Analyse und Gemüt

Bin ich das Sichtbarwerden durch das Dagewesene? Verdammt, wer bin ich, dass…? Ich verstehe die Frage nicht einmal. Ich liege doch bloß da. Auf Mutters Pelzmantel und Vaters Morgenmantel… dies sind die eigentliche Leinwände für meine Kunst; das Innenfutter meiner Seele.

Der lebensbejahende Mensch ist der, der sich nicht nur mit dem, was war und ist, abgefunden hat, sondern es, so wie es war und ist, wieder haben will, in alle Ewigkeit hinaus. So schreibt Friedrich Nietzsche. Und Rainer Maria Rilke setzt hinzu: „Zwar manche sind an Wagen angespannt, / doch alle haben Mut in ihren Mienen; / ein böser roter Löwe geht mit ihnen / und dann und wann ein…“ Ein was? Vielleicht ein gutes Bild? Ein guter Gedanke? Eine Idee?

Liebe.

Mein Wohlgefallen

Junge Menschen altern links und rechts an mir vorbei. Gleichaltrige verurteilen mich und weisen mir allenfalls noch einen Platz an einem Katzentisch zu. „Nein“, sage ich. „Dahin kehre ich nicht zurück“. Ich werde nämlich garnicht, wie gerne behauptet wird, inzwischen von jedem x-beliebigen Achilles (oder wem auch immer) überholt. Mitnichten, ich werde nicht einmal eingeholt. Viel eher ist es so, dass man an mir förmlich vorbeirast, mit einem heiseren und gekeuchten „Too late, too late,“ auf den spröden Lippen. Für das menschliche Auge habe ich meine Bewegungen scheint´s so verlangsamt, dass ich unsichtbar für die Anderen geworden bin. Jedes Bild von mir erscheint deshalb nur regungslos zu sein. Nein, es dauert an…

Vielleicht ist es auch so, dass ich mich noch nicht entschieden habe, einer bestimmten Realität anzugehören. Und genau deshalb bin ich, wie meine Bilder, paradoxerweise an allen möglichen Orten vermutbar. Und das mit jedem Wimpernschlag. Für die meisten Menschen währt solch ein bloßer Augenblick bekanntlich nur eine sehr kurze Zeitspanne, dann ist alles wieder vorbei. Dabei dehnt jedes Bild von mir solch einen einzigen, kurzen Augenblick bis in alle Ewigkeit aus.

Albumblatt für den König der Provinz

Dieses Albumblatt ist ein wahres Charakterstück. Ursprünglich als Eintrag in mein Album bzw. Stammbuch gedacht, entwickelte es sich zu einer Bezeichnung für eine kleine, feine Komposition in freier Natur. Mit Staubsauger.

Ich kann es nicht mit Sicherheit behaupten, da müsste ich schon eine Koryphäe wie C. G. Jung interviewen, aber nach Tokyo, New York, nun eine Ausstellung im Museum Zentrum für verfolgte Künste in Solingen… will sagen: Provinzen liegen mir wohl einfach am Herzen.

Bach spielt Bach

Ich weiß, dass Reisen im 18. Jahrhundert mit großen Strapazen und Gefahren verbunden waren. Denn die Reisegeschwindigkeit mit den damaligen Postkutschen betrug im Durchschnitt nur 4,5 km in der Stunde. Im Schnitt wohl bemerkt. Und auf unbefestigten Straßen war man zudem stets der Witterung und nicht selten sogar Straßenräubern ausgesetzt. Johann Sebastian Bach, nur so zum Beispiel, unternahm im Laufe seines Lebens mindestens 60 Reisen, die ihn von Thüringen bis Norddeutschland, sowie nach Hessen und Böhmen führten. Als ein „eingebildeter“ Nachfahre des großen Komponisten nenne ich meine Programme und BLOGeinträge deshalb auch gerne „Bach spielt Bach“. Ich schiebe dazu immer ein Klavier vor mich her und ergötze mich schnell an den lodernden Erwartungen meiner Beobachter und Zuschauer, den Voyeuren auf den hinteren Plätzen oder zwischen den Buchsbaumhecken in der Nachbarschaft.

Bach spielt Bach_Detlef Bach 2016

Gerne zitiere ich in meinen Programmen Belege, wie zum Beispiel Gasthofrechnungen und Quittungen, die Johann Sebastian Bach seinerzeit auf seinen Reisen gesammelt hat. Die Beobachter im Gebüsch zischeln enttäuscht: „Ungeil!“ Und: „Das bringt mich echt nicht weiter“. Nun…. mich auch nicht! Unterhaltungs-Programme sollten einen aber immer weiterbringen. Wie auf einer Reise. Obwohl… ich bin mir nicht so sicher. Meine Damen und Herren, man sagt das immer recht schnell daher, und wie ich meine, zudem äußerst leichtsinnig: Reisen bildet. Oder mit anderen Worten: Reisen machen schlau. Aber diese Annahme ist falsch. Das ist ganz falsch. Ich habe das regelrecht ausprobiert. Ich hatte mir, einfach mal nur so zum Beispiel, vor Jahren New York angeschaut. Sie wissen schon: New York, dieser magische Ort der Verzauberung. New York: eine Stadt, bekannt aus Comicverfilmungen, Hörfunksendungen und Fotografien, die Bekannte einem immer zeigen, wenn die schon mal in New York waren. Immer nur zum Shoppen, wie sie dann hinterher immer sagen. Immer nur zum Shoppen. Einkaufen kann ich ja in jeder Umgebung. Aber Shoppen? Shoppen: Das ist New York! „Ich fliege mit zwei leeren Koffern hin. Und komme mit zwei vollen Koffern heim.“ Das nenn ich New York. Und die weltberühmten Gebäude! „Die musst du gesehen haben. Unglaublich!“ Da kann man mal wieder sehen, wie schnell jeder von uns von Thüringen nach New York kommt. In 352 Wörtern. Ach, wissen Sie was: „New York ist ungemütlich und anstrengend. Aber die New Yorker sehnen sich von der Veranlagung her nicht nach Behaglichkeit und Komfort – sonst würden sie anderswo leben.“ In Wuppertal zum Beispiel, über das Heinrich Böll einmal schrieb: “Lange Zeit habe ich geglaubt, Wuppertal bestehe nur aus Bahnhöfen, aneinandergereiht, um die Lokführer nicht übermütig werden zu lassen, sie das Bremsen, Anfahren, Bremsen zu lehren.“ Okay… okay… Jeder hat so seine eigenen Vorstellungen vom Reisen. Für den einen ist der Gang in die Küche oder das Schlafzimmer schon ein wildes Abenteuer. Für einen anderen muss es eben New York sein, um sein Glück zu finden. Wegen mir. Sehen Sie, Christoph Kolumbus fand Amerika. Ich dagegen bin schon zufrieden, wenn ich spät abends eine Frikadelle im Kühlschrank entdecke. Die Geschmäcker sind nun einmal verschieden. Der eine nimmt ein Schiff und kommt mit vollen Koffern heim. Ich nehme lieber Senf. Und so, wie der Senf gerne im 17. Jahrhundert ungefragt zum Essen serviert wurde, so verhält es sich auch heute noch mit Menschen, die ihre Meinung kundtun, obwohl diese gar keiner hören möchte. Man gibt „seinen Senf dazu“. Oder um mit Immanuel Kant hier enden zu wollen: „Meinen geliebten Senf rühre ich ja bekanntlich selbst an.“ Und mache daraus einen Artikel wie diesen hier.

(Foto: Bettina Osswald; www.photographie-osswald.de)