verrückte zeiten wenden

Große Logiker haben bewiesen, dass Zeitreisen möglich sind. Je weiter in die Zukunft oder die Vergangenheit die Reise gehen soll, umso größer sei jedoch ein Umweg an den Rand des Raums, der letztlich so gekippt wird, das die Reise in Zukunft oder Vergangenheit möglich ist. Ein entscheidendes Manko bei solch einem Unterfangen sei jedoch der unglaublich gigantische Energieaufwand, der für dieses Projekt benötigt würde. Für ein vergleichbares Umkippen benötige ich dagegen nur Schere, Klebstoff und genug Fotomaterial banalster oder heiligster Erinnerungen…

Sprache und Kunst lassen mich eigentlich ständig umkippen. Und so wende und falte ich die Zeit, wie es mir beliebt; ich falle vom Rand der Raumzeit in einen Brunnen, der unendlich viele eigene Existenzen beherbergt, ich verliere mich in Wirbeln, die sich um die Dinge bilden und oder taste mich durch ein Labyrinth der Phantasie. Um nicht vollends verrückt zu werden, obwohl schon umgekippt, bedarf es im Alltag einer zuckerlockigen Sprache. Manchmal schützt diese vor jenem circe-artigen Zauber, der mich sehr leicht in ein Schwein verwandeln kann, das „Lolita“ liest, das nackte Frauen malt und Lavendelschwerter im Schoß der Erde schmiedet. Wenn das allerdings mal wieder so seien sollte, nicht weiter schlimm, dann ist das halt meine angenommene Realität: also Kunst.

Ist das ↑ logisch?

solche sprache habe ich zu übersetzen gelernt

solche sprache habe ich zu übersetzen gelernt + in einem labyrinth aus eigenen bildern erbaut + in dessen mitte eine verrücktheit haust + der scheu geopfert wird + ein blick auf eine blöße + sich öffnend oder verschließend + ein Himmel der nur neben sämtlichen stühlen zu erblicken ist

Obsession

„Und man darf wohl aufseufzen bei der Erkenntnis, daß es einzelnen Menschen gegeben ist, aus dem Wirbel der eigenen Gefühle die tiefsten doch eigentlich mühelos heraufzuholen, zu denen wir anderen uns durch qualvolle Unsicherheit und rastloses Tasten den Weg zu bahnen haben“, schreibt Sigmund Freud in „Das Unbehagen in der Kultur“. Moment mal. Was so mühelos erscheint, das ist meist qualvolles Tasten, mag ich Freud an dieser Stelle liebevoll kritisieren. Will sagen, so kommt es mir selber jedenfalls vor. Vielleicht habe ich bis dato aber auch nicht Kultur für alle geschaffen, sondern eher versucht mich selber erst einmal gerade hinzustellen.

Ich erschaffe nicht, ich tue bloß etwas: schreiben, malen, zeichnen, collagieren. Egal wie. Die Frage nach Gelingen oder Scheitern stellt sich nicht. Nicht mehr. Früher, gerade aus dem Studiums-Ei geschlüpft, meinte ich noch DAS Kunstwerk schaffen zu müssen. Alles Quatsch. Lieber habe ich, im Laufe der Jahre, ein Caféhaus aufgesucht oder mich tagtäglich in meinem Atelier niedergelassen, um all die Gedanken zu sortieren und zu Papier oder Leinwand zu bringen, die mir so durch den Kopf geistern. Ein Bild reihte sich so an das nächste, ein Wort ergab das andere. Ab und an hatte ich tatsächlich das Gefühl etwas von mir (nicht von der Welt – herrje, nein!) verstanden zu haben. Dann aber versank dieses Gefühl schnell wieder in einem kleisterhaften Nebel. Das schreibe ich ohne Groll. Denn das ist mein menschliches Los: Angst, ständiges Zweifeln und Arbeiten (an sich selber). Diese Dinge gehen niemals weg. Wenn ich sie mir jedoch so ansehen, verlieren sie ihren Schrecken für mich. Und sind, was sie seien sollen: ein Teil von mir. Sie sind ich selbst. Wem dies zu sehr nach Analyse klingt, nach Unbehagen angesichts unserer Kultur, der darf sich entspannen: es ist nur meine Analyse, nur meine geliebte Obsession.

The Best of…

All die alten Gemälde auf den Gräbern / Gehen wie ein Ägypter / Walk like an Egyptian… pfeife ich leise vor mich hin, als mein Blick auf einige Bücher fällt, die auf meinem Schreibtisch liegen. Der Roman „Lolita“ von Vladimir Nabokov, als auch Gedichtbände von Gottfried Benn und Peter Rühmkorf, sie inspirieren mich zur Zeit.

Gottfried Benn hatte einst die Theorie aufgestellt, dass am Lebensende nur eine handvoll Gedichte von einem Dichter übrigbleiben, weil diese das besitzen, was ich selber bei meinen Bilder gerne „Stimmigkeit“ nennen möchte. Ein Kanon meiner z.B. fünfzig besten Bilder wäre von mir nicht leicht zusammen zu stellen. Denn wie bei einem Schachspiel, bei dem bereits nach zwei Zügen 72.084 verschiedene Stellungen entstehen können, sind nach ein zwei Farbspritzern oder Strichen auf einem Bild Millionen von Richtungen denkbar, in die ich gehen könnte. Wohin würde ich mich mit innerer Überzeugung wenden? Und ist das auch absolut stimmig? …

Was ist richtig, was ist falsch, was mag ich alles zeigen? „Das sieht man dann“, stelle ich immer wieder fest. Ich meine, wenn das abstrakte Muster mir nicht richtig erscheint, gehe ich einfach weiter… immer weiter meinen Weg. Oder aber – eine äußerst kühne Idee – ich klebe mir einfach direkt das Etikett „The Best“ ins Bild, dann bin ich mir sofort sicher, dass diesem Werk ein Platz in meinem Kanon gebührt… Niemand kann diesem Bild dann seinen Platz in der Kunst mehr verweigern.

Andererseits mag ich meinen Kanon ständig neu sortieren. Und das ist auch völlig in Ordnung. Ich mag das sehr. Also okay, mal abwarten und sehen, was ich am Ende als stimmig erachten werde. Heute sind es jene drei Bilder hier, die mir ans Herz gewachsen sind. So sehe ich das einfach…

(* Gedichtzeile von Peter Rühmkorf)