O, du Weib!

Wenn sie die Liebe erklären sollte, dann benutzte die Frau des Federmachers gerne folgende Worte: „Alles erstarrt! … Man hält einen Augenblick inne … Dann beginnt alles wieder von Neuen.“ 

Ihrem verblüfften Gegenüber, dem sie lächelnd diese Weisheit verkündete, schenkte sie dann nicht selten noch einen Kuss als Dreigabe. O, ihre Lippen! Zarter als Rosen, hieß es. Ihr Mund? Süßer als Honigscheiben. Ihr Kuss aber herber, als der Stachel einer Biene!

Die Sprache der Küsse. Wer verstand sie besser als die Frau des Federmachers?

„In dem Munde eines Weibes ist das Nein der ältere Bruder des Ja.“  Im Munde eines Weibes. Ein Weib! „Ich bin gerne ein Weib!“ sagte sie.

„Ach, ich fühle, ich …erde Gott. (Sie kicherte leise) Ich werde Jeanne d´Arc. Ich bin mein Vater und ich bin zugleich mein Sohn und meine Tochter. Und alle Kriminellen. Ich bin eine Negerin. Eine Zeremonie aus farbigen Stoffen oder nackter Haut. Ich gleiche einem Untier. Jeder Name in der Geschichte, das bin auch ich. Mein Ich ist aus seinem eigenen Zentrum desertiert und hat eine andere Stimme angenommen: Die Stimme eines Rotkehlchen! Die Stimme eines Weibes!“

Sie kreuzte die Arme, legte ihre Hände auf ihren Busen. Und lächelte. Ein Weib! Das Schriftbild dieses Wortes passe besser zu ihr als das Wort Frau, erklärte sie. Frau sei viel zu skelettartig, ein Gebilde kleiner Ästchen, die sich nur allzu wackelig versuchen an einander festzuhalten, meinte die Frau des Federmachers. Das Wort Weib dagegen wäre für sie wie eine Bewegung, ein weit ausholendes Schwingen, ein sattes, weiches Gefühl, ein „Dienst an der Phonetik.“

Das Wort Weib nehme sie wirklich gerne in den Mund. Sie sauge regelrecht daran, fuhr sie mit ihren Ausführungen fort. Und zwar solange, bis sich die innere Schönheit des Wortes in ihren Mund ergieße. Nach dieser Erklärung musste sie selber lachen! Vielleicht waren die Zuhörer nicht ganz unschuldig an ihrer maßlosen Freude.

Denn je ungläubiger man ihr, meist mit offenem Munde, lauschte, umso lauter wurde ihr Lachen. Man hätte einen schützenden Mantel aus ihrem warmen Lachen nähen mögen. O, dieses Lachen; diese Frau! Fast war man geneigt hinter beidem einen Abgrund zu erahnen. Doch wenn, dann wäre es mit Sicherheit ein Abgrund gewesen, der angefüllt wäre mit abertausenden von Rosenblättern, zusammengenäht mit dem Speichel ihrer Küsse. O, was für ein Weib!

… zusammengenäht mit dem Speichel ihrer Küsse. O, du Weib!!!

Schatten

„Das Leben verfolgt uns wie unser eigener Schatten. Nur wenn alles Schatten ist, ist kein Schatten. Das Leben verfolgt uns nur dann nicht, wenn wir uns ihm ausliefern.“ (Fernando Pessoa; Das Buch der Unruhe)

(Fotos aus: Philosophie; arte TV)