt wird in gewisser Weise neu werden, weil wir neu werden in unserer Weltwahrnehmung.“ Als er auf dem Klo sitzt, hört er überlaut aus der Küche seinen Freund rufen: „Wenn zusehen alles ist, was du tust, dann wirst du deinem Leben dabei zusehen, wie es ohne dich vorbeizieht!“ Hugo hat indes andere Sorgen…Toilettenpapiermangel. Er sei sicher, dass das Phänomen nur kurzzeitig auftrete, hatte sein Mitbewohner versucht ihn zu beruhigen. In Gaststätten und Hotels werde derzeit nichts verbraucht. „Die Produktion muss also nur umgeleitet werden“, war das tröstende Argument gewesen. Hugo hatte umgeleitetes Toilettenpapier, so als Bild vor seinem geistigen Auge, allerdings nicht sehr beruhigen können… sein Toilettenpapier solle auch in Zukunft nur eine Richtung nehmen.

Anmuth

Langsam eilt es und kämpft das freudigschauernde Chaos, / Jung an Gestalt, doch stark, feiert es liebenden Streit… / / …Wie ers liebet und jezt wieder ein Leben beginnt, / Anmuth blühet, wie einst, und gegenwärtiger Geist kommt, / Und ein freudiger Muth wieder die Fittige schwellt. / Vieles sprach ich zu ihm, denn, was auch Dichtende sinnen / Oder singen, es gilt meistens den Engeln und ihm; / Vieles bat ich…    Hölderlin.

Dem Dichter hatte ich etliche Artikel auf meinem Blog gewidmet. Ich hatte in ihm ein Gegenüber gefunden, mit dem ich über Höhen gleiten konnte und in Tiefen verschwinden. Er lehrte mich die Stille des Äthers zu verstehen. Aber dann betrat ein Virus die Szene. Und ließ unser Gespräch verstummen. Die Chaosforschung hatte uns das Bild von einem Schmetterling geschenkt, der seine Flügel entfaltet und daraufhin am Ende der Welt ein verheerender Tornado losbricht. Corona zeigt uns auf, dass, wenn irgendwo in der Provinz nur ein Sack Reis umfällt, die Erde weltweit erbeben kann.

Kill Corona – Volume 2

Auf der Mauer, auf der Lauer / Sitzt ein kleines … / Auf der Mauer, auf der Lauer / Sitzt ein kleines … / Seht euch nur dies … an, / wie dies … töten kann! / Auf der Mauer, auf der Lauer / sitzt ein kleines …

„Es heißt, Todesursache Nummer 1 für alte Menschen ist die Pensionierung“. Aber alles verändert sich. Täglich. „Menschen die noch einen Job haben, leben länger, damit sie ihre Arbeit zu Ende bringen können. Ich hab mir immer vorgestellt, Krieger und ihre Feinde sind zwei Seiten einer Medaille. Also jetzt, wo du deinem Feind nicht mehr auf dem Schlachtfeld gegenüber trittst, was für ein Gefühl empfindest du da? Begeisterung oder Bedauern? Ein bisschen was von beidem? (…) Und vergiss bitte nicht: kein Sarkasmus, keine Widerrede! Zumindest nicht im ersten Jahr, verstanden? Er (…ich blicke in Richtung Virus) muss sich erst einmal an mich gewöhnen. Er hasst Weiße, er verabscheut Amerikaner und er empfindet Verachtung für Frauen. Aber, was mich angeht, wird es schon eine Weile dauern… hoffe ich. Adios!“ (Zitate aus „Kill Bill, Volume 2“ von Quentin Tarantino)

Alltags-Requiem

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen sendet, so will es mir erscheinen, nur noch gute=gefühlsdusselige Durchhaltefilmchen à la Rosamunde Pilcher. Schnulzige Heimatmusik à la „Mit Blasmusik durch Bayern“ wattet das Gemüt ein, um von der Coronapandemie abzulenken bzw. das Gehirn komplett zu betäuben oder zu sedieren. In Talkrunden geben sich erwachsene Menschen ernsthaft Tipps wie der Alltag in Quarantäne zu bewältigen ist. Liegt im Regal nicht noch das Buch, was man vor Jahren einmal geschenkt bekam? Könnte man es jetzt einmal zur Hand nehmen? Aufschlagen? Lesen? Aber wie? Wo fängt man da an? Helfen einem die Seitenzahlen beim Verständnis der Lektüre? Es gibt so viel zu entdecken. Stimmt. In meinem Atelier tönt das „Mars Requiem“ von Helga Pogatschar: ein Crossover unterm Kreuz! Die strenge liturgische Form des Requiems konterkariert die Komponistin auf ihrer grandiosen CD mit moderner Vokalmusik, Klang-Samples, Heavy Metal-Riffs und Industrial-Gewittern. Und plötzlich taucht da auch ein Gespenst auf; ein Zombie spricht, gesampelt, zu Beginn des Kyrie. Störend, verstörend und sehr gestört, schreibt die Kritik. Der Wiedergänger wird im Booklet der CD als Oscar Schellbach identifiziert. Die Quelle, das Grab, aus dem Oscar Schellbach spricht, ist eine alte Schellackplatte names Seelephonie. Hier hört man die Anfänge der Autosuggestion im nazistischen Deutschland. Schellbach peitscht wie irre, geradezu „kinskiesk“ will ich meinen, drauf los: „Du hörst jetzt sehr schön zu, was ich dir sage. Kleine Kinder sind lieb und artig, und du bist auch ein artiges und liebes Kind, nicht wahr?“ Unwillkürlich ziehe ich den Kopf ein. Spricht durch Schellbach etwa auch das Virus zu mir? Oder ist es der texanische Vize-Gouverneur Dan Patrick, der unlängst forderte: Ältere Menschen sollten ihr Leben für die Wirtschaft opfern. Dann folgt ein weiter Schlag: „Nur als höherer Mensch hast du Daseinsberechtigung, sonst bist du faul und krank und verdienst den Untergang.“ O, ich glaube, es ist der Gouverneur, der da spricht…

Schaust du mich an…

Schaust du mich an aus dem Kristall / Mit deiner Augen Nebelball, / Kometen gleich, die im Verbleichen; / Mit Zügen, worin wunderlich / Zwei Seelen wie Spione sich / Umschleichen, ja, dann flüstre ich: / Phantom, du bist nicht meinesgleichen! / Bist nur entschlüpft der Träume Hut, / Zu eisen mir das warme Blut, / Die dunkle Locke mir zu blassen; / Und dennoch, dämmerndes Gesicht, / Drin seltsam spielt ein Doppellicht, / Trätest du vor, ich weiß es nicht, / Würd‘ ich dich lieben oder hassen? (Annette von Droste-Hülshoff)