Komm auf die Schaukel

Komm auf die Schaukel / Es ist ein großes Plaisir. / Du fühlst dich im Paradiese / Und zahlst nur ne’n Groschen dafür…   Was will man mehr?

Eine Schaukel ist bekanntlich ein launiger Hängesitz, mit dem man hin- und her schaukeln kann. Schaukeln stehen häufig auf Kinderspielplätzen oder (wie hier) in einem Lustgarten. Das Schwungholen erfolgt meist durch Streck- und Beugebewegungen mit den Armen und Beinen oder durch Abstoßen von einem festen Punkt. Es gibt Schaukeln für Kinder, als auch für Erwachsene. Wie zum Beispiel für Jean-Honoré Fragonard, einem französischen Maler, Zeichner und Radierer des Rokoko. O, er liebte das Schaukeln. Auf den ersten Blick scheint die Schaukel von Fragonard ja ein recht einfaches Bild zu sein. Doch dann wird klar, dass das Bild auch anders gemeint seien könnte. Denn während die Dame auf der Schaukel immer höher und höher „reitet“, lässt sie ihren Bewunderer ihr Kleid sehen – und sein Blick könnte so am Ende auch zwischen ihre Beine gleiten. „Was bin ich heute wieder für ein Schelm!“, würde der Künstler Fragonard sicherlich dazu gesagt haben. Aber die ‚subversiven Elemente’ Fragonards werden in heutiger Zeit geschickt gesellschaftlich integriert. Die ‚Widerspenstigen’ werden ‚gezähmt’ und die subversive Kraft ihrer Werke gebändigt. Auch könnte die These aufgestellt werden, dass die moderne, kapitalistisch ausgerichtete Demokratie ihrerseits Subversion gegen subversive Kunst betreibt. Tja, denke ich, schaukel ich halt weiter friedlich durch die Kunstgeschichte, um mein Bedürfnis nach selbstgenügsamer Erregung zu stillen.

Übrigens – Meine Frau und ich, wir lieben dieses gemeinsame Schaukeln des Lebens… Wir sagen uns ständig ins Ohr: ich schaukel dich her und hin und zeig dir nachher auf der Wiese, wie gut ich dir bin.

Die Liebenden (Venus & Adonis)

Mit Purpurantlitz, eilt‘ Adonis schon, / Der rosenwangige, zu des Jagens Wonne;  / Jagd liebt‘ er, doch der Liebe lacht‘ er Hohn. Von Liebe siech, tritt Venus ihm entgegen / Und wirbt um ihn, wie kecke Werber pflegen. »Du, dreimal schöner, als ich selbst,« begann / Die Liebliche (Venus) mit buhlerischem Kosen, / »Süß über alles, holder als ein Mann, / Mehr weiß und rot, als Tauben sind und Rosen; / Sich selbst besiegend, da sie dich vollendet, / Sagt die Natur, dass mit dir alles endet…“  Er (Adonis) drückt die Nas‘ ihr, gibt ihr Backenschläge, / Krümmt ihre Finger, ruft: »o woll‘ erwachen!« / Reibt ihre Lippen, sinnt auf tausend Wege, / Was er verdorben, wieder gut zu machen; / Küsst sie – und sie, geschäh‘ nur ihr Gelüste, / Erhöbe nie sich, dass er immer küsste…

Dies alles gibt es also

Meine Atelierwand könnte ich durchaus als Salonhängung bezeichnen. Also eine besonders enge Reihung von Gemälden oder, wie in meinem Fall, von Fotografien, Postkarten, Zeichnungen und diversen Objekten. Die Salonhängung zielt, so sagen Kritiker, bekanntlich darauf ab, den Betrachter durch die schiere Menge der versammelten Kunstwerke zu beeindrucken. Objekt der Bewunderung ist letztlich nicht das einzelne Bild, sondern derjenige, der über die Mittel verfügt, sich so eine Sammlung zusammenstellen zu können. Die heute gebräuchliche, weitaus sparsamere Hängung von Bildern lässt das Einzelkunstwerk (und den Künstler) stärker hervortreten. Was absolut okay ist.

Wie dem auch sei: ich finde es schlicht schön, wenn´s so üppig ist. Als barocker Minimalist liebe ich meine kleine Atelierhängung. Es ist, als ob ich (m)eine Geschichte vor mir sehe. Manchmal denke ich, die Atelierwand verrät viel über mein eigentliches Werk.

Im Entwurf, da zeigt sich das Talent, in der Ausführung die Kunst

Berühren sich die Zeigefinger Gottes und Adams auf Michelangelos berühmtem Deckenfresko in der Sixtinischen Kapelle? „Die meisten Leute glauben, sie berühren sich. In 80 Prozent der Literatur und sogar auf der Homepage des Vatikans ist von einer ,Berührung‘ die Rede“, sagt David Hornemann von Laer. Der 1971 in Hamburg geborene Kunsthistoriker, der an der Universität Witten/Herdecke lehrt, hat über das Deckenfresko seine Habilitationsschrift verfasst und wirft einen erfrischend direkten Blick auf das berühmte Bild. Er schreibt klipp und klar: In Wahrheit berühren sich die Finger nicht. „Darin liegt gerade die Spannung, die Dramatik des Bildes“, sagt der Wissenschaftler. Gewiss strecken sich Gottes und des Menschen Hand einander entgegen, gewiss weisen ihre Fingerspitzen aufeinander zu – doch da ist eine Lücke, ein synaptischer Spalt zwischen ihnen. Er mag winzig erscheinen, und dennoch ist er da. Michelangelo selbst, heißt es, war sich des Abstands zwischen Gott und Mensch sehr bewusst. Das Bild zweier Hände, die sich einander entgegenstrecken, wird im Laufe der Jahrhunderte jedoch zum Pars pro toto (= Ein Teil [steht] für das Ganze). Und wie selbstverständlich ist heute oft von einer Berührung der Finger die Rede. Dazu der Kunsthistoriker Ross King: „Die Berührung der beiden Hände wurde zu einem Leitgedanken, zu einer Art von Grundton für das gesamte Fresko.“ Vielleicht aber, so überlege ich, soll das Bild überhaupt keine Berührung zeigen, sondern vielmehr eine Zurechtweisung. Gott ermahnt Adam, dass es unhöflich ist und als eine Bloßstellung verstanden werden kann, in der Öffentlichkeit mit dem Finger auf jemanden zu deuten. „Man zeigt nicht mit nacktem Finger (und schon gar nicht, wenn man völlig nackt ist!) auf einen angezogenen Mann.“ Ich bin mir zudem sehr sicher, dass, wenn Gott mit einen zarten Geste einen Menschen erschafft, seine ausführende Handhaltung eine völlig andere wäre…

(M)eine kleine Kunst-Geschichte

Ist diese Geschichte eigentlich bekannt? Mosby Harvey Junior (seinerzeit Vize Präsident von der Firma Firestone) war Gast auf einer Kunstparty und fand dort Gefallen an einem „echten Bach“. Er fragte andere Besucher, wer denn der Erschaffer eines bestimmten Bildes sei. Niemand konnte ihm weiterhelfen und fast hatte er schon aufgegeben, als ihm der Wohnungsinhaber sagte: „Ach, das ist der Bach. Der versteckt sich da drüben hinter der Chaiselongue.“ Detlef Bach war damals nicht gerne unter fremden Menschen und außerdem hatte er Angst, dass ihm jemand ein Bild weg kaufen wollte. Das war ihm nämlich schon einige Male passiert. Mosby Harvey Junior jedoch kroch zu Detlef Bach hinter die Chaiselongue und da lagen die beiden nun eine geraume Zeit stumm nebeneinander. Irgendwann fasste der Amerikaner sich ein Herz und sprach Detlef, der bis dato mit dem Gesicht zur Wand gelegen hatte, an. Erstaunlicherweise entwickelte sich recht schnell ein angeregtes Gespräch zwischen den beiden liegenden Männern; sie unterhielten sich über den Härtegrad diverser Bodenbeläge, über merkwürdige andere Besucher, und über die Bilder dieser eigenartigen Ausstellung. Dabei lenkte Mosby das Gespräch immer wieder auf dieses eine bestimmte Bild von Bach.

