Was uns bleibt

Wir kommen aus einer Welt, in der wir Vollkommenheit von unglaublichsten Ausmaßen gesehen haben, und dunkel erinnern wir uns an Schönes, das wir nie mehr gefunden haben… Die Öffentlichkeit, für die Meisterwerke bestimmt sind, ist nicht auf dieser Erde zu finden (Thornton Wilder). Was uns bleibt, ist nur noch die Asche unserer Götter.

Gaukler küssen meine Stirn

„Les Saltimbanques“ (… zu deutsch „Die Gaukler“ oder auch „Die Gauklerfamilie“ ); dieses Bild wirkt wie eine kleine Zusammenfassung von Themen und Charakteren, denen ich in den letzten Jahren meine Aufmerksamkeit gewidmet habe… „in Ländern, die ich nie geschaut.“ (Emily Dickinson). Unreife Künstler mögen entlehnen, ich meine, dass reife Künstler stehlen, kopieren, übernehmen, imitieren und zitieren. Und „zitieren“ bedeutet hier, Originale betrachtet, sie gehört, sie gelesen zu haben. „Das Seltsame ist ja, dass sogar Bücher, an die wir uns nicht mehr bewusst erinnern können, Teil von uns sind und wie eine vergessene Melodie plötzlich wiederkehren können.“ (Siri Hustvedt; „Leben, Denken, Schauen„)

Mein seliger Geschmack von Löwenhonig

Und es scheint, als sei Samson nicht mehr ein riesiger Berg Muskeln, der immer weiter wächst, bis er eine Art Eisentor geworden ist, ähnlich den „Toren der Stadt“, dazu bestimmt, einen inneren, verletzlichen Kern zu schützen oder, im Gegenteil, das Ausbrechen des Kerns, der unbedingt entdeckt und erlöst werden will, zu verhindern,

Wie kann ein Mensch erlöst werden? Welcher ist der natürlichste, der einfachste Weg, das innere Eisentor einen Spalt weit zu öffnen und etwas Luft hereinzulassen, so dass jener verletzliche Kern atmen und sich entfalten kann?

„… gewann er ein Mädchen lieb.“ Vielleicht liegt in diesen Worten der kleine Rest mutigen, menschlichen und zugleich aussichtslosen Aufbegehrens Samson gegen den brutalen Missbrauch, den Gott mit ihm trieb.

(Zitiert aus „Löwenhonig“ von David Grossman. Von mir immer und immer wieder gelesen… diese Rehabilitierung eines Opfers gegen die Macht seines Gottes.)

Komm auf die Schaukel

Komm auf die Schaukel / Es ist ein großes Plaisir. / Du fühlst dich im Paradiese / Und zahlst nur ne’n Groschen dafür…   Was will man mehr?

Eine Schaukel ist bekanntlich ein launiger Hängesitz, mit dem man hin- und her schaukeln kann. Schaukeln stehen häufig auf Kinderspielplätzen oder (wie hier) in einem Lustgarten. Das Schwungholen erfolgt meist durch Streck- und Beugebewegungen mit den Armen und Beinen oder durch Abstoßen von einem festen Punkt. Es gibt Schaukeln für Kinder, als auch für Erwachsene. Wie zum Beispiel für Jean-Honoré Fragonard, einem französischen Maler, Zeichner und Radierer des Rokoko. O, er liebte das Schaukeln. Auf den ersten Blick scheint die Schaukel von Fragonard ja ein recht einfaches Bild zu sein. Doch dann wird klar, dass das Bild auch anders gemeint seien könnte. Denn während die Dame auf der Schaukel immer höher und höher „reitet“, lässt sie ihren Bewunderer ihr Kleid sehen – und sein Blick könnte so am Ende auch zwischen ihre Beine gleiten. „Was bin ich heute wieder für ein Schelm!“, würde der Künstler Fragonard sicherlich dazu gesagt haben. Aber die ‚subversiven Elemente’ Fragonards werden in heutiger Zeit geschickt gesellschaftlich integriert. Die ‚Widerspenstigen’ werden ‚gezähmt’ und die subversive Kraft ihrer Werke gebändigt. Auch könnte die These aufgestellt werden, dass die moderne, kapitalistisch ausgerichtete Demokratie ihrerseits Subversion gegen subversive Kunst betreibt. Tja, denke ich, schaukel ich halt weiter friedlich durch die Kunstgeschichte, um mein Bedürfnis nach selbstgenügsamer Erregung zu stillen.

Übrigens – Meine Frau und ich, wir lieben dieses gemeinsame Schaukeln des Lebens… Wir sagen uns ständig ins Ohr: ich schaukel dich her und hin und zeig dir nachher auf der Wiese, wie gut ich dir bin.

Zahlen musst du, / Schlag um Schlag

„Ein gottverhasstes, götterhassendes Haus. / Ja! Mitwisser von vielerlei: / Verwandtenmord, durchschnittene Kehlen – / ein Menschenschlachthaus, / und sein Boden schwimmt im Blut.“

(Kassandra über das Haus der Atriden, S. 64, in „Die Orestie“ von Aischylos …)

„Zahlen musst du, / Schlag um Schlag…“

(… Kassandra ist aufgewühlt, so als wäre sie in einem Auktionshaus.)

Das Schicksal der Hochmoderne

Die Kunst auf der Welt zu sein (oder wenigstens in meinem Atelier) das ist die frische Freiheit, die durch die Kindheit der Zeiten läuft. Sie ist das schräge Licht, die die Schatten länger macht. Auf dem Spielplan steht heute der Mythen-Marathon-Mix aus «Berlin Alexanderplatz» und «Micky auf großer Fahrt», mein Stück über Heinrich George. Ein Gott, der satt ist, der sich langweilt. Er will den Funken des Lebens spüren… in meinem Atelier. Vorhang auf: