Ein Künstlerrequiem

„Ich verkaufe mich nicht.“

Andere meiner Zunft verkaufen sich gut und gerne. Gerhard Richter zum Beispiel. 2,6 Millionen Euro erhielt er für ein angeblich nicht übermäßig schönes Bild. Aber, bitte, 2,6 Millionen Euro. Wie viel Fantasie und wie viel Zauber liegen in diesen Worten? Und wie wundersam sind die Geschichten, die der Kunstmarkt schreibt, dieser unglaubliche Dschungel. „Verrat‘ mir das Geheimnis, wie die Menschen ASCHE machen… Das möchte ich so gerne wissen, es war doch abgemacht, sei nicht gemein, von ASCHE träum‘ ich die ganze Nacht. Nun sag‘ mir schon das Geheimnis, komm schon und dann lass‘ ich dich in Ruh, die ASCHE gibt mir die Macht genau zu sein wie du…“, stöhne ich; aber kein Richterspruch erlöst mich von all meinen Zweifeln. „People think I’m crazy, ´cause I worry all the time, if you paid attention, you’d be worried too, you better pay attention, or this world we love so much might kill you, i could be wrong now, bit I don’t think so, `cause it’s a jungle out there…“ Ich könnte Monk sein, ein Mönch, so wie Antonius einer war. Ich ziehe mich in meine Atelierhöhle zurück und verkaufe mich nicht. Nachdenklich lausche ich dem Requiem von Brahms. „Herr Richter, lehre doch mich, ich hoffe auf dich, denn des Herrn Richter Wort bleibet in Ewigkeit…“

wiederfinden widerspiegeln

Um sich von den Zweifeln an seiner Lebenswahl abzulenken schlägt der heilige Antonius, ein passiver, weinerlicher und mit seinem Schicksal unzufriedener Mann, die Bibel an willkürlichen Stellen auf, die nur wieder Versuchungen (u. a. Reichtum, Ruhm, Sexualität) hervorrufen. Antonius ist in der ganzen Welt auch als der Heilige bekannt, der Verlorenes wiederfindet: die alltäglichen Dinge, mehr oder weniger wichtige Dokumente oder auch den Glauben… an Reichtum, Ruhm und Sexualität. Für den Philosophen Michel Foucault sind die „Versuchungen des heiligen Antonius“, so wie der Autor Gustave Flaubert sie beschreibt, ein Bibliotheksphänomen, das „in und durch das Verbindungsnetz des schon Geschriebenen existiert“, ein Prototyp der Traumliteratur. Antonius singt: „Ich sehe die Sterne, ich höre den rollenden Donner … Und führe mich nach Hause, welche Freude wird mein Herz erfüllen / Dann werde ich mich mit demütiger Anbetung verneigen… How great Thou art / How great Thou art…“ Und ich? Ich freue mich, von ganzen Herzen, ihn heute wiedergefunden zu haben, sein Bild, das ich mir einst von ihm machte.

Wärme für die Nacht

„Wie ein Stern den anderen an Helligkeit übertrifft, so übertrifft die Geburt der allerseligsten Jungfrau die Geburt aller Heiligen, denn bereits im Schoß ihrer Mutter wurde sie mit der heilig machenden Gnade ausgestattet.“

BachMadonna

Was für eine Heilige und was für ein Schoß, sag ich nur, was für ein Schoß. Sammelt man hier Wärme für die Nacht?

Passions Of A Man

Achtung: Aufnahme!

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Geboren wurde ich (?), als auch Antonius, vielleicht um 251, in Koma, Mittelägypten. Er, Antonius, ist der Sohn wohlhabender Bauern. Er verschenkt eines Tages seinen gesamten Besitz und steckt seine eigene Schwester in ein Kloster! Danach zieht er sich vollends von der Welt zurück. Zunächst versteckt er sich in einer Hütte in der Nähe seines Dorfes, dann aber verkriecht er sich in einer alten Grabkammer. Am Schluss seiner Einsiedelei lebt er in der Wüste am Berg Kolzin in Sichtweite des Golf von Suez. Während seines Wüstenaufenthaltes wurde Antonius ständig von quälenden Visionen heimgesucht. Es erscheinen ihm die unterschiedlichsten Personen, um ihn von seinem asketischen Leben abzubringen. Warum zum Henker tut jemand so etwas? Ist der Heilige in Wahrheit nur ein großer Schauspieler?

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Und seine angebliche Askese nichts weiter als eine medienwirksame Performance? Antonius als ein egozentrischer Hauptdarsteller seiner selbst… ein Spiegel in einem Spiegel in einem Spiegel… Ein Tänzer, gefangen in einer Glaskugel… oder ist er nur ein gottverlassener Depressiver? Ein Einsamkeitsfanatiker, der seine Selbstausgrenzung aus der Welt nicht als Verbannung darstellt, sondern sie im Gegenteil zu seiner grenzenlosen Erhöhung stilisiert? Antonius, der geborene Künstler, der zu sich selber sagt (ganz leise): „Nicht, was ich habe, sondern was ich schaffe, ist mein Reich.“

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Danke! Und: Schnitt!

Cary Grant = Antonius?

DER BRUDER: Hört mal, Adam erklärt mir gerade, dass für ihn der heilige Antonius wie Cary Grant aussieht. DIE SCHWESTER: Der erotischste Mann Hollywood aus den 4oziger Jahren als Antonius? Das ist ja geradezu himmlich! Den wähl ich sofort. DER BRUDER: Adam, das ist doch bekloppt. Du hast eine Fliege unterm Helm. Völlig bescheuert ist das. DIE FRAU: Heilige müssen ja nicht immer so verspannt um die Augen oder Mund aussehen, finde ich. Immer so verbissene Gesichter wie seiner Zeit Papst Benedikt XVI. Danke, nein. Cary Grant würde mir da auch besser gefallen. Sehr sogar. AARON: Entstellung sollte nicht das oberste Prinzip der Heiligen sein. Richtig! ER (ADAM): Nur die Verfremdung bestimmt die Selbstaussagen des Künstlers.

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Um Erfolg beim anderen Geschlecht zu haben, erzähl ihr, du seist impotent. Sie wird es kaum erwarten können, dir das Gegenteil zu beweisen (erklärt Cary Grant).

Bild 6

>>Das runde Bett! Die Symbolik des runden Bettes „speist sich“, laut Beatriz Preciado in ihrem Buch „Pornotopia“„ aus der traditionellen Funktion, die das königliche Bett bis ins 18. Jhd. hatte … Und zwar liegt er (der König = Cary Grant), im Kreise seiner Untertanen, in einem Bett, das auf einem Sockel ruht…“ Nun, Antonius ist kein König. Er ist der Träumer, der Narr, der sich als melancholischer Sanguiniker zum Zentrum seines Universums macht! Ist Antonius, ein Mann, der nicht erwachsen werden will? Einer „ der in einem Haus voller Kinderspielzeug lebt und einen großen Teil seiner Energie darauf verwendet Kinderspiele zu spielen, der sich wie ein Pubertierender verliebt und entliebt und wütend wird, wenn er Haut auf der Milch entdeckt.“ (???) Ist das so?<< Gary Grant; Geboren: 18. Januar 1904 / Gestorben: 29. November 1986.

Wiederholungszwänge (Skizzen)

„Der Mythos ANTONIUS löst sich, wenn überhaupt, im Fluss unser Medienwelt auf,“ erklärt er (Adam). „Er will gar nichts erklären. Nein. Dieser Un-Heilige, er erklärt sich aber ständig selber.“ Er ist nicht zu deuten. Und er will nicht gedeutet werden. Antonius will sich selber auflösen. „Je schärfer man in an sieht, umso unschärfer wird das Bild von ihm.“

Die Gleichung lautet „Verlust von Unschuld = Aufdecken einer Schuld“.

Meine verdammte Wirklichkeit

(Zum Thema Wirklichkeit folgen hier und heute wieder einmal einige Texte und Bilder aus meinem Manuskript „Die √ersuche“) – ER (ADAM) (V.O.): Wird der Mensch je erfahren was Wirklichkeit ist? Das Leben eine Insel an dessen Rinde man kratzt, um seine eigenen Emotionen freizulegen? Ein Saal voller Spiegel?… Mein Spiel ein Beobachten der Gesichter der anderen… vielen Ichs?

(Musik von Nicholas Lens setzt ein…) NAM SUM TUUS, AMOR  I´M YOURS, LOVE AETERNUM TUUS FUTURUS AND I´LL ALWAYS BE TIBI SEMPER SERVITURUS LOVE IS THE ONLY MASTER I´LL  SERVE SERVUS TUUS SEMPITERNUS FOREVER AND EVER

Aus der Helligkeit des Bildes schält sich das Gesicht der Frau.

DIE FRAU: Was für abgefahrene BILDER! Die können einen ganz schön fertig machen. (Aaron nähert sich von hinten seiner Frau.) AARON: Die Welt ist das Werk eines Gottes im Wahnsinn“, schreibt Flaubert. Als Antonius! (Aaron lacht auf.)

DIE SCHWESTER: Wisst ihr, als was mir Antonius erscheint? Als ein Narr. Ein Outsider. Und die Welt um sich herum definiert er, aufgrund seiner Einstellung, zu Randzonen. Dort legt er seine Strohmatten aus, seine Pappen, auf denen er wie ein Penner schläft. DER BRUDER: Du sagst es. Antonius würde heute auf irgendeiner schmierigen Umzugspappe herum liegen, die er im Straßengraben gefunden hat.

(Meine Versuche gehen weiter und weiter… Auch ich bin dieser Narr und Outsider, von dem hier gesprochen wurde.)

Mein Atelierleben

Was genau ist ein Versuch? Ein Versuch ist nichts anderes als die bloße Absicht etwas zu tun. Diese Absicht führt zu einer in der Handlung liegenden Absicht. Diese Handlung wiederum ist nicht  eindeutig festgelegt. Mein bloßes VERSUCHEN beinhaltet auch, dass ich zwar die Absicht habe etwas zu tun, es aber trotzdem bleiben lassen kann… WIR SEHEN Wile E. Cojote, wie er lässig eine Handgranate in der Hand auf und ab wirft. Dann lächelt er verschmitzt und zieht mit den Zähnen den Stift aus der Waffe und spuckt diesen im hohen Bogen fort. Die Handgranate behält er jedoch in der Hand! …

ER (ADAM) (V.O.): Der Künstler, wie der Cojote, ist ein Narr! Wie schlau er auch immer ist oder auch seien mag, er schafft es doch nie den Road Runner zu erwischen, ihn zu erbeuten. Niemals!

Die Augen des Cojoten weiten sich! Er erkennt, dass er dummerweise den Stift anstelle der Handgranate fortgeworfen hat… BOOM !!! …dann Rauchschwaden. (wenig später) Der Cojote steigt in ein Katapult, das ihn scheinbar direkt auf den Road Runner schleudern soll. Er zerschneidet das Seil mit dem das Katapult noch festgehalten wird. Der Cojote zischt augenblicklich wie ein Pfeil davon! Er schießt jedoch unendlich weit über sein Ziel hinaus und stürzt in eine Schlucht…

ER (ADAM) (V.O.): Der Cojote ist der ewige Narr, der über dem Abgrund zu schweben versteht. Der Narr, der immerzu abstürzen muss. Aber so tief er auch fällt, er kommt, trotz dieser höllentiefen Abstürze nie ums Leben… Was sage ich: Leben?

Die Welt, eine Insel?

AARON: Na, das gefällt dir? Bizarre Landschaften. Grenzen, die sich ohne Probleme zwischen Schein und Sein verschieben. Wunsch und Alptraum wechseln sich ab. Wie auf einem Kinderkarussell. Und dann und wann: eine nackte Frau! Eine Kreatur.

ER (ADAM): Oja. Man fühlt sogleich den Durst nach dem Martyrium.

DIE SCHWESTER: Na denn – Prost, mein Lieber!

Ein Gemälde zeigt die Hütte eines Einsiedlers. Sie ist scheinbar aus Schilf und Lehm gebaut. Sie besitzt ein flaches Dach und keine Tür. Der Himmel über der Hütte ist blutrot. Die Erde schwarz gemalt. Vor dem Himmel heben sich Vögel in einem dreieckigen Zug ab. DER BRUDER (weist auf dieses Detail hin): Sieht aus wie ein Metallstück, an dem bloß noch die Räder fehlen. Wirkt echt surreal.

ER (ADAM): Stimmt. Großartig. Nicht wahr? WIR SEHEN einige Details von Gemälden. Der Heilige steht in einem lodernden Feuer. Teufelsfratzen. Ein Schwein mit Glöckchen um den Hals. ER (ADAM): Der Sau- oder Fackentoni. DIE FRAU: Wie bitte? ER (ADAM): Antonius wurde im süddeutschen Raum auch gerne als der Sau-oder Fackentoni  genannt. Er galt dort als der Schutzpatron der Bauern und der Nutztiere.

DIE FRAU: In Wahrheit war er allerdings der Abtöter der eigenen Bedürfnisse. Ein ganz armer Wicht.

WIR SEHEN Portraits des Heiligen. Verdrehte Augen gen den Himmel. Eine Wüstenlandschaft. Felsen. Dann Zypressen. Rosensträuche. Das ekstatische Gesicht einer Frau. Entblößte Brüste. Ein Eselskopf. ER (ADAM): Wird der Mensch je erfahren, was Wirklichkeit ist? Das Leben eine Insel, an dessen Rinde man kratzt, um seine eigene Emotion freizulegen? Ein Saal voller Spiegel? Mein Spiel ein Beobachten der Gesichter der Anderen… Ichs?