Ganz nebenbei versprach Mosby Bach einen Satz nagelneuer Reifen und obwohl Bach gar keinen Führerschein, geschweige denn ein Auto besaß, verkaufte er im Gegenzug sein Bild. Mosby wollte das Kunstwerk nun so schnell wie möglich nach Amerika transportieren, weil er fürchtete, dass es in dieser Wohnung über kurz oder lang Schaden nehmen würde. Nun war dies aber kein Bild, das man mal eben unter den Arm klemmt und mit in den Flieger Richtung Ohio nimmt. Das Ding war verdammt groß und man fragte sich, wie es überhaupt an der Wohnzimmerwand befestigt werden konnte. Jemand, der sich um den Transport des Bildes nach Amerika kümmerte, musste her. Da traf es sich gut, dass im Nachbarhaus eine Spedition residierte, deren Chef sich des sensiblen Falles auch gerne annahm. Mosby Harvey Junior und Detlef Bach trafen sich also noch einige Male, um mit Lukas, dem Speditionsführer, Details zu planen.  Alles ging gut, das große Bild kam wohlbehalten in Ohio an und hängt heute im Akron Art Museum. Mosby Harvey Junior ist mittlerweile verstorben. Ob Lukas auch heute noch Bilder durch die Welt transportiert, wissen wir nicht. Sie können ja mal im Branchenbuch nachschauen: Die Spedition hieß Lukas Cranach. Zufall?

(Ach, diese Geschichte erzählt mein Freund Andy Dino Iussa doch immer wieder gerne. Und er darf das. Denn er hat sie aufgeschrieben.)

Projektionen, Spekulationen, wilde Interpretationen und intellektuelles Pigmenträtsel zum Bild „Die Infantin als junge Frau“.

„Erwachsene müssen sich daran gewöhnen, Waisen zu sein“. Und „Man suche nur nicht zu viel hinter den Phänomenen: sie selbst sind die Lehre“, (frei nach J. W. v. Goethe). Das nachfolgende Bild wurde, von Anfang an, gerne als naturalistisch oder realistisch charakterisiert: „it is reality, not painting“, schrieb man mir. Théophile Gautier knüpfte z.B. 1862 daran gar erotische Assoziationen. Und nach der Erfindung der Fotografie 1839 attestierte man dem Bild alle Qualitäten eines modernen Fotos als Reproduktion von Wirklichkeit, die keine Frage offen lasse, als „Triumph des Realismus“. Zahlreiche normative Annahmen zur Bildrezeption (wie z.B.: „hat das Gefühl“, „springt das Auge des Betrachters“, „gerät der Betrachter in vibrierende Unruhe“) führen nach wie vor zu der These, dass der Betrachter von mir als Künstler mit diesem Bild bewusst irregeführt werde. Vielleicht. Gleich nach Michel Foucaults befremdlichen Aufsatz „Les Suivantes“ (= das weibliche Gefolge) oder „Die Hoffräulein“ (Las Meninas) von 1965/66 zu Velázquez‘ berühmtem gleichnamigen Gemälde von 1656 erfuhr auch mein Bild hier die verschiedensten Einschätzungen: “Wahrheit, nicht Malerei“, “Neues Capriccio’‘ oder auch “Wirklichkeit … wie sie zu sein scheint’’.  Man ’springt‘  bei mir, anders als bei Velázquez sozusagen direkt voll ins Bild, direkt auf die ‚Zentralfigur‘ der Infantin zu. Faszinierend wie sehr unsere Blicke sich verändern, wenn wir statt der kleinen Margarita nun eine junge Frau sehen.

Das Licht in meinem Bild „tob(e)“ in sich selbst und finde gleichsam dort “seine Ruhe“. Ähnlich ambivalent schätzt man den Hintergrund als „nah und grenzenlos“ (weit?) ein, vor dem eine „hohe [warum?] Silhouette eines Mannes’‘ erscheine, teilweise im Halbprofil. Weiter meinten Bilddeuter, dass der Mann im Türrahmen das Gewicht eines Vorhangs halte (oder ihn teilweise zur Seite schiebe) in einer auf zwei Stufen verteilten (zu ergänzen: kontrapostischen) Fussstellung. Es ist ihnen nicht klar, ob der Unbenannte ins Zimmer oder den Hauptraum herabkommen oder in dem Treppenkorridor verbleiben will, um wohl zu sehen, aber nicht um gesehen zu werden. Der Philosoph Reinhard Brandt vermeinte jüngst: das Bild sei eigentlich gar kein Bild, sondern eine sich selbst reflektierende Wirklichkeit… die Szene sei kein Schnappschuss vom Porträtieren, sondern „Gedankenspiel und Kunstwerk“. Auch gut. „Las Meninas“ gilt als ein Bild für einen König. Bei mir ist jeder Betrachter König und/oder Königin. Ja, es geht um geheimnisvolle Besucher. Es geht um das Modellstehen der Infantin. Geht es zugleich aber auch um eine wahre, fixierte Szene? Wenn ja, wo bleibt am Ende das eigentliche (Kunst)Geheimnis? Dies liegt wohl in der Stimmung, dem Ausdruck, in dieser sehr offensichtlichen Privatheit des Bildes … Aber vor allem will ich zum Schluss eines sagen: all diese von mir zusammengeklaubten Zitate missbrauchen das Bild als Beleg oder Demonstrationsobjekt für eigene, ganz andere Probleme und Themen, die mit dem Gemälde selbst überhaupt nichts zu tun haben. Voyeurismus ist bekanntlich nicht die langweiligste Weltanschauung.

Unermesslich reiche oder arme…

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Eine junge Frau strahlt mich an. Sie trägt ein schwarzes T-Shirt, auf dem das Wort „Hyperion“ prangt. „O, Hölderlin“, eröffne ich wohlwollend das Gespräch. „Wer?“, ernte ich als Antwort und wir finden nicht weiter zusammen. Die Kluft der Generationen, der Abgrund zwischen Ideal und Wirklichkeit, ist wohl doch unüberwindbar. Jeder bleibt auf seiner Seite des Grabens stehen. Ich mit Hölderlin. Die junge Frau mit einem schmucken T-Shirt. Der Rest ist Schweigen.

 

Die Würze des Lebens

(Ort: Ein kleines italienisches Eiscafé in Wuppertal-Elberfeld. Wie schon oft in der Vergangenheit treffe ich mich dort mit meinem alten Freund Arno Schmidt, um mit ihm über Kunst zu debattieren. Über die Bilanz des Lebens, Träume und andere Ausweglosigkeiten. Arno Schmidt bestellt wie üblich einen Espresso, ich bekomme einen Cappuccino.)

Detlef: Liest du eigentlich die Kritiken über deine Arbeit?

Arno: Nein.

Detlef: Vernünftig. Sehr vernünftig. Sollte ich auch nicht tun. Als ich mal eine sehr große Ausstellung in Düsseldorf hatte und dort einige „hohe Tiere“ vorbeischauten, bekam ich einen halbseitigen Artikel, vierspaltig… Mann, war ich stolz. Leider wurde ich aber erst am Ende des Artikels erwähnt. Und zwar sehr lapidar mit „Und nach den Lachshäppchen gab es auch noch Arbeiten von Detlef Bach zu sehen.“

Arno: Ich bin auf diesem lächerlichen Planeten mehr anmassenden Dummköpfen begegnet, als ich erwarten durfte.

Detlef: Vielleicht sind die Dummköpfe aber die eigentlichen Gewürze des Lebens.

Arno: Oder Gott hat die Welt mit Idioten versalzen, wer weiß das schon?

Detlef: Apropos… Wie stellst du dir das Paradies vor? Oder anders formuliert: Was würdest du dir von Herzen für dein Künstlerleben wünschen?

Arno: Eine feste Monatsrente von 1000 € und 10 Jahre keinen Besuch. Und du?

Detlef: Ich… ich…

Arno: Der Bach »windet sich» ebenso wie die Straße.

Detlef: Und du bist und bleibst ein Träumer. Lass uns zahlen. Gehen wir unser Leben ein wenig nachwürzen.

(Beide verlassen wir kurz daraus das Café. Wir müssen weiter, immer weiter, unserem Glück hinterher.)