Wie man wird, was man liest

Es war, glaube ich, die Autorin Siri Hustvedt, die einmal schrieb, dass alle Bücher, die sie jemals gelesen habe, egal, ob sie sich noch an alle einzelne Texte erinnern könne oder auch nicht, sie in ihrer Entwicklung geprägt hätten. Das sehe ich ebenso. Ich weiß sogar noch, dass es vorallem das Kinderbuch „Ferdinand“ von Munro Leaf war, was mich schon früh und nachhaltig beeinflusste. Obwohl… ich bin mir sicher, dass ich zuerst den Kurzfilm „Ferdinand“ aus dem Jahr 1938, basierend auf dem gleichnamigen Kinderbuch von 1936, in einem der damaligen drei Fernsehprogramme gesehen hatte. Lang ist´s her. Bild und Text klangen & klingen auf alle Fälle für mich nach, vergleichbar einem Glockenton, der einmal erzeugt, in alle Ewigkeit zu klingen vermag… bis ins Jetzt hinein. Immer noch schaue ich Fernsehen, immer noch haben einzelne Sätze aus dem Buch „Ferdinand“ ihre Gültigkeit für mich…

Meine Wahnheit und nichts als die Wahnheit

I don’t wanna talk / About things we’ve gone through / Though it’s hurting me / Now it’s history … Kulturelle Zwänge werden nämlich heutzutage gerne abgelegt, die Gesellschaft verliebt sich eher in ihre eigene unkultivierte Authentizität. Nun, da muß ich ja nicht mitspielen. Und so bleibe ich auch gerne bei meinem Unbehagen, sprich bei der Kultur, hängen. Wie auch an der Kunst, die ich so gerne als einen Teil meiner Kultur ansehe. Kunst ist für mich ein Instrument, auf dem ich immer nur „liebevoll-beschränkt“ spielen kann… Das Schicksal von Kunst ist es, denke ich immer, wenn sie sich auf die Bühne einer Öffentlichkeit wagt, sofort in einem Wettstreit überboten zu werden. Die Öffentlichkeit sucht den SUPERSTAR. Ein kleiner Stern, noch dazu am Rande eines unbekannten Universums, ist völlig uninteressant. Soll sein. Wollust und Grausamkeit kann ich deshalb auch ohne Scham die Aszendenten von meinem pittoresken Sternenherz nennen. Erregt so etwas wirklich die Gemüter? Würde eine Öffentlichkeit mich deswegen vorführen, düpieren, mir die Eingeweide einer antiquierten Wunschvorstellungen herausreißen? Oder  mich an den medialen Pranger einer Talkshow stellen? THE WINNER TAKES IT ALL… Mag alles sein. Nur meine Seele bekommt die Öffentlichkeit nicht. Sie sitzt dort, wo sich Innenwelt und Außenwelt berühren. Und etwas berühren heißt hier, das mir etwas bedeutet. Mit anderen Worten: ich entblöße mich in jedem Bild / dafür muß ich mir sogar die Haut abziehen (lassen, wenn ich nicht Obacht gebe und meine Deckung verliere)…

Ich bin nackter als ein Exhibitionist je nackt sein kann / und werfe so die Frage nach der nackten Wahrheit auf / und dies / ungeeignet für jeglichen Wettstreit / aber einer sinnlosen Tortur wie Kunst eben nicht abgeneigt / Verrückt / so ziehe ich meine Kreise / durchlaufe Verwandlungsprozesse / Frösche werden zu Schmetterlingen / und diese wieder zu Raupen, die auf Pilzen sitzen und Pfeife rauchen…

„Wer bist du?,“ erkundigt sich die Raupe gelangweilt und mit schläfriger Stimme. „Ich weiß es nicht genau,“ lautet meine immer gleichlautende Antwort. „Denn ich bin nicht ich; es ist reichlich verwirrend, in einem einzigen Leben so viele verschiedenen Körpergrößen zu haben.“ „Du wirst dich im Laufe der Zeit daran gewöhnen,“ sagt die Raupe und schiebt sich die Pfeife wieder zurück in den Mund, um genüßlich zu paffen und dann den Rauch auszuatmen. So verweht die Zeit um mich herum und ich mit ihr. Mir reicht das voll uns ganz… so lautet meine ganze Wahnheit…

Märchenanalyse

„Dein Bräutigam Froschkönig / Fährt mit Dir / … / Zwischen zwei / Weltuntergängen / Preßt er sich / In Deinen Schoß“ (Gedichtzeilen von Marie Luise Kaschnitz)

Die Geburt der Venus aus dem Geiste moderner Musik (wie z.B. von John Zorn)

Wer zu einem Therapeuten geht, den treibt ein Leidensdruck dorthin. Mit solch einem Gefühl sollten wir uns auch (un)ruhig der Kunst nähern… auf der ewigen Suche nach dem Hellen, dem schönen Schein, den friedlichen Traum, aber gleichzeitig auch der grenzenlosen Enthemmung, dem geilen Rausch, dem Ausbruch unserer dunkelsten Urkraft. Wir könnten Friedrich Nietzsche zum Tanz auffordern, zur Musik von John Zorns FOR YOUR EYES ONLY, 12´56´´…

Wegen der Rose begießt man die Dornen

Es gab eine Zeit, wo das Wünschen noch geholfen hat. In dieser Zeit unterlegte man Beiträge zur Kultur im Fernsehen (!) stets mit der Musik von Erik Satie. Heute wird stattdessen lieber Ludovico Einaudi gespielt, damit wir sofort hören und verstehen können: „Guck an, da geht es um Kultur.“

Ich habe jedoch auch schon ab und an bemerkt, dass Beiträge zur Kultur sehr gerne mit dem Soundtrack des Films „Inception“ (Musik von Hans Zimmer, wem auch sonst?) markiert werden. Soll dies bedeuten, dass es sich bei Kultur um einen Traum im Traum handelt? Und dank der Musik ist es uns möglich, in unsere Träume und somit in das Unterbewusstsein von uns Menschen einzusteigen?

Es gab ebenfalls eine Zeit, in der Marie Luise Kaschnitz schrieb: „Nicht gesagt / Was von der Sonne zu sagen gewesen wäre / Den Teufel nicht an die Wand / Weil ich nicht an ihn glaube / Gott nicht gelobt / Aber wer bin ich daß“. All diese Zeiten sind vergangen. Manchmal macht mich der Verlust richtig traurig, auch ein ganz kleinwenig zornig…

… dann möchte ich malend etwas zurechtrücken. Aber wer bin ich daß