Der Name des Modells ist nicht dokumentiert und der Maler gab dem Werk keinen Titel.

Ich kann so gut verstehen, die… unglaublichen Viren, / So gut, mir ist, als könnt ich in ihre Seelen schauen. / Ich seh um ihre Stirnen die stumme Klage schweben, / Die Qual am langen, leeren, am lebenleeren Leben. / Ich seh in ihren Augen die Lust, sich aufzugeben, / Im Unergründlichen, Verbotenen zu beben / Die Lust am Spiel, die Lust das Letzte einzusetzen, / Die Lust am Sieg und Rausch, am Trügen und Verletzen. / Ich seh ihr Lächeln und die heimlichen, die Tränen, / Das rätselhafte Suchen, das ruhelose Sehnen. / Ich fühle, wie dies drängt zu törichten Entschlüssen, / Wie sie ihre Augen schließen und sich quälen müssen; / Wie sie für jedes Morgen ein jedes Heut begraben, / Und wie sie sich nicht versehen, wenn sie getötet haben. (Nach Hugo von Hofmannsthal – „Erfahrung“)

Das Corona-Paradoxon

In der Welt vor Corona war die Zukunft ein beschriebenes Blatt. Wir konnten uns bis dato an den ewigen Standardverheißungen des Zukünftigen orientieren, die da hießen: Digitalisierung, Klimawandel, Wachstum, Kapitalismus. Nun — durch Corona initiiert — erleben wir einen dramatischen Bedarf an einer ganz neuen Zukunft. Tatsächlich nimmt diese andere Zukunft gerade Gestalt an. Paradoxerweise existiert diese jedoch schon längst. Denn so wie alles an seinem richtigen Ort existiert, so existieren auch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft schon seit Anbeginn, nur jeweils in anderen Zeiten. Nichts ändert sich wirklich, außer wir verändern uns.

 

 

Der Philosoph als Pfleger

Der Mensch, der krank zu Bette liegt (oder in freiwilliger Quarantäne zu Hause hockt), kommt mitunter dahinter, dass er für gewöhnlich an seinem Amte, Geschäfte oder an seiner Gesellschaft krank ist und durch sie jede Besonnenheit über sich verloren hat: er gewinnt diese Weisheit aus der Muße, zu welcher ihn die Krankheit zwingt. (Nietzsche)

Wollen wir`s doch hoffen. (Ich)

Erst wenn wir ein Wort verloren haben, wird uns sein Wert fühlbar.

Innerer Reichtum ohne Fähigkeit innerer Sammlung wäre ein begrabener Schatz. Innerer Reichtum ohne die Fähigkeit einer äußerer Sammlung, keins meiner Tagebücher wäre je gefüllt worden. Aber was soll ich sagen, ich denke, also bin ich in meiner Sprache zu Hause.

Und meiner Sprache gebe ich wiederum einen Rückzugsort in all den unzähligen Aufzeichnungen… ich atme ein, ich atme aus. Sofort füllt sich eine neue Seite.

Hermaphroditos (oder die Mandel, die keine Apfelsine werden möchte)

Seit der Ausbreitung des Corona-Virus stellen sich viele Menschen die Frage nach dem Geschlecht des Virus: männlich oder weiblich? Hier eine mögliche Antwort dazu – mit überraschenden Erkenntnissen. Ursprünglich war Hermaphroditos eine als Gottheit verehrte männliche Form der Aphrodite, Aphroditos genannt. Erst später erhält er den Namen Hermaphroditos. Er steht in der Mythologie für den Jüngling, den die Göttin Aphrodite dem Gott Hermes geboren hatte. Durch das Wirken der Götter wird er mit einer Nymphe verschmolzen, wodurch sein Körper nun männliche als auch weibliche Merkmale aufweist.

Hermaphroditos bedeutet mir die Gestaltfindung einer neuen/alten Vision: die Wildheit zweier Leben. Manche Männer bekommen Angst, sobald sie nur an sich die ersten Anzeichen bemerken, die wir fälschlicherweise den „Wilden Mann“ nennen. Sie hören dann mit jeglicher Wildheit auf und empfehlen auch anderen Schüchternheit und angepasstes Verhalten. Einige dieser Männer werden später Lehrer, Soziologen, Geschäftsleute, protestantische Geistliche, Bürokraten und Therapeuten. Andere werden lieber Dichter oder Künstler. Künstlertum ist die «Weigerung» einer Mandel, die keine Apfelsine werden möchte. Das bedeutet: Künstler sind Frauen, wie andere auch. Beim Robert Koch-Institut heißt es hierzu in einer Stellungnahme „es ist (…) nicht auszuschließen, dass sich das Virus weiterverbreitet“.

Ein neues Jetzt

Falls es jemals ein Gestern gab, so hat es sich meinem Zugriff vollends entzogen. Es existiert nur ein Jetzt, das mich definiert. Ein Augenblick, der sich grenzenlos auszudehnen vermag und gleichzeitig auf ein Nichts zusammen schrumpft. Ich schnippe mit meinen Fingern und ein neues pulsierendes Jetzt entsteht. Ich ist stets ein anderer, haben die Dichter dieses Phänomen beschrieben. Und jedes Ich besitzt sein eigenes Jetzt. Mit unzähligen Geschichten und Andenken. Je älter ich werde, umso mehr stelle ich in meinem Jetzt die Erinnerungen in Frage, die sich in mir angesammelt haben. Woher kamen sie? Gehören sie alle zu mir? Sind sie wahr oder bloße Hirngespinste? Zuflüsterungen, denen ich mich einst entziehen wollte? Die ich dann aber nur allzu gerne verinnerlichte und ihnen Glauben schenkte.

Bin ich tatsächlich dem Meer entstiegen? Bei meinem ureigentlichen Anfang spielte Nässe jedenfalls eine entscheidende Rolle. Alles was ursprünglich war, war feucht. Diese grenzenlose Anwesenheit von Wasser definierte nicht nur mich selbst, sondern zugleich auch den Raum um mich herum. Ich selber war dieser Raum, angefüllt mit erregender Nässe. Aus der Feuchtigkeit heraus erhoben sich kleine Wassertröpfchen. Zunächst drückten die Tropfen sehr langsam und behutsam ihre durchsichtigen Buckel nach oben, bevor sie sich dann endgültig, mit einem Körper, den sie auf einer Seite zu einer Spitze verformt hatten, sich von einem Nichts abstießen, um dann quer zum Raum an mir vorbei zu fliegen. Millionenfach vollzogen die Tröpfchen auf diese Art ihre Geburt und verwandelten sich in einen Nebel, der sich vor meine Sinne schobt. Wegen der völligen Windstille, die um mich herum herrschte, sanken die Nebeltröpfchen ab und schlugen sich allmählich in und auf meinem Ich nieder.

Jetzt.

Der mächtigste von allen Herrschern sei der Augenblick, heißt es. Meine Augen sind auch heute noch mit diesen Nebeltropfen überzogen. In jedem bricht sich das Licht der Zeit, dessen Farbspektrum bekanntlich von Rot zu Violett bis in alle Ewigkeit reicht.

Ich habe genug (vom Schaum der Tage)

Ich habe genug, / Ich habe das Virus, das Bangen der Frommen, / Auf meine begierigen Arme genommen; / Ich habe genug! / Ich hab es erblickt, / Meine Kunst hat Corona ans Herze gedrückt; / Nun wünsch ich, noch heute mit Freuden … ja, was?! Originalität ist eine müde Sache. Ein Künstler, der sich einbildet, er müsse etwas machen, das noch nie zuvor gemacht worden ist, kann einem leid tun… Ich habe genug.

Wild sein heißt nicht verrückt oder psychotisch sein.

 

 

Oh Spieglein / Oh Spieglein an der Wand

… der Prinz ist ganz allein / An der Wand / Da hängt ein Spiegel / Und da schaut er dauernd rein / Und er fragt sich Spieglein / Oh Spieglein / Oh Spieglein an der Wand… Oh im Schneewittchen-Märchen gibt es viele Wünsche. Den Wunsch nach einem guten Ende. Den Wunsch nach einer Auseinandersetzung mit dem eigenen Abbild. Den Wunsch nach Normalität im Ausnahmezustand. Wie würden Sie entscheiden?

Am Tag 42 des Corona-Shutdown: Und so sehen wir betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen.