Mein Bild hat viele Saiten

Wenn ich mich hier ausstelle / Wenn ich mich präsentiere / In meinem Buch wie in einer Show / Wenn ich mich in meinem Ausstellungsraum ausziehe / Dann zeige ich mich völlig anders / Als es Reklamedisplays es für gewöhnlich tun / Ich zeige mich nämlich nicht nackt / Ich stelle mich vielmehr aus / Dabei lasse ich keine Spuren zurück / Noch stelle ich Wegweiser auf / Ich bin einzig und allein / Bin ein So-Sein / Eine Utopie / Weil ich mich zeige ohne zu zeigen / Ich zelebriere die Zwecklosigkeit meiner Kunst / Losgelöst von Kontexten und Erklärungsbemühungen / Meine Kunst ist kein kommunikativer Akt / Sie spricht / Wenn sie denn spricht / Mit der Stimme Scardanellis / Oder tschecho-slowakischer Surrealisten / Wie Konstantin Biebl, Vratislav Effenberger, Zedena Holubová und anderen / ihre teuren Scherben / zerfielen in mir / wie ein Soldat der über einen Friedhof pirscht / und in den Blumen Spuren hinterläßt (Rudolf Fabry)

 

Veröffentlicht unter Kunst

Wundersame Knospung

Seit geraumer Zeit ergänze ich ältere Werke von mir. Nicht, weil sie mir in irgendeiner Form unperfekt erscheinen, eher weil sie darauf gewartet haben, dass ich den Dialog mit ihnen jetzt weiterführe… Eine Mappe beschrifte ich mit meinem Credo:

So betrachtet begegne ich mir selber auf zahlreichen Feldern aus Papier. Dabei komme ich aus einer neuen Richtung, aus einer anderen Zeit, bringe Dinge mit, von denen ich früher nichts ahnen konnte. Die beiden Ichs spielen ein Spiel vor mir…

… als mein zukünftiges Ich betrachte ich dieses bedingungslose Tun mit Freude.

Eine eigene Zeit

Blicke ich auf mein Werk, dann wird mir mehr und mehr deutlich, ich stelle nicht meine Zeit aus. Vielmehr stelle ich mich selber in der Zeit aus. Manche werden sagen, ich ticke ja nicht richtig. Aber nur aus deren Perspektive betrachtet verläuft meine Zeit scheinbar anders, wirken meine Bilder wie aus der Zeit gefallen. Jeder von uns altert halt auf seine ganz eigene Art und Weise. Ich tue das durch ein Sammeln, ein Konservieren, ein Erforschen. Denn dies gehört zu meinem Ausstellungsrepertoire. Ebenso das Kuratieren, ein Vermitteln und Zeigen. Doch wo genau liegt der Erkenntniswert meiner Kunst? Im lebenden Körper verborgen oder auf dem Seziertisch ausgebreitet? In einem Traum wandel ich durch meine eigene Ausstellung, vorbei an beleuchteten Vitrinen und aufgereihten Bildern, geschmackvoll arrangierte Sockel präsentieren die Schätze, die auf einer langen Forschungsreise gesammelt wurden, um das eigene Ich zu entdecken.

„Macht mich anschaubar“ sage ich zu meinen Werken. „Aber nicht durchschaubar“ füge ich hinzu.

Poetisch wankelmütig

Die eigene Zeit ist mir eine Asservatenkammer von sichergestellten Begehren, Ängsten, Kinderanalysen, Aggressionen, Schuldgefühlen, Lüsten, Traumata; zugleich eine Inventarliste von immateriellen als auch materiellen Vermögenswerten in Form all meiner Bilder, all meinen Zeichnungen, den Collagen… meinem gesamten Werk: Positionen (dem Kamasutra gleich), mein Standort (im Atelier), Modell- & Seriennummer, mögliche Titel, Bemerkungen zu Gewicht und Aussehen, alles wird vermerkt, alles wird versucht wahrzunehmen. POWER AND PSYCHOTHERAPY TO THE PEOPLE, right on / Say we want an revolution / Singing / Power and Psychotherapy to the people…

„Blick ins Dunkel“ schrieb ich 1986 auf ein großes Stück Papier und ergänzte das Blatt (nur wenig später – fast im selben Augenblick) im Jahr 2024 mit „Ich liebe dich“. Meine Kunst zieht sich auf sich selbst zurück. Nur so besiegt sie mein Gefühl von Ohnmacht.

Schicksal

Direkt am Frühstückstisch steht ein Koffer / Niemand weiß wer ihn wann dort abgestellt hat / Neugierig äuge ich in seine Tiefe  / Zahlreiche Zeichnungen entdecke ich / Ablagerungen von meinen Lebens-Jahrzehnten / Wollen Sie dass ich dies alles neu sortiere / Eine Frage an die Dame Fantasie gerichtet / Selbstverständlich / Ich kümmere mich drum / Eine Antwort / Schon etliche Male in meinen Tagebüchern erwähnt / Die Dame Fantasie führt meine Finger an ihre Haut aus Papier / Sie haucht meinen Zeichnungen neues Leben ein / Sie bläht die Arbeiten wie Segel auf / Ich löse Farben aus ihrem Kokon / Fahre mit meinen Fingerkuppen über die Auslagen der Zeit…

Kultur ist mir ein verlängertes Bühnenpodest ohne Geländer geworden.

Neu sortieren

Was blindlings aufs Papier geschleudert erscheint / Ist ein Bettelbrief an sich selbst / Ein Betteln um Erkenntnis / Nicht durch experimentelle Versuchsanordnung von Wörtern und Sätzen / Eher von einem Umstellen des Inventars der eigenen Erinnerungen / Ein neues Sortieren nach nunmehr 61 Jahren / Der Künstler als ein Poker-Dealer eigener Lebensjahre / Der die Karten vor sich verteilt / Und das Geschehen beobachtet / Ein Leben was er mit Kunst gleichsetzen möchte / As  König  Dame  Bube / 10  9  8  7 / Kreuz  Pik  Herz und Karo / Werden die Karten in falscher Reihenfolge vergeben oder versehentlich einzelne Karten offen gezeigt sprechen wir von einer Biografie…

Der eigentliche Kartengeber / Der Künstler / Muss die Karten seiner Erinnerung stets neu mischen / Abheben lassen / Und dann neu verteilen… in einer Endlosschleife